Knapp 200 Tonnen – ein Gewicht von 140 VW Golf – müssen die Kolosse abspecken, um im Toleranzrahmen zu bleiben. Ob das zu schaffen ist?

Stralsund. Nach der Insolvenz der P+S-Werften in Stralsund und Wolgast werden immer mehr Probleme bekannt. So sind die von den P+S-Werften gebauten Scandlines-Fähren viel zu schwer. Die Messungen an der Ostseefähre „Berlin“ haben ein Übergewicht von knapp 200 Tonnen ergeben. Die Reederei Scandlines befürchtet, dass die Fähren wegen des höheren Tiefganges dann nicht wie geplant auf der Linie Rostock-Gedser eingesetzt werden können.

„Wir haben ein Übergewicht, das den vertraglichen Rahmen überschreitet“, bestätigte der vorläufige Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann am Samstag die Angaben. Die P+S-Werften gehen davon aus, dass die „Berlin“ und ihr Schwesterschiff „Copenhagen“ trotzdem die für eine Zulassung erforderlichen strengen sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllen werden. Die Betriebssicherheit sei gewährleistet. Der Betrieb werde – so hieß es aus Werftenkreisen - allerdings auf Kosten der Zuladekapazität und der späteren Betriebskosten gehen. Deutliche Preisnachlässe sind deshalb wahrscheinlich. Möglicherweise bleibt die Werft auch auf den Fähren sitzen, weil diese nicht den vertraglichen Vorgaben entsprechen.

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Die Scandlines-Fähren, mit einem Auftragsvolumen von knapp 200 Millionen Euro ein Schlüsselprojekt auf den angeschlagenen Werften, wurden am vergangenen Mittwoch gewogen. Experten berechnen bis Mitte nächster Woche, ob es möglich ist, das Gewicht auf den vorgeschriebenen Wert zu reduzieren und mit welchen technischen Möglichkeiten das Wunschgewicht erreicht werden kann, ohne die strengen sicherheitstechnischen Vorgaben der Klassifizierungsgesellschaften zu unterlaufen. „Es geht um 22 Zentimeter, die das Schiff zu tief im Wasser liegt“, sagte ein Ingenieur. Insider gehen davon aus, dass sich das über den Toleranzen liegende Gewicht nicht wesentlich nach unten korrigieren lässt. 200 Tonnen entsprechen dem Gewicht von 143 VW-Golf VI.

Der Auslieferungstermin der Fähren hatte sich immer wieder verzögert. Ursprünglich sollten die Fähren seit diesem Sommer auf der Linie verkehren. Seit einer Woche ist klar, dass sich dieser Termin nicht halten lässt. Inzwischen gehen die P+S-Werften von Auslieferungsterminen im Januar und Mai 2013 aus.

Wie ein Ingenieur berichtete, stand bereits Ende 2011 fest, dass das Zielgewicht überschritten wird und der Liefertermin nicht gehalten werden kann. Gescheitert sei die Stralsunder Volkswerft an den ambitionierten Plänen der seit 2010 tätigen Geschäftsführung. „Es wurden unfertige Konstruktionsunterlagen in die Produktion gegeben, um die Fähren wie von Scandlines gewünscht im Sommer 2012 fertigzustellen“, sagte ein Ingenieur. Computersimulationen vor Baubeginn habe es zwar gegeben, allerdings auf der Basis von unausgereiften Daten. Immer wieder sei ab- und umgebaut worden. „Wir haben die Fähren dreimal gebaut.“

Aus Werftenkreisen ist zudem zu erfahren, dass Zulieferer zu schwere und über den Vorgaben liegende Komponenten angefertigt haben. Die Prüfung einer möglichen Gewichtsreduzierung ist noch nicht abgeschlossen. Durch den Austausch der bestehenden Isolierung gegen eine leichtere soll das Gewicht verringert werden. Zudem wird geprüft, ob sich nicht sicherheitsrelevante Stahlkomponenten im Deckbereich durch Aluminium ersetzen lassen. Allerdings: auch Aluminium wiegt etwas.

Scandlines erklärte am Freitagabend, noch immer auf die Ergebnisse der Berechnungen zu warten. „Die Werft hat uns versprochen, in den kommenden Tagen detaillierte Informationen zum Zustand der Fähren zu liefern“, erklärte Geschäftsführer Søren Poulsgaard Jensen. Scandlines wolle nach wie vor die beiden neuen Fähren so schnell wie möglich geliefert bekommen – allerdings immer vorausgesetzt, dass diese den technischen Vorgaben entsprechen.