Im Interview spricht Klaus-Dieter Zastrow, Chefarzt für Hygiene an den Vivantes-Kliniken Berlin, über die Schwierigkeit, die Quelle des EHEC-Darmkeims zu entdecken.
Berlin. Noch immer gibt es keine Spur, die zur Quelle des EHEC-Erregers führt. Der Chefarzt für Hygiene an den Vivantes-Kliniken Berlin, Klaus-Dieter Zastrow, bemängelte im Gespräch mit dapd-Korrespondent Holger Mehlig am Freitag in Berlin, dass vorhandene Experten bei der Suche noch gar nicht eingebunden seien. Zugleich kritisierte er, dass Behörden die Möglichkeit nicht in Betracht zögen, dass die Epidemie durch einen Anschlag mit im Labor produzierten EHEC-Bakterien ausgelöst worden sein könnte.
Frage: Warum ist es so schwierig, die Quelle des EHEC-Darmkeims zu entdecken?
Zastrow: Der EHEC-Erreger wird über die Nahrungsmittelaufnahme verbreitet. Das Problem ist, dass kein Nahrungsmittel ausgeklammert werden kann. Ausnahme sind die, die vorher entsprechend erhitzt worden sind: Zehn Minuten über 70 Grad. Da kann man beispielsweise Suppen, gekochte Gemüse und auch kurz gebratenes Fleisch ausnehmen, auch Kaffee oder Tee. Aber, Achtung eine wichtige Übertragungsquelle für alle Seuchen ist immer Wasser.
Also sollte man Leitungswasser nicht mehr ungekocht trinken?
Zastrow: Doch, das ist weiter möglich, weil unsere Trinkwasserqualität hervorragend ist. In Deutschland werden jeden Tag bei den Wasserversorgern sehr viele Proben gemacht. Wenn aber jemand einen Brunnen auf dem flachen Lande hat, dann weiß man es nicht so genau. Es geht dann um die Frage, wie viele Menschen Zugang haben zu diesem, wie viele trinken davon. Was die Erkrankten verzehrt oder getrunken haben, muss man durch Befragungen rauskriegen. Das ist aber äußerst schwer.
Was ist das Problem?
Zastrow: Die Inkubationszeit beträgt bis zu zehn Tagen. Und wer kann schon sagen, was er vor zehn Tagen gegessen hat. Im Norden wurden die meisten Fälle gemeldet. Da muss es eine bislang völlig unbeachtete Quelle geben. Die gilt es, jetzt schnell zu finden. Das Robert-Koch-Institut ist dafür überfordert, weil es auf keinen Fall genügend Leute hat, um da flächendeckend tätig zu werden. Vier oder fünf Leute reichen nicht aus. Eine gute Lösung wäre, die in Deutschland vorhandenen Experten und Hygieniker aus den Kommissionen am RKI oder BfR einzubinden. Das beim Verbraucherschutzministerium angesiedelte Bundesinstitut für Risikobewertung, hat auch eine Hygiene-Kommission, die noch gar nicht angesprochen wurde. Man hat die Leute, nutzt aber die Ressourcen nicht. Darüber muss man sich schon wundern.
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Kann man spekulieren, wo die Quelle sein könnte?
Zastrow: Es gibt Verkehrsknotenpunkte, an denen viele Menschen vorbeikommen. Beispielsweise Flughäfen oder Autobahnen. Das Flugzeug hat Verspätung, die Leute warten, also essen sie noch schnell ein Softeis oder eine Currywurst – und peng, haben sie sich mit irgendwelchen Keimen infiziert. So was muss man suchen. Es ist unglücklich, dass dieser EHEC-Keim so früh auf Gurken entdeckt wurde. Dadurch wurde alles andere ausgeblendet. Wichtigste Aufgabe ist es, die Quelle schnell zu finden, damit es nicht zur Erkrankung kommt. Da kann und muss man mehr tun.
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Es kursieren Verschwörungstheorien, nach denen das Ganze ein Anschlag sein könnte.
Zastrow: Es ist nicht gut, in diesem Zusammenhang von Verschwörungstheorien zu reden, weil man dann gleich nicht mehr ernst genommen wird. Aber, es gibt auch Verrückte, die in unserem Land rumlaufen, wie in der Vergangenheit schon häufig gesehen. Wir hatten doch schon Fälle, bei denen Leute zum Beispiel die Mayonnaise in Supermärkten vergifteten. Es kann durchaus sein, dass ein Schwachkopf unterwegs ist und denkt, ich bringe mal ein paar Leute um oder verpasse 10.000 Leuten Durchfälle. Das aus den Blickfeld zu nehmen, halte ich für einen Fehler und geradezu fahrlässig. Man soll doch nicht so tun, als ob es so etwas nicht gäbe. Einen Terroranschlag halte ich allerdings auch für unwahrscheinlich. Dafür wären die üblichen Bekennerschreiben typisch – und die gibt es ja nicht.
Es soll sich ja um völlig neue Erreger handeln. Können solche Mutationen denn überhaupt von Kriminellen oder Terroristen produziert werden?
Zastrow: Ja, wer Geld hat, kann Labore beauftragen, die sich mit solchen Dingen beschäftigen. Im Internet sind ja auch Anleitungen zu finden, wie man Sachen panscht. Gerade jetzt, da es sich um einen völlig neuen Stamm handeln soll, ein Typ, von dem das Loeffler-Institut heute morgen sagte, er sei auch noch nie bei Rindern gesehen worden, lässt ja auch an ein Kunstprodukt denken. Wenn wir es jetzt mit einem völlig neuen Keim zu tun haben, muss man auch fragen, woher er kommt.