Helms-Museum: Einblicke in Methoden und Erfolge der Denkmalpflege. Eine Schau in Harburg zeigt, was Archäologen im Laufe der vergangenen fünfundzwanzig Jahre in Niedersachsen entdeckt haben.

Die beiden Kinder starben jung. Das Mädchen war nicht einmal fünf Jahre alt, der Junge zwischen anderthalb und zwei Jahren. Die Todesursache ist unklar. Sie wurden zur selben Zeit in zwei Gruben dicht nebeneinander bestattet, waren vermutlich miteinander verwandt. Die Hinterbliebenen hatten ihnen eine durchlochte Teichmuschel als Schmuck mitgegeben, außerdem Werkzeuge zur Bearbeitung von Feuersteingeräten sowie Fleisch von Schafen und Ziegen. Die Grabausstattung für ein Leben im Jenseits glich der von Erwachsenen. Gelebt haben diese Kinder vor etwa 7600 Jahren, bestattet wurden sie unter einem Felsdach am Bettenroder Berg in der Nähe von Göttingen.

Dieser und andere Funde sind Teile der Sonderausstellung "ArchäologieLandNiedersachsen" im Helms-Museum. Das 25. Jubiläum des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes gab den Anstoß zu dieser Ausstellung, die Einblicke in die Methoden, Ergebnisse und Erfolge der archäologischen Denkmalpflege vermittelt. Zu sehen war die Schau bisher in Oldenburg, Hannover und Braunschweig. Hamburg ist die letzte Station.

Das Helms-Museum ist sowohl für den Bereich Hamburg als auch für den Land-kreis Harburg zuständig, der zu Niedersachsen gehört. "Deswegen liegt der Schwerpunkt unserer Präsentation auf der Region südlich von Hamburg", erklärt Jochen Brandt, der seit dem vergangenen Jahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bodendenkmalpflege tätig ist.

Niedersachsen ist das zweitgrößte Bundesland. Mit seinem Querschnitt vom Wattenmeer bis ins Mittelgebirge weist es eine einzigartige Vielschichtigkeit von Naturlandschaften auf. Die unter-schiedlichen Regionen bilden den roten Faden in der Ausstellung, machen die wechselseitige Beziehung zwischen Mensch und Natur deutlich.

Seit jeher haben Menschen sich die Frage nach ihrem Ursprung gestellt. Antworten darauf kann die Archäologie geben, denn der Blick in den Boden liefert zahlreiche Informationen über Kulturen, die viele Jahrtausende zurückreichen. Durch Grabungen kommen Gegenstände wieder zum Vorschein, die die Menschen damals in den Händen hielten. Die Archäologie vermittelt uns einen Eindruck vom Alltagsleben, offenbart wirtschaftliche, soziale und künstlerische Bedingungen.

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Untersuchungsmethoden der Wissenschaftler durch neue Technologien entscheidend verän-dert. Dazu zählen insbesondere die Computertechnik, Internet und Satellitennavigation. Die Informationen, die in Niedersachsen gewonnen wurden, lassen Leben und Fähigkeiten unserer Vorfahren in einem neuen Licht erscheinen, relativieren das Bild vom primitiven Frühmenschen.

Die ältesten Siedlungsnachweise des Menschen in Niedersachsen befinden sich in der Nähe von Helmstedt. Dort gab es vor etwa 400 000 Jahren ein Wildpferd-Jagdlager. Neben den Skelettresten von Pferden ist die Entdeckung von mindestens acht hölzernen Wurfspeeren von Bedeutung. Sie waren aus Fichtenstämmen gearbeitet und zwischen 1,82 und 2,50 Meter lang. Diese Funde belegen, daß die späten Urmenschen in der Lage waren, eine Großwildjagd mit speziellen Fernwaffen durchzuführen. Sie verfügten also über Fähigkeiten, die bisher nur dem modernen Menschen zugeschrieben wurden: vorausschauendes, planendes Denken und Handeln. Die Waffen wurden anscheinend ausschließlich zur Jagd auf Pferde eingesetzt, auf schnell flüchtendes Herdenwild. Eine Jagdtechnik und Spezialisierung, für die es aus dieser Zeit bisher keinen Nachweis gab. Die hervorragenden technischen Fertigkeiten bei der Bearbeitung der Speere und die ausbalancierte Ballistik lassen darauf schließen, daß die Verwendung derartiger Fernwaffen in einer langen Tradition stand.

Auf dem Kattenberg bei Immenbeck, in der Nähe von Buxtehude, wurde vor wenigen Jahren ein bis dahin unbekannter altsächsischer Fried-hof ausgegraben. Genutzt wurde er von der Mitte des 4. bis zur Mitte des 6. nachchristlichen Jahrhunderts. Die Forscher fanden sowohl Urnen- als auch Kammer- und Erdgräber vor. Die Grabbeigaben reichen von eisernen Gebrauchsgegenständen wie Gürtelschnallen, Messer, Feuerstahl oder Schlüssel über Schmuckgegenstände aus ver-schiedenen Metallen bis zu Tontöpfen, in denen sich noch angebrannte Speisereste befanden. Die herausragendsten Fundstücke sind jedoch Objekte aus Glas. Ketten aus ein- oder mehrfarbigen Perlen zwischen 1 mm und 4 cm Größe, und vor allem Glasgefäße wie Schalen, Spitz- oder Rüsselbecher.

Die Küstenlandschaft gliedert sich in die Ostfriesischen Inseln, das Wattenmeer sowie die See- und Flußmarschen. Die Menschen dieser Region lebten in Abhängigkeit von Ebbe und Flut. In der Zeit vor der Eindeichung lagen die Siedlungen auf künstlich errichteten Hügeln, den Wurten oder Warften. In ihnen hat sich ein Schatz an vor allem organischen Materialien wie Holz, Leder und Knochen erhalten.

Bei Wremen im Landkreis Cuxhaven stießen die Forscher vor mehr als fünfzehn Jahren auf zwei Gräberfelder aus der Zeit des 4./5. Jahrhunderts n. Chr.. Von besonderem Interesse waren kostbar aus-gestattete Prunkgräber. Die Grabbeigaben sind wegen der Bodenverhältnisse im Watt unter Sauerstoffabschluß außergewöhnlich gut erhalten geblieben. Einige der Toten waren in einem Einbaum aus Eiche bestattet. Als Beigaben dienten Holzmöbel wie Fußschemel, Tische, Hocker und Schachteln sowie Glasperlenketten und silberne bzw. vergoldete Fibeln.

Zu den Highlights der Ausstellung gehört der Nachbau eines hölzernen Prunkstuhls aus der Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr., der aus einem der Bootsgräber stammt. Er ist aus einem Baumstamm gefertigt, die Art der Musterung verweist auf römische und etruskische Vorbilder.

Zu einem neuen, nicht unumstrittenen Betätigungsfeld der archäologischen Denkmalpflege gehört seit einigen Jahren auch die Erfassung von Befunden der NS-Zeit. Viele Dokumentationslücken entstanden gegen Kriegsende, als zahlreiche staatliche und kommunale Dienststellen den Befehl erhielten, Schriftgut zu vernichten. Auch in Stade wurden hastig Scheiterhaufen errichtet, in denen Schriftstücke noch rechtzeitig vor dem Einmarsch der Briten vernichtet werden sollten. Im Hinterhof der ehemaligen NSDAP-Kreisleitung wurde 1989 eine Brandgrube untersucht. Augenzeugen zufolge waren im April 1945 aus dem Fenster des Kreisleiter-Büros im ersten Stock brisante Akten in die Grube geworfen worden. Die Forscher entdeckten zuunterst Parteitags- und Propaganda-Plaketten, darüber die Schallplattensammlung des Kreisleiters, auf dieser Schicht wiederum die Kästen der NSDAP-Mitgliederkartei. Brandbeschleuniger weisen darauf hin, daß die Verbrennung mit besonderer Sorgfalt erfolgte. Die Auswertung der Papierreste ergaben wichtige Mosaiksteine zur Rekonstruktion der letzten Kriegstage in Stade. Ein weiterer Beweis für die Vielseitigkeit archäologischer Denkmalpflege.

Helms-Museum , Museumsplatz 2, 21073 Hamburg, di-so 10-17 Uhr, Führungen so 12 Uhr.