Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) über Lebensentscheidungen in der Politik, Ambitionen und die Energieversorgung der Zukunft.
Cuxhaven. Wo früher Schafe auf dem Deich vor Cuxhaven grasten, steht seit drei Jahren die Offshore-Basis Cuxhaven. Norbert Röttgen , heute seit neun Monaten im Amt des Bundesumweltministers , kannte das führende Zentrum für die Hochsee-Windenergie an der Nordsee noch nicht. Nach dem Besuch mehrerer Firmen auf der Offshore-Basis traf das Hamburger Abendblatt Röttgen zum Interview - in einem Bürogebäude mit Deichblick.
Hamburger Abendblatt:
Herr Minister, wie geht es Ihnen eigentlich, wenn Sie an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus denken?
Norbert Röttgen:
Gut. Stefan Mappus hat auf mein Wohlbefinden keine Auswirkung.
Und das, obwohl er Ihre Atompolitik als "grandiose Fehlleistung" bezeichnet?
Er hat sich dabei ja auf die gesamte Bundesregierung bezogen. Die vollzieht allerdings den Koalitionsvertrag nach. Wir haben schon in den Koalitionsverhandlungen besprochen, bis Ende dieses Jahres ein Energiekonzept zu verabschieden. Dem haben alle zugestimmt, in der Partei und in den Fraktionen. Und diesen Zeitplan werden wir auch einhalten.
Aber warum wirft Mappus Ihnen dann vor, gegen den Koalitionsvertrag zu verstoßen?
Das müssen Sie ihn fragen. Das Einfachste ist ein Blick in den Koalitionsvertrag. Dort steht drin, dass die Kernenergie eine Brückenfunktion hin zu den erneuerbaren Energien hat. Keiner will sofort die Kernkraftwerke abschalten. Ich habe immer betont, dass wir längere Laufzeiten brauchen als die von Rot-Grün willkürlich festgelegten Laufzeiten. Wir haben gesagt, wir wollen berechnen, ab wann wir auf die Kernenergie vollständig verzichten können, der Abbau der Kernenergie ist also abhängig vom prognostizierten Ausbau der erneuerbaren Energien. Das wird von wissenschaftlichen Instituten bis Ende August berechnet. Im September werden wir dann unser Energiekonzept vorlegen.
Und bis dahin streitet sich die Union munter weiter?
Diskussionen, auch Auseinandersetzungen gehören bei einem strategisch so wichtigen Thema notwendigerweise dazu. Es geht schließlich um die Grundlagen unserer Energieversorgung in den nächsten 40 Jahren. Die kann man nicht einfach so von oben bestimmen. Bei allem Streit müssen aber auch bestimmte Festlegungen respektiert werden. Die Koalition ist sich einig: Wir brauchen die Kernenergie so lange, bis sie durch die erneuerbaren Energien verlässlich ersetzt werden kann. Das ist eine klare Sprache.
Es gibt kaum einen anderen Minister, der in seinem eigenen Lager so oft angegriffen wird wie Sie.
Die Kritik kommt nach meinem Eindruck von einigen wenigen Personen. Ich erhalte aus der Partei und in der Bevölkerung breite Unterstützung. Das konnten Sie ja zuletzt bei meinem Besuch in Bremerhaven und Cuxhaven beobachten.
Welche finanziellen Belastungen werden bei einer Laufzeitverlängerung auf die Energiekonzerne zukommen?
Zunächst einmal kommen auf die Energiekonzerne bei Laufzeitverlängerungen Sondergewinne in beachtlicher Milliardenhöhe zu. Die Koalition ist sich einig, dass mindestens die Hälfte dieser Sondergewinne zur Förderung und zum Ausbau der erneuerbaren Energien verwendet werden soll.
Die Kanzlerin hat jedoch davor gewarnt, die Energieversorgungsunternehmen zu stark zu belasten. Fühlen Sie sich von Frau Merkel ausreichend unterstützt?
Uneingeschränkt ja. Selbstverständlich bin auch ich der Meinung, dass die geplante Brennelementesteuer keine erdrosselnde Wirkung haben darf. Unser Ziel ist es, die Sondergewinne zu einem Teil für die erneuerbaren Energien zu verwenden.
Was tun Sie, wenn die Energiekonzerne Ihre Bedingungen ablehnen?
Ich habe etwas gegen Deals, wie sie unter Gerhard Schröder üblich waren. Ein normaler Steuerbürger kann auch die Bedingungen der Einkommenssteuer nicht einfach ausverhandeln. Die Brennelementesteuer ist ein rechtlich unangreifbares Instrument, mit dem unterschiedliche Zwecke finanziert werden können und das in der Summe selbstverständlich Belastungsgrenzen berücksichtigen muss.
Bleiben Sie dabei, dass der Bundesrat eine Laufzeitverlängerung absegnen muss?
Die Bundesregierung beabsichtigt ein Gesetz, das nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Dies ist nach dem Urteil des Bundesinnenministers und der Bundesjustizministerin bei moderaten Laufzeitverlängerungen möglich - wenn auch mit einem gewissen verfassungsrechtlichen Risiko.
Sie rudern zurück? Sie wollten den Bundesrat bisher immer einbinden.
Nein, ich habe von Anfang an gesagt, dass ich eine moderate Laufzeitverlängerung ohne Bundesratszustimmung für möglich halte. Ich bleibe aber bei der Meinung, dass wir die Energiepolitik nicht zu einem Kampfthema und nicht zu einem Gegeneinander von Bund und Ländern machen sollten. Wir würden uns dem Risiko aussetzen, dass sich die Energiepolitik nach jeder Wahl um 180 Grad dreht.
Wie viele Jahre sollen die Atommeiler Ihrer Meinung nach länger am Netz bleiben?
Wenn es ein Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrates sein soll, muss die Verlängerung der Laufzeiten moderat und überschaubar sein.
Was bedeutet das denn nun in Jahren?
Das werden wir auf der Basis der rechtlichen Bewertung durch die Verfassungsressorts und auf der Basis der ökonomischen Ergebnisse, die die Forschungsinstitute derzeit berechnen, gemeinsam festlegen.
Im Jahr 2050 sollen nach Ihrem Willen nahezu 100 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien stammen. Wie wollen Sie das schaffen?
Ich glaube, dass wir eine nahezu vollständige Stromversorgung durch erneuerbare Energien bis 2050 erreichen können. Das Rückgrat wird mit rund 50 Prozent die Windenergie onshore und offshore sein. Dafür werden wir die Investitionsbedingungen verbessern - für die Planung und den Bau der Anlagen, über die Förderung der Einspeisung des Stroms, bis hin zum Netzausbau auf hoher See und der Netzanbindung auf dem Land. Dazu gehört auch eine Investitionsregulierung, die privaten Investoren einen verlässlichen Rahmen bietet.
Sie sprechen von Staatsbürgschaften für Offshore-Windparks?
Ich werde mich für Bürgschaften einsetzen, die von Offshore-Windenergie-Unternehmen beantragt werden können. So können wir bis Ende 2011 feste Investitionsentscheidungen für zehn Windparks in Nord- und Ostsee erreichen. Das wird bei der Offshore-Energie eine richtige Eigendynamik auslösen. Wir halten an dem Ziel fest, in zehn Jahren über 10 000 Megawatt und in 20 Jahren über 25 000 Megawatt Offshore-Windenergie zu verfügen.
Zurück aufs Land. Es heißt, Sie streben die Nachfolge von Jürgen Rüttgers als CDU-Landeschef von Nordrhein-Westfalen an. Stellen Sie sich zur Wahl?
Dazu werde ich mich zu gegebener Zeit erklären.
Könnte man den größten CDU-Landesverband überhaupt von Berlin aus führen?
Die Führung eines Landesverbandes erfolgt immer vor Ort. Völlig unabhängig von der Frage einer Kandidatur sehe ich meine Aufgabe darin, als Bundesminister meinen Landesverband zu unterstützen. Mit dem Amt ist die besondere Chance verbunden, die CDU, auch die nordrhein-westfälische CDU, besonders sichtbar zu machen.
Soll die Parteibasis über den nächsten Landesvorsitzenden entscheiden?
Ja. Das ist eine Chance, die zu einem glaubwürdigen Neuanfang gehört. Wir brauchen einen Neuanfang, inhaltlich und personell. Die Beteiligung der Basis ist dafür ein guter Start.
Sie gelten als ein Freund schwarz-grüner Koalitionen. Enttäuschen Sie die Entwicklungen in Hamburg?
Natürlich enttäuscht mich der Rückzug Ole von Beusts, gleichwohl respektiere ich ihn. Ich bin mir aber sicher, dass die schwarz-grüne Koalition in Hamburg mit einem neuen Bürgermeister fortgesetzt wird.
Was macht Sie so sicher?
Die Hamburger CDU steht zu dieser Koalition und will sie in dem Geist, in dem sie gegründet wurde, auch fortsetzen. Es besteht in der CDU überhaupt kein Zweifel an dem Bündnis.
Kann denn Schwarz-Grün jetzt einfach so weitermachen?
Der Sommer ist eine gute Zeit nachzudenken und zu überlegen, was man besser machen kann. Das gilt nicht nur für Hamburg.
Momentan steckt der Hamburger Senat aber in der Krise. Hätte Beust den Wählerauftrag nicht volle vier Jahre erfüllen müssen?
Am Ende bestimmen die Parteien nicht über die Lebensentscheidungen von Politikern. Jeder Politiker darf für sich das Recht auf Rückzug in Anspruch nehmen. Ich gebe zu, das scheint ein neues Element in der Politik zu sein.
Ab wann wollen Sie sich denn damit befassen?
Ich bin heute exakt neun Monate im Amt als Bundesumweltminister. Ole von Beust war neun Jahre im Amt des Bürgermeisters. Fragen Sie mich noch mal in acht Jahren und drei Monaten.