Im Nordwesten der Sahara entstehen die größten Solarkraftwerke der Welt. Schneller als gedacht könnten sie auch Strom nach Europa liefern.

Bereits am frühen Morgen zeigt das Thermometer 34 Grad Celsius. Nour Eddine Fetian lenkt den Jeep der staatlichen marokkanischen Elektrizitätsgesellschaft ONE hinter der Grenzstadt Oujda auf die N17 Richtung Süden. Die schnurgerade Piste verliert sich am Horizont in gleißendem Licht. Auf beiden Seiten geht der Blick in die endlose Leere des marokkanisch-algerischen Grenzlandes. Nur selten unterbrochen von ausgetrockneten Wasserläufen, Grasbüscheln und pinkfarbenem Oleander, Ziegenherden und den flachen Zeltbauten der Nomaden. Gelegentlich rauschen in mörderischem Tempo die abwrackreifen Peugeots algerischer Benzinschmuggler vorüber. Aber Fetian hat dafür keinen Blick.

Das Geschäft des Projektmanagers dreht sich um die Energie von morgen, und deren Quelle kommt nach einer Stunde Fahrt in Sicht: eine gleißende, 40 Hektar große Fläche aufgereihter Parabolspiegel inmitten der Wüste – Beni Mathar, das modernste Solarkraftwerk der Welt. Fetian drosselt den Motor. Das Außenthermometer des Wagens zeigt jetzt 42 Grad.

Ain Beni Mathar – der Name der solaren Pilotanlage im abgelegenen marokkanisch-algerischen Grenzland ist selbst unter Energieexperten noch weitgehend unbekannt. Doch er könnte einmal in die Geschichte der europäischen Energiewirtschaft eingehen. Denn Beni Mathar steht nicht nur für den Beginn der marokkanischen Solarrevolution. Die Anlage ist Startpunkt für eines der größten staatlichen Sonnenenergieprogramme der Welt, das schon bald auch entscheidend zur Energieversorgung Europas beitragen könnte. Aus den 40 Hektar des hiesigen Solarfeldes sollen nach dem Willen König Mohammeds VI. innerhalb der nächsten zehn Jahre 10000 Hektar Solarfläche werden, die sich auf fünf Standorte in ganz Marokko verteilen. Was hier in der Pilotanlage mit einer Leistung von 20 Megawatt getestet wird, will Mohammed bis zum Jahr 2020 auf mindestens 2000 Megawatt verhundertfachen – und damit so viel installierte Leistung bereitstellen wie zwei Atomkraftwerke. Weitere 2000 Megawatt sollen Windkraftparks an der stürmischen Atlantikküste Marokkos bringen – wegen der vorherrschenden Passatwinde einer der besten Windkraftstandorte Europas.

Neun Milliarden Dollar will die Regierung in Rabat allein für ihren „plan solaire maroccain“ mobilisieren. Die Kabel nach Europa liegen bereits: Zwei Leitungen durch die Meerenge von Gibraltar mit einer Kapazität von 1400 Megawatt verknüpfen Marokko mit dem europäischen Verbundnetz. Für Europa rückt der Import nordafrikanischer Solarenergie damit früher als erwartet in greifbare Nähe

Für das deutsche Industriekonsortium Desertec bedeutet die unerwartet rasche Entwicklung in Marokko allerdings eine Herausforderung – und stellt die Mitglieder der Initiative möglicherweise vor die Frage nach einer Neubewertung der eigenen Rolle. Vor rund einem Jahr hatten sich zwölf deutsche Unternehmen, darunter die Finanzkonzerne Deutsche Bank und Münchner Rück, die Energieriesen E.on und RWE sowie die Kraftwerksbauer Siemens, Solar Millennium, ABB und MAN, zur Desertec Industrial Initiative Planungsgesellschaft (DII) zusammengefunden. Ziel dieser Initiative war nach eigenem Bekunden „die Analyse und Entwicklung von technischen, ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen zur CO*-freien Energieerzeugung in den Wüsten Nordafrikas“.

Dabei bezogen sich die Gründungsmitglieder auf eine Studie des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR), der zufolge nordafrikanischer Wüstenstrom den europäischen Elektrizitätsbedarf im Jahre 2050 zu 17 Prozent decken könnte. Für den Bau des nötigen Netzwerkes von Solarkraftwerken und Leitungen seien Investitionen von 400 Milliarden Euro erforderlich – angesichts der ohnehin nötigen Kraftwerksinvestitionen auf dem alten Kontinent eine überschaubare Summe. Paul van Son, Leiter des Desertec-Projektes, will heute von konkreten Investitionen allerdings nicht sprechen: Desertec sei „weder ein Solar- noch ein Windkraft- oder ein Baukonzern“, sagte der Niederländer jüngst dem „Handelsblatt“. Es gebe da ein Missverständnis. Die Desertec-Initiative, so van Son, sehe sich eher als „Koordinator, Wegbereiter, Katalysator und Beschleuniger“.

Den Weg bereitet, koordiniert und beschleunigt hat allerdings bereits die marokkanische Regierung. Braucht Marokko Desertec überhaupt? Der ökologische Umbau der marokkanischen Energiewirtschaft jedenfalls hat bereits ohne die Deutschen begonnen. Seit seiner Thronbesteigung vor elf Jahren hat König Mohammed VI. die Modernisierung und Demokratisierung Marokkos mit großem Elan vorangetrieben. Der Nachfolger Hassan II. erließ ein neues Wahlrecht, setzte einen Rat für Menschenrechte ein, brachte ein Gleichstellungsgesetz für Frauen sowie Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzgesetze auf den Weg. Und er initiierte eine nationale Umweltschutzstrategie namens „Grünes Marokko“.

Doch die Energieversorgung des Landes blieb bislang die Achillesferse seiner Regentschaft: Das hohe Wirtschaftswachstum Marokkos geht mit überproportional stark steigendem Energieverbrauch einher. Weil es keine eigenen Lagerstätten von Öl, Gas oder Kohle besitzt, muss Marokko allerdings rund 95 Prozent seines Energiebedarfs importieren – das meiste davon in Form von Steinkohle aus Südafrika. Angesichts des jährlich um 7,5 Prozent steigenden Stromverbrauchs im Lande ein unhaltbarer und teurer Zustand.

Um ihn zu beenden, beauftragte der König seinen besten Mann: Mustapha Bakkoury. Der Finanzexperte hatte mit dem Bau des riesigen Tiefwasserhafens „Tanger Med“ seine Fähigkeiten bei der Durchführung nationaler Großprojekte bewiesen. Nun steht Bakkoury der neu gegründeten Marokkanischen Agentur für Solarenergie (MASEN) als Präsident vor. Die Marschrichtung gab König Mohammed im November auf einer Konferenz in Ouarzazate im Atlas-Gebirge vor: 2020 sollen erneuerbare Energien 42Prozent der Kraftwerkskapazitäten des Landes stellen – und die Importkosten fossiler Energien so um 500 Millionen Dollar pro Jahr verringern. Den Plänen zufolge soll nach der Fertigstellung des Pilotprojektes in Beni Mathar das dann größte solarthermische Kraftwerk der Welt mit 500 Megawatt Leistung in Ouarzazate errichtet werden, gefolgt von ähnlich großen Parabolrinnenkraftwerken in Beni Mathar und an drei weiteren Standorten in der West-Sahara.

MASEN-Präsident Bakkoury verschwendete keine Zeit: Im Februar, kurz nach der offiziellen Gründung der Agentur, trommelte er eine Konferenz potenzieller Geldgebern zusammen, darunter die Europäische und die Afrikanische Entwicklungsbank, die Französische Entwicklungsbank und die deutsche KfW Bankengruppe. Standortuntersuchungen und Umweltstudien wurden in Auftrag gegeben. Im Mai folgte die internationale Ausschreibung für das 500-Megawatt-Projekt in Ouarzazate. 180 Firmen bekundeten ihr Interesse, darunter viele Mitglieder der deutschen Desertec-Initiative.

In der Hauptstadt Rabat, nicht weit vom Touristenmagnet „Tour Hassan“ und dem Mausoleum der Könige, residiert in einer Stadtvilla hinter weiß getünchten Mauern die KfW Bankengruppe. Schon seit den 70er-Jahren ist die deutsche Förderbank im Auftrag der Bundesregierung im marokkanischen Energiesektor aktiv. Sie unterstützte das äußerst erfolgreiche Programm zur Elektrifizierung von fast zwei Millionen Haushalten in ländlichen Gebieten und half 1999 bei der Finanzierung des ersten marokkanischen Windparks bei Tanger.

Aus Sicht von Silke Stadtmann, Leiterin des KfW-Büros in Marokko, hat auch das erste solare Großprojekt in Ouarzazate gute Chancen, von internationalen Entwicklungsbanken mitfinanziert zu werden. „Die Kreditgeber sind untereinander wegen des Projekts seit Monaten ständig in Kontakt“, sagt Stadtmann, die seit acht Jahren in Marokko ist. „Das Interesse von privaten Investoren ist bereits riesengroß.“ Schon im September wollen die Geldgeber unter Leitung der marokkanischen Solarenergiebehörde eine erste Prüfung des Vorhabens durchführen. Einigen sich die Geberländer auf eine Finanzzusage, steht dem baldigen Baubeginn im Atlas kaum mehr etwas im Weg. „Ich halte es nach dem bisherigen Stand der Gespräche für möglich, dass ein erstes Teilprojekt von 125 bis 250 Megawatt finanziert wird“, sagt Stadtmann. „Es gibt Bemühungen auf marokkanischer Seite, private Investoren von Beginn an in das Finanzierungskonzept zu integrieren. Sollte dies nicht gelingen, werden sie bei der zweiten Ausbaustufe einsteigen – und spätestens dann kommt Desertec ins Spiel.“

Eine Einschätzung, die Rainer Aringhoff teilt. „Die finanziellen Hilfen der internationalen Gebergemeinschaft reichen nur für ein erstes solarthermisches Kraftwerk, nicht aber für den Ausbau der jetzt ausgeschriebenen 500 Megawatt und vor allem nicht für den geplanten Vollausbau des marokkanischen Solarplans von 2000 Megawatt aus“, glaubt der Chief Operating Officer der deutschen Desertec-Initiative Dii GmbH. Immerhin liegen die Kosten für die ersten 500 Megawatt in Ouarzazate bei etwa zwei Milliarden Euro – ein hoher Preis, gemessen an den Investitionskosten konventioneller Kraftwerke. „Wir können mit Desertec deshalb eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, aus diesem ersten Projekt eine ganze Projekt-Pipeline zu entwickeln, was die solarthermische Technologie marktfähig machen und die Kosten planbar senken würde“, sagt Aringhoff.

Die Marokkaner haben ein Finanzierungsproblem: Wegen der hohen Kapitalkosten ist Strom aus solarthermischen Kraftwerken etwa 13 Cent pro Kilowattstunde teurer als Strom aus konventionellen Kraftwerken. Um diese Finanzierungslücke zwischen Produktionskosten und Marktpreis zu schließen, arbeite Desertec mit der marokkanischen Solaragentur und den Geberländern an verschiedenen Modellen. „Dazu gehört, einen Teil des Solarstroms nach Europa zu exportieren“, sagt Aringhoff: „Durch die dort höher erzielbaren Vergütungen für Solarstrom – die aber immer noch deutlich billiger als aktuelle Solarstromförderung in Deutschland sind – hat man einen viel größeren Hebel, um Kraftwerke in Marokko zu finanzieren.“

Die Weiterleitung des Wüstenstroms durch ganz Europa sei eher nicht das Problem. Bis zum Ausbau weiterer grenzüberschreitender Leitungen genüge es, wenn Spanien als „Anlandepunkt“ den afrikanischen Strom im eigenen Land unterbringe. Frankreich, Deutschland und alle weiteren Länder könnten den Wüstenstrom zunächst nur „virtuell“ importieren – durch buchhalterische Verrechnung mit Spanien. „Dieses Vorgehen würde durch einen europaweit einheitlichen Einspeisetarif für afrikanische Solarenergie erheblich vereinfacht“, sagt Aringhoff. „Wir sind darüber mit einzelnen Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission in Gesprächen.

Desertec spielt für den zukünftigen Erfolg der nordafrikanischen Solarrevolution deshalb eine maßgebliche Rolle, glaubt Dirk Hoke, der Statthalter von Siemens in Marokko. Er hält den marokkanischen Solarplan trotz seiner gewaltigen Dimension für „realistisch und umsetzbar“. Desertec sei nicht nur wichtig für die Ausgestaltung der europarechtlichen Rahmenbedingungen. Allein die Resonanz der Medien, der Politik und der europäischen Wirtschaft auf die Desertec-Initiative, trägt aus seiner Sicht dazu bei, dass die Regierung in Rabat das Solarprogramm mit besonderem Engagement vorantreibt.

„Wir spüren, dass der Druck bei diesem Thema sehr hoch ist“, sagt der Manager, dessen Konzern bereits seit 54 Jahren im marokkanischen Industrie- und Energiesektor aktiv ist. Zwar wäre der ambitionierte Solarplan des Landes auch ohne Desertec entwickelt worden, betont Hoke. „Doch das bedeutet ja nicht, dass man nun die Anstrengungen nicht partnerschaftlich kombinieren kann.“

Ein Grund für das große Interesse der Industrie liegt auch im europäischen Emissionshandel: Die Konzerne können nach dem „Clean Development Mechanism“ (CDM) der EU ihre Klimaschutzauflagen besonders günstig erfüllen, wenn sie in Ökostromprojekte außerhalb Europas investieren. Auch die nationalen Regierungen haben einen starken Anreiz, Solarstromimporte aus Afrika in großem Stil zuzulassen: Artikel 9 der Europäischen Energie-Direktive erlaubt es den Mitgliedstaaten, das Ziel von 20 Prozent erneuerbarer Energie bis zum Jahr 2020 auch mithilfe von Ökostromimporten aus anderen Regionen zu erfüllen. Das könnte weitaus günstiger sein, als Ökostromtechniken im eigenen Land hoch zu subventionieren.

Die Anreize auf europäischer Seite geben dem marokkanischen Solarplan Schub. Im „Quartier Administratif“ von Rabat empfängt Amina Benkhadra ihre Besucher mit einem Glas stark gesüßtem Pfefferminztee. Die Ministerin für Energie, Minen, Wasser und Umwelt sieht in Desertec einen wichtigen Partner für die Entwicklung der erneuerbaren Energien am Mittelmeer. „Desertec passt in eine Welt zunehmender gegenseitiger Abhängigkeiten“, sagt Benkhadra. „Wir müssen unsere Mittel zusammentun, unsere nationalen Ressourcen, technischen Kompetenzen und finanzielle Mittel, um diese ambitionierten Ziele zu erreichen.“

Das erste solarthermische Großprojekt in Ouarzazate werde zwar zunächst vor allem zur Deckung der heimischen Nachfrage arbeiten. „Wir prüfen aber, einen Teil der Solarenergie zu exportieren, um auf diese Weise die noch bestehende Finanzierungslücke zu schließen.“ Damit könnte der erste Wüstenstrom gleich nach Fertigstellung der Anlage im Jahre 2015 auch zur europäischen Stromversorgung beitragen: „Ob das zehn, fünfzehn, zwanzig oder mehr Prozent sein können, wird derzeit evaluiert“, sagt Benkhadra. Von den Großprojekten in Marokko hin zu einem Kraftwerksnetz, das sich nach Ägypten und in den Nahen Osten spannt, wie es die Desertec-Vision vorsieht, wäre es dann kein allzu großer Schritt mehr.

Eines will Amina Benkhadra allerdings unbedingt verhindern: dass Marokkos Rolle auf die eines reinen Lieferanten von Kilowattstunden reduziert wird. „Das Solarprojekt soll auch ein Hebel für mehr Wachstum sein“, sagt Benkhadra. „Wir wollen deshalb so weit wie möglich an der gesamten Wertschöpfungskette teilhaben.“ Anlagenbau, Forschung und Entwicklung müssten zumindest zum Teil in Marokko selbst stattfinden. „Wenn gesagt würde, wir bringen unsere eigene Technik mit, produzieren bei euch Strom und exportieren den wieder, dann wäre das nicht im Interesse Marokkos.“

Dass sich die Ministerin mit dieser Position bei der internationalen Gebergemeinschaft und den europäischen Investoren durchsetzen kann, darf heute schon als sicher gelten. Denn Benkhadra weiß um die geradezu idealen Voraussetzungen, die ihr Land bei der Erfüllung des europäischen Solartraumes mitbringt – und die Europäer wissen es auch: „Marokko hat in geografischer Hinsicht eine sehr interessante strategische Position, die uns zu einem Drehkreuz der Energiewirtschaft in der europäischen Mittelmeerregion macht.“

Quelle: Welt Online