Drei Jahre lang untersuchten Wissenschaftler eines der größten tropischen Riffe - und konnten die Veränderungen in deren Lebenszyklus genau verfolgen.
Die Folgen des Klimawandels breiten sich im Meer so schnell aus, dass die Wissenschaft nicht hinterherkommt. Davon ist Frank Schweikert, Chef des Forschungs- und Medienschiffs "Aldebaran" überzeugt. Drei Jahre reisten kleine Wissenschaftlerteams im Frühjahr an die Küste des mittelamerikanischen Staates Belize, um an Bord der knallgelben, 14 Meter langen Segelyacht mit Heimathafen Hamburg Riffe und Meeresböden der westlichen Karibik zu untersuchen. Nun werden die Erkenntnisse aufbereitet und im Dezember beim Uno-Klimagipfel in Kopenhagen präsentiert.
Im September 2006 setzte die "Aldebaran"-Crew Segel mit Kurs "Sinking Paradise" (versinkendes Paradies), so der Projektname. Schweikert: "Die Klimaszenarien des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie hatten uns aufgerüttelt, wir suchten nach einer Möglichkeit, die Gefahren der Zukunft in Bilder zu fassen. Die Karibik ist besonders gut geeignet: Die flachen Inseln sind vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht. Das Abholzen von Mangroven macht sie schutzlos gegen Fluten. Die Hurrikanintensität wird vermutlich steigen - Wirbelstürme können kleine Inseln vernichten."
Noch wichtiger waren dem Team die Geschehnisse unter Wasser. Vor Belize erstreckt sich das zweitgrößte tropische Korallenriff der Welt. Riffe sind extrem artenreich. Sie leiden besonders unter dem Klimawandel und der Versauerung des Meeres durch im Wasser gelöstes Kohlendioxid. Eine Folge beobachtete Algenspezialist Prof. Dieter Hanelt von der Uni Hamburg schon 2007: Algen, die mit den geänderten Umweltbedingungen besser zurechtkommen als Steinkorallen, begannen die Korallen zu überwuchern. "In diesem Jahr haben wir dieses Phänomen fast an allen 25 Probenahmeorten gefunden, die Dimension, in der sich diese Entwicklung abspielt, ist gigantisch."
Hanelt nutzte die Chance, tropische Algen danach zu untersuchen, wie sie Sonnenstrahlung vertragen. Besonders Bewohner größerer Tiefen bekamen bei künstlicher UV-Bestrahlung an Bord einen "Sonnenbrand": Sie wurden braun, ihre Photosytheseleistung sank. Flachwasseralgen, die Tropensonne eher gewöhnt sind, erwiesen sich als widerstandsfähiger. Sie konnten Schäden besser reparieren.
"Diese Ergebnisse widersprechen der gängigen wissenschaftlichen Meinung, UV-Strahlung sei immer schädlich", sagt Hanelt. Das Projekt habe das Spektrum seiner Forschung erweitert: "Unsere Schwerpunkte liegen auf Algen aus gemäßigten Breiten und Polarregionen, die sehr empfindlich auf Sonne reagieren. Tropische Algen sind angepasster."
Hamburger Kollegen begaben sich in diesem Jahr auf die Spur der Ruderfußkrebse, der Hauptnahrung der Fischwelt. Aktuelle Forschungen zeigen, dass veränderte Wassertemperaturen ihren Lebenszyklus beeinflussen - mit noch ungeklärten Folgen für die Lebensgemeinschaft Riff.
Dr. Oliver Colemann vom Naturkunde-Museum Berlin forscht an Flohkrebsen. Weltweit sind um die 8000 Arten bekannt. Die meisten messen zwischen einem Millimeter und einem Zentimeter. Doch viele sind noch unentdeckt - vermutlich bevölkern 40 000 bis 80 000 Flohkrebsarten den Planeten, meist im Wasser.
Bei Tauchgängen sammelte Colemann (tote) Korallenstücke, Sand oder Algen, um an Bord die Minikrebse aus den Proben zu sortieren und in Alkohol zu konservieren. Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt in Berlin, denn sie erfordert viel Literatur, leistungsfähige Mikroskope und einen Arbeitstisch, der nicht schwankt. Es gilt, neue Arten zu entdecken. Und dazu müssen unter dem Lichtmikroskop bei 1000-facher Vergrößerung Details wie Borsten und Beine untersucht und mit den beschriebenen Arten verglichen werden.
Während die farbenprächtige Fischwelt der Riffe recht gut untersucht ist, bleiben die Abertausenden winzigen Mitglieder der sensiblen Korallensysteme eher im Verborgenen. "Oft haben wir in der Meeresforschung kaum Basisdaten, um Entwicklungen erkennen zu können", klagt Frank Schweikert. "Mit unserem Projekt haben wir solche Daten erhoben."
Das "Caribbean Community Climate Change Center" in Belize, das das Thema Klimawandel für 16 Karibikstaaten bearbeitet, hat das "Aldebaran"-Team bereits gebeten, ein neues Projekt zu starten und einige Jahre weiterzuforschen. Die finanziellen Mittel könnten von der Weltbank und aus Deutschland kommen. Schweikert: "Unsere Partner kontaktieren gerade die Weltbank, und wir sind mit Vertretern der Bundesregierung im Gespräch."
Die "Aldebaran" präsentiert auf der Kieler Woche das Belize-Projekt (20.-28.6., Olympiahafen Schilksee, www.aldebaran.org )