Zwei Drittel glauben, dass Merkel den Überblick verliert. Thomas de Maizière beliebtester Minister, Guido Westerwelles Ansehen erreicht Tiefstand.
Berlin. Die Deutschen blicken wegen der Schuldenkrise in Europa so sorgenvoll in die Zukunft wie seit eineinhalb Jahren nicht mehr. Obwohl sie die konkreten Maßnahmen der Bundesregierung zur Stabilisierung des Euro mehrheitlich ablehnen und der Regierung insgesamt ein schlechtes Zeugnis ausstellen, stehen sie der europäischen Einigung nach wie vor grundsätzlich positiv gegenüber. Das ist das zentrale Ergebnis des "Deutschlandtrends", den die Meinungsforscher von Infratest dimap im Auftrag der "ARD-Tagesthemen" und der "Welt" erhoben haben.
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"Der schlimmste Teil der Euro- und Schuldenkrise steht uns noch bevor" - dieser Aussage stimmen 80 Prozent der Befragten zu, was noch einmal fünf Punkte mehr sind als vor einem Monat und erheblich mehr als vor einem Jahr. Drei Viertel sehen ihren Wohlstand bedroht, und etwas mehr als die Hälfte (57 Prozent) macht sich Sorgen um seine Ersparnisse. Ein ähnliches Stimmungsbild ergab sich bereits vor zwei Jahren, als die internationale Finanzkrise die Schlagzeilen beherrschte und die damalige Bundesregierung gerade ihr zweites Konjunkturpaket auf den Weg gebracht hatte. Größer war die Sorge bislang nur vor einem Jahr auf dem vorläufigen Höhepunkt der Griechenland-Krise.
Immerhin: Nur ein Viertel der Erwerbstätigen macht sich derzeit Sorgen um seinen Arbeitsplatz. Diese Zuversicht, die im Kontrast zur befürchteten Entwicklung der Krise steht, war bereits während der Finanz- und Wirtschaftskrise festzustellen. Mehr noch: Seit einem Jahr wird das Vertrauen in die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes kontinuierlich größer.
Dass die Politik im Allgemeinen und die Bundesregierung im Besonderen die Krise bewältigen kann, glauben jedoch die wenigsten Deutschen. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen eine tiefe Skepsis gegenüber der Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen. So meinen drei von vier Befragten, dass die Finanzmärkte über die Zukunft des Euro entscheiden und nicht die Politik. Zwei von drei meinen sogar, die Bundesregierung habe angesichts des Ausmaßes den Überblick über die Krise verloren. Dementsprechend glauben noch nicht einmal 30 Prozent, dass die deutsche Regierung bislang die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Diese Kritik an der Regierung ist in den vergangenen Monaten kontinuierlich größer geworden. Seit etwa einem Dreivierteljahr gibt es mehr Bundesbürger, die den Kurs der Regierung ablehnen, als solche, die ihm zustimmen. Vor einem Jahr noch war das genau andersherum.
Ganz konkret wenden sich die Bundesbürger mit großer Mehrheit gegen eine Erweiterung des Euro-Rettungsschirms. Zwei Drittel meinen, der Bundestag solle dieser Erweiterung bei der entscheidenden Abstimmung Ende dieses Monats nicht zustimmen, nur 30 Prozent sind dafür. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die selbst Mühe hat, unter den Abgeordneten der schwarz-gelben Koalition eine Mehrheit für die entsprechenden Beschlüsse zu organisieren, bedeutet das nichts Gutes - auch wenn ihre persönlichen Beliebtheitswerte im vergangenen Monat eher besser geworden sind, wenn auch auf einem niedrigen Niveau. Auch einheitliche Staatsanleihen für den Euro-Raum, sogenannte Euro-Bonds, lehnen die Deutschen ab. Mehr als die Hälfte ist dagegen, lediglich etwas mehr als ein Drittel ist dafür.
Die Annahme, dass die Bürger vor diesem Hintergrund skeptischer auf Europa und die europäische Einigung blicken, erweist sich als falsch. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen - 64 Prozent - meint sogar, dass es zukünftig "mehr gemeinsame Politik in Europa" geben soll. Ebenfalls zwei Drittel der Befragten meinen, Deutschland könne seine wirtschaftliche Position ohne eine starke EU nicht behaupten. Und nur rund die Hälfte (49 Prozent) vertritt die Auffassung, Deutschland komme auch ohne die EU zurecht.
Dass Altkanzler Helmut Kohl hohes Ansehen in der Bevölkerung genießt, lässt sich daran erkennen, dass eine große Mehrheit (68 Prozent) seine jüngst in einem Interview geäußerte Kritik an der deutschen Außenpolitik unterstützen. Nur ein Viertel widerspricht ihm. Dieses Ergebnis mag allerdings auch mit dem Ansehen des gegenwärtigen Außenministers Guido Westerwelle (FDP) zusammenhängen. Seine Beliebtheitswerte waren zwar nie besonders groß, aber sie sind wieder auf einen Tiefstand gefallen. Nur 20 Prozent der Befragten sind noch mit seiner politischen Arbeit zufrieden; ähnlich schlecht waren die Werte bereits im Februar. Das ist insofern paradox, als eine leichte Mehrheit der Deutschen Westerwelles umstrittener Entscheidung zustimmt, wonach Deutschland sich nicht an den Militäraktionen der Nato in Libyen beteiligen soll. Dennoch ist der Außenminister der am wenigsten beliebte Spitzenpolitiker überhaupt - noch hinter Linken-Fraktionschef Gregor Gysi und dem FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler. An der Spitze der Skala und damit zugleich der beliebteste Vertreter der Koalition ist dagegen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), mit dem 57 Prozent der Deutschen zufrieden sind.
Es folgen die SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück sowie CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble. Bundeskanzlerin Angela Merkel landet mit einer Zustimmung zu ihrer Arbeit von 47 Prozent nur noch auf Platz sechs.