In der Euro-Rettung bringen Abweichler und Bedenkenträger die Koalition in Bedrängnis. Die Sorgen vor einem zu engen Zeitplan wachsen.
Berlin. Noch hat Angela Merkel Ruhe. Wenn das Bundeskabinett an diesem Mittwoch der Erweiterung des Euro-Rettungsfonds EFSF zustimmt, wird die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin von dem Gegenwind aus den eigenen Reihen nicht viel spüren. Die Wochen danach werden für sie anders sein. In den Regierungsfraktionen von CDU, CSU und FDP wächst die Sorge, man könne sich mit dem straffen Zeitplan bis zur finalen Abstimmung in der dritten Septemberwoche übernehmen. Gleichzeitig ist unsicherer denn je, ob Schwarz-Gelb eine eigene Mehrheit erreicht, ohne auf die Opposition angewiesen zu sein.
Dem Magazin "Focus" zufolge sollen 23 Abgeordnete bereits ihr Nein signalisiert haben. Union und FDP bräuchten allerdings zusammen 311 der insgesamt 620 Stimmen im Parlament, um aus eigener Kraft dem Reformpaket zuzustimmen. Die Koalition verfügt über 330 Abgeordnete im Bundestag. Der bisher prominenteste Verweigerer der verstärkten Rettungsmaßnahmen angeschlagener Euro-Länder ist der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses. "Ich weiß, dass es problematisch ist, wenn die Regierung in diesem Punkt keine eigene Mehrheit hat, aber deshalb kann ich doch nicht gegen meine Überzeugung abstimmen", sagte er am Wochenende. Auch der CDU-Arbeitsmarktexperte Carsten Linnemann ist mit seinem Nein bereits an die Öffentlichkeit gegangen: "Für jeden Ökonomen ist leicht zu erkennen, dass wir bei Griechenland immer wieder nachschießen müssen. Das Geld geht dann eins zu eins in die Zinszahlungen an die Gläubiger", kritisierte Linnemann.
Die Koalitionsspitzen müssen also noch eine Menge Überzeugungsarbeit leisten. Keine eigene Mehrheit zu erlangen würde den Spekulationen über einen Koalitionsbruch weiter Nahrung geben. Die Verunsicherung über den Rückhalt der eigenen Reihen, aber auch der enge Zeitplan zwischen Kabinett und Bundesratsabstimmung macht führenden Koalitionären zu schaffen. Erste Stimmen fordern weniger gehetzte Arbeit in Bundestag und Bundesrat. Im Abendblatt-Gespräch schlug der parlamentarische CSU-Landesgruppengeschäftsführer Stefan Müller vor, die Abstimmungen von Bundestag und Bundesrat um eine Woche zu verschieben. "Es spricht vieles dafür, die zweite und dritte Lesung des Bundestags auf den 29. September und den Bundesrat auf den 30. September zu verlegen", sagte Müller.
Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagfraktion, Jürgen Koppelin, forderte, den Bundesrat später als bislang geplant abstimmen zu lassen. "Sollte der Bundestag am 22. September abstimmen, braucht der Bundesrat unbedingt mehr Zeit für Beratungen", sagte der FDP-Landeschef von Schleswig-Holstein dem Abendblatt. "Ich rate dringend dazu, die Länderkammer eine Woche später entscheiden zu lassen", so der FDP-Haushälter. Nach derzeitigem Stand sollen Bundestag und Bundesrat spätestens am 23. September über den Euro-Rettungsfonds abstimmen.
Er halte auch die Bundestagsberatungen für sehr eng gesteckt, kritisierte Koppelin. "Ich frage mich, wann ich mich eigentlich in die Papiere einlesen soll." Er forderte die Regierungsfraktionen auf, die SPD bei den Beratungen zur EFSF-Verabschiedung vorsichtshalber einzubeziehen. "Bei einer Entscheidung dieser Tragweite sollten die Oppositionsparteien eingebunden werden, mindestens aber die SPD als größte Oppositionspartei." Auch zu Zeiten der Großen Koalition sei die FDP immer wieder einbezogen worden. "Diesen Stil sollten wir fortsetzen."
Ob und ab wann der Bundestag in Zukunft über die deutschen Hilfen aus dem Rettungsfonds walten kann, auch darüber gibt es innerhalb der Koalition noch reichlich Klärungsbedarf. Koppelin sprach sich dafür aus, den Haushaltsausschuss des Bundestags über dringende EFSF-Entscheidungen beraten zu lassen: "Jede Tranche, die wir im Rahmen des EFSF überweisen werden, sollte zumindest vom Haushaltsausschuss genehmigt werden." Auch der CSU-Politiker Müller forderte, dass der Bundestag "umfassend an den Entscheidungen über Euro-Hilfen beteiligt werden" müsse. Das sei verfassungsrechtlich geboten. "Denkbar wäre, dass jede erstmalige Aktivierung von der Zustimmung des Parlaments, sei es als Beschluss oder sei es als Gesetz, abhängig gemacht werden muss", so Müller. "Darüber hinaus müsste auch nochmals eine Beteiligung des Bundestags bei Sekundärmarktankäufen sowie bei der Freigabe einzelner Kredittranchen diskutiert werden."
Die Frage nach den Bedingungen für den milliardenschweren Rettungsschirm beschäftigt vor allem die CSU intensiver, als der Schwesterpartei CDU lieb ist. Bei einer Präsidiumssitzung am heutigen Montag will die Parteispitze für sich festlegen, wie viel Einfluss Parlament und Bundesregierung für sich beanspruchen müssen. Die Bundesregierung müsse "ihre Veto-Position" so einsetzen, dass es am Ende nicht "zu Euro-Bonds, zu einem Europäischen Währungsfonds und zu einer dauerhaften Transferunion kommt", heißt es in einem Positionspapier. Auch fordert die CSU "die Ermöglichung eines Insolvenzverfahrens für Staaten und Banken der Euro-Zone". Sei ein Mitgliedstaat nicht gewillt, die Konvergenzkriterien dauerhaft zu erfüllen, bestehe die Möglichkeit, die Euro-Zone zu verlassen. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt versicherte zugleich, "die CSU unterstützt die Maßnahmen der Bundeskanzlerin zur Stabilisierung in der Euro-Zone".
Nur wie sehen diese Maßnahmen am Ende aus? Merkels Stellvertreter, FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler, will der Kanzlerin eine Verschärfung der Maastricht-Kriterien für die jährliche Neuverschuldung der Euro-Staaten abringen. "Ich kann mir vorstellen, dass die derzeit geltende Defizitgrenze im Stabilitäts- und Wachstumspakt von drei Prozent mittelfristig weiter abgesenkt wird", sagte Rösler der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warb dafür, dass die EU-Staaten in bestimmten Bereichen "ein Stück ihrer nationalen Souveränität abgeben" müssten. Der Weg einer "Vergemeinschaftung der Finanzpolitik" müsse gegangen werden, bevor über Euro-Bonds, also ein System einheitlicher Zinsen im Euro-Raum, gesprochen werden könne, sagte Schäuble dem "Tagesspiegel am Sonntag".
Noch einen Schritt weiter denkt bereits Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende forderte als Konsequenz aus der Euro-Krise einen Ausbau der politischen Union in Europa. "Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa", sagte die Ministerin dem "Spiegel". Spätestens Mitte kommender Woche wird es für die Kanzlerin richtig ernst. Am 7. September entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der ersten Griechenland-Hilfen. In der Koalition heißt es, dass die Richter die Höhe möglicher Hilfskredite in seinem Urteil begrenzen könnten. Deshalb werde bereits an einem Plan gearbeitet, Kapital für drohende Ausfälle im Haushalt auszuweisen. Nach ersten Berechnungen müssten im Bundeshaushalt 2012 bereits fünf Milliarden Euro als Risikovorsorge eingestellt werden. Auch darüber dürfte der Bundestag besorgt sein. Noch zeigte sich Merkel im Interview mit "Bild am Sonntag" sicher, dass die Koalitionsfraktionen sich überzeugen lassen werden, "gemeinsam die Stabilität des Euro zu stärken".