CDU ist genervt, BDI-Präsident fordert Regierung auf, sich mit “echten Problemen“ zu befassen.
Berlin. Hans-Peter Friedrich ist gestern endgültig der Hut hochgegangen. Der CSU-Landesgruppenchef, vom Naturell her ein höflich besonnener Mann, machte seinem Unmut in ungewohnter Schärfe Luft. Er sprach erstmals öffentlich an, was er vorher nur im kleinen Kreise thematisiert hatte: die "ständigen Querschüsse" aus München. "Äußerungen von nicht zuständigen Politikern aus dem Süden des Landes" seien kontraproduktiv, rügte Friedrich. Schließlich sei es die Aufgabe der CSU-Landesgruppe, "Politik für Deutschland zu gestalten", und diese Arbeit werde durch das "Störfeuer" aus München nicht gerade erleichtert.
Das zielte gegen CSU-Chef Horst Seehofer und den bayerischen Gesundheitsminister Markus Söder, die zuletzt in sehr markigen Worten ihr Veto gegen die in der Koalition verabredete Umstellung der Krankenkassenbeiträge auf eine Pauschale angekündigt hatten.
Damit ist ein neues Stadium im Koalitionsstreit erreicht: Seit gestern streiten sich nicht nur FDU und CDU und CSU und FDP, seit gestern haben sich auch die nach Berlin entsandten CSU-Politiker mit den Parteifreunden daheim in der Wolle. Die Berliner Bayern vermissen nach Friedrichs Worten nicht nur den Respekt vor ihrer eigenen Arbeit, sondern auch den Respekt "vor unseren Koalitionspartnern FDP und CDU".
Besonders schlecht sind sie auf Söder zu sprechen, der am Wochenende nun sogar Sinn und Zweck der Regierungskommission zur Gesundheitsreform infrage gestellt hatte. Friedrich empfahl einen Blick in die Verfassung. Dann könnten bestimmte Landesminister feststellen, "dass sie in den Bereichen, zu denen sie sich äußern, überhaupt nicht zuständig sind". Im Prinzip sei nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Landesminister "konstruktiv" in die Bundespolitik einbrächten - "Das ist etwas, was wir immer begrüßen!" -, aber leider höre man aus Bayern "nur weniger konstruktive Meldungen".
Es dauerte erwartungsgemäß nicht lange, bis Seehofers Mann zurückschoss. Hans-Peter Friedrich sei offenbar "noch nicht so in den Tiefen der Gesundheitspolitik verankert", erklärte Markus Söder am Nachmittag herablassend in München. Bayern habe zur Gesundheitspolitik hingegen schon ein ganzes Dutzend guter Vorschläge gemacht: "Es wäre eine tolle Sache, wenn wir von der Landesgruppe noch stärker unterstützt würden. Da kann man wirklich noch zulegen." Die Kopfpauschale dürfe jedenfalls nicht kommen. 80 Prozent der Deutschen seien gegen die Kopfpauschale, und eine Volkspartei könne nicht gegen das Volk agieren. Da wäre es schön, stichelte Söder, "wenn wir mehr konstruktive Unterstützung bekämen von den zuständigen Bundespolitikern".
In der Schwesterpartei reagierte man genervt. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), sagte: "Koalitionen sind nie einfach. Manchmal, wenn man das Gefühl hat, dass man mit dem Koalitionspartner eine gewisse Beruhigung der Lage erreicht hat, wird man von den eigenen Parteifreunden oder -schwestern mit Diskussionen konfrontiert." Auf die Frage, ob Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Machtwort sprechen müsse, antwortete Altmaier: "Machtworte sind nicht die Sache der Kanzlerin. Sie ist keine Basta-Kanzlerin." Im Übrigen sei das Thema Gesundheitspolitik im Kreise der drei Parteivorsitzenden beschlossen worden, "und deswegen erwarten wir, dass diese Absprachen auch von allen Beteiligten eingehalten werden".
Der Krach in der CSU wird den Präsidenten des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, in seiner Überzeugung bestätigt haben, dass die Regierungsparteien "fahrlässig" mit ihrer Verantwortung umgehen. Keitel hat Union und FDP gestern aufgefordert, sich mit echten Problemen auseinanderzusetzen "und nicht nur mit der Frage, wie sich ein Problem auf die nächste Wählerbefragung auswirkt". Die Debatte über die Sozialleistungen habe die Koalition nur "aus wahltaktischen Gründen" losgetreten, meinte Keitel gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".