Angebot von Gaddafi wiesen die Aufständischen entschieden zurück. Angriff auf Küstenstadt Sirte wird vorbereitet. Sorge vor Chemiewaffen.
Tripolis. Die libyschen Rebellen haben am Sonntag ein mutmaßliches Verhandlungsangebot des bisherigen Machthabers Muammar al Gaddafi entschieden zurückgewiesen. Mit der Eroberung der Stadt Bin Dschawad meldeten sie zugleich einen weiteren militärischen Erfolg. Auch die letzte Gaddafi-Bastion Sirte wurde ins Visier genommen. In der Hauptstadt Tripolis arbeiteten die Aufständischen unter Hochdruck an der Wiederherstellung der Wasser- und Stromversorgung. Das telefonisch von Gaddafi-Sprecher Mussa Ibrahim übermittelte Gesprächsangebot bezeichneten die Rebellen als wahnwitzig. „Wir verfolgen sie als Kriminelle. Wir werden sie schon bald verhaften“, sagte Mahmud Schammam, der Informationsminister des Nationalen Übergangsrates.
Eine Woche nach ihrem Einmarsch in Tripolis haben die Rebellen eigenen Angaben zufolge die Hauptstadt und auch den Großteil des übrigen Landes unter ihrer Kontrolle. Mit Unterstützung von NATO-Kampfflugzeugen konzentrierte sich die Suche nach dem untergetauchten Machthaber auf dessen Heimatstadt Sirte. Die Aufständischen erklärten, sie seien bemüht, die regimetreuen Kämpfer in Verhandlungen zur Kapitulation zu bewegen. „Wir wollen kein weiteres Blutvergießen“, sagte Schammam. Rebellenkommandeur Fald-Allah Haron erklärte jedoch, die Gespräche seien gescheitert. Nach der Eroberung der gut 500 Kilometer östlich von Tripolis gelegenen Stadt Bin Dschawad positionierten sich die Kämpfer östlich von Sirte und warteten auf weitere Luftangriffe der NATO.
Die Lage in Tripolis blieb unterdessen weiter angespannt. Die Strom- und Wasserversorgung war größtenteils unterbrochen. Auf den Straßen lagen Müllberge und verkohlte Autos, die meisten Geschäfte waren geschlossen. In verlassenen Krankenhäusern befanden sich noch immer viele Leichen. Auf dem Flughafen von Tripolis standen ausgebombte Flugzeuge. Schammam sagte, die Lieferung von Dieselöl für Wasser- und Elektrizitätswerke sei auf dem Weg. Mit der Verteilung von 30.000 Tonnen Benzin sei bereits am Samstag begonnen worden. Ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gechartertes Schiff mit Lebensmitteln, Wasser und medizinischen Hilfsgütern legte am Samstag im Hafen von Tripolis an. Am Sonntag gingen etwa 1.000 gestrandete Ausländer an Bord, die in ihre Heimat zurückgebracht werden sollten, wie die IOM mitteilte.
Unterdessen kamen weitere Gräueltaten im Rahmen der Kämpfe um Tripolis ans Licht. So haben Anhänger Gaddafis nach Erkenntnissen von Menschenrechtlern beim Vorrücken der Rebellen auf die Hauptstadt mindestens 17 Gefangene getötet. Außerdem seien Dutzende Zivilpersonen in der vergangenen Woche willkürlich umgebracht worden, erklärte die in New York ansässige Organisation Human Rights Watch am Sonntag. Ein nach eigenen Angaben Überlebender eines Massakers berichtete der Nachrichtenagentur AP, dass Anhänger Gaddafis das Feuer auf 130 gefangene Zivilisten eröffnet hätten. Ein AP-Reporter sah mindestens 50 verkohlte Leichen in der Nähe eines früheren Militärlagers der Regierungstruppen.
In Deutschland zollte Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Einsatz der NATO-Verbündeten in Libyen ihre Anerkennung. Sie habe dafür „tiefen Respekt“, sagte die CDU-Politikerin der „Bild am Sonntag“. Die Teilnahme Deutschlands an einer möglichen UN-Mission in Libyen will Merkel prüfen. Die Mehrheit der Deutschen ist allerdings offenbar gegen einen möglichen Einsatz der Bundeswehr in Libyen. In einer Emnid-Umfrage für das Magazin „Focus“ votierten 56 Prozent der Befragten gegen ein Eingreifen der Bundeswehr zur Absicherung eines Friedens in Libyen. 37 Prozent würden einem solchen Einsatz demnach zustimmen.
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18.58 Uhr: Der libysche Übergangsrat hat knapp eine Woche nach dem Fall von Tripolis erstmals eine humanitäre Krise in der Hauptstadt eingeräumt. Der Sprecher des Rates, Schamsiddin Ben Ali, forderte deshalb am Sonntag alle im Ausland arbeitenden libyschen Ärzte auf, sofort in ihre Heimat zurückzukehren. Darüber hinaus sei wegen der vielen Verletzten mehr Nachschub an Medikamenten und medizinischen Ausrüstungen notwendig, sagte der Sprecher dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira. Der Rat sucht außerdem nach mehr als 50.000 Häftlingen, die spurlos verschwunden sind. Diese Gefangenen würden möglicherweise in unterirdischen Bunkeranlagen festgehalten, sagte Ben Ali.
15.47 Uhr: Die Aufständischen in Libyen schließen Verhandlungen mit dem untergetauchten Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi aus. „Es wird keine Verhandlungen mit Gaddafi geben. Er ist gestürzt und gehört der Vergangenheit an“, sagte Salam Darbi, einer der Rebellenkommandeure, am Sonntag dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira. Nach unbestätigten Berichten, soll Gaddafi der Übergangsregierung angeboten haben, über eine Machtteilung zu verhandeln. Die Aufständischen kontrollieren inzwischen weite Teile der Hauptstadt Tripolis, andernorts wird noch erbittert gekämpft.
15.24 Uhr: Mit dem Ziel ihrer Evakuierung aus der libyschen Hauptstadt sind in Tripolis rund 1.000 Menschen aus Ägypten, Jordanien sowie von den Philippinen an Bord einer Fähre gelangt. Organisiert hatte die Aktion die Internationale Organisation für Migration (IOM), die damit Ausländern helfen will, deren Heimatstaaten nicht über die Mittel verfügen, ihre Staatsangehörigen in Sicherheit zu bringen. Die meisten Ausländer haben angekündigt, dass sie wieder an ihre Arbeitsplätze in Libyen zurückkehren wollen, wenn sich die Lage im Land beruhigt hat. Bereits zu Beginn des Aufstands im Februar waren hunderttausende ausländische Arbeiter aus Libyen geflohen.
12.53 Uhr: Libysche Rebellen haben nach Angaben eines Sprechers die Küstenstadt Bin Dschawad eingenommen. Die Truppen des bisherigen Machthabers Muammar al Gaddafi seien in Richtung Westen geflohen und wollten sich vermutlich dessen Kämpfern in Sirte anschließen, sagte Rebellensprecher Mohammed al Radschali am Sonntag. Kämpfer der Aufständischen hätten in Bin Dschawad, 560 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Tripolis, Stellung bezogen. Die Rebellen kontrollieren inzwischen den größten Teil des Landes. Sie haben damit gedroht, Sirte – die Heimatstadt Gaddafis - anzugreifen, sofern die Stammesführer dort einer friedlichen Machtübergabe nicht zustimmten.
11.15 Uhr: Mit einer Fähre will die Internationale Organisation für Migration (IOM) erneut Ausländer aus Tripolis in Sicherheit bringen. IOM-Sprecherin Jemini Pandya erklärte am Sonntag, die Fähre habe am Samstag zunächst Nahrungsmittel, Wasser und medizinische Güter in die libysche Hauptstadt gebracht. Am Sonntag oder Montag sollten dann mindestens 1.000 Ausländer aus Libyen herausgebracht werden. Bereits am Donnerstagabend hatte ein von der IOM gechartertes Schiff 263 Ausländer über Bengasi nach Ägypten gebracht. An Bord waren Menschen aus 15 Ländern. Pandya erklärte, am schwierigsten sei es angesichts der Sicherheitslage in Tripolis, die Ausländer auf das Schiff zu bringen.
11.02 Uhr: Die Mehrheit der Deutschen ist gegen einen möglichen Einsatz der Bundeswehr in Libyen. In einer Emnid-Umfrage für das Magazin „Focus“ votierten 56 Prozent der Befragten gegen einen Einsatz der Bundeswehr zur Absicherung eines Friedens in Libyen. 37 Prozent würden einem solchen Einsatz zustimmen. Sieben Prozent machten keine Angabe. TNS Emnid befragte im Auftrag des Magazins 1.000 repräsentativ ausgewählte Personen. Nach Ansicht des Parlamentarischen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), kann sich Deutschland allerdings „dieses Mal auf keinen Fall raushalten“. Auch Unions-Außenexperte Philipp Mißfelder schloss einen „kleinen Beitrag“ Deutschlands nicht aus. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hatte angekündigt, ein mögliches Engagement der Bundeswehr „konstruktiv zu prüfen“. sollte eine konkrete Anfrage kommen.
10.30 Uhr: Die Aufständischen in Libyen stehen nach eigenen Angaben zum Angriff auf die Küstenstadt Sirte bereit. Zunächst solle aber weiter der Ausgang von Verhandlungen mit den Stammesführern über eine friedliche Übergabe der Heimatstadt des untergetauchten Diktators Muammar al-Gaddafi abgewartet werden, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira am Sonntag. Sirte ist eine der Städte, die nach dem Fall von Tripolis noch in der Hand von Gaddafi-Unterstützern ist. Sie liegt etwa in der Mitte zwischen der libyschen Hauptstadt und der Rebellen-Hochburg Bengasi. Den Kämpfern bereiteten mögliche Chemiewaffen und Raketen größerer Reichweite der Gaddafi-Truppen am meisten Kopfzerbrechen,
10.19 Uhr: Anhänger des bisherigen libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi haben nach Erkenntnissen von Menschenrechtlern beim Vorrücken der Rebellen auf Tripolis mindestens 17 Gefangene getötet. Außerdem seien Dutzende Zivilpersonen in der vergangenen Woche willkürlich umgebracht worden, erklärte die in New York ansässige Organisation Human Rights Watch am Sonntag. Es gebe deutliche Hinweise darauf, dass Regierungstruppen während des Falls von Tripolis eine Serie willkürlicher Tötungen begangen hätten, erklärte Sarah Leah Witson von Human Rights Watch. Die Organisation berief sich auf Überlebende und Augenzeugen.
10.14 Uhr: Trotz erster Anzeichen einer Normalisierung in der libyschen Hauptstadt Tripolis fehlt es nach Angaben von „Ärzte ohne Grenzen“ dringend an Wasser, Strom, Nahrungsmitteln und Medizin. Teile der Zentralklinik seien zerstört, und wichtige Operationen müssten verschoben werden, weil es zu wenig Diesel für den Stromgenerator gebe, sagte Anja Wolf, die medizinische Koordinatorin der Hilfsorganisation in Tripolis
(abendblatt.de/dapd/epd)
Von Hadeel Al-Shalchi und Paul Schemm