Hinhaltetaktik? Es gibt Unruhe in der Fraktion, weil die Pflegereform verzögert werden soll. Junge Unions-Gruppe warnt vor Kostenexplosion.
München. In der Union regt sich nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ Widerstand gegen die Haltung der Koalitionsführung bei der Reform der Pflegeversicherung. Das gehe aus einem Manifest hervor, das 22 vorwiegend jüngere Bundestagsabgeordnete von CDU und CSU unterzeichnet haben und in dem sie der Bundesregierung eine Hinhaltetaktik vorwerfen. Ihr Ziel ist die Einführung eines Kapitalstocks, aus dem die Pflegekosten in Zukunft teilweise bezahlt werden sollen und mit dessen Aufbau aus Sicht der Parlamentarier umgehend begonnen werden muss.
Nach Informationen der Zeitung gibt es in der Koalitionsführung Überlegungen, die Pflegereform auf die nachfolgende Wahlperiode zu verschieben. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hatte kürzlich erst angekündigt, er werde spätestens im September Eckpunkte einer Reform vorlegen, die im Frühjahr 2012 in Kraft treten soll.
Initiatoren des Aufrufs sind der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), sowie der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe und bayerische Junge-Union-Chef Stefan Müller. Spahn sagte der Zeitung, es gebe Kräfte in der Koalition, „die die dringend notwendige Umgestaltung der Pflegeversicherung auf die lange Bank schieben oder sich mit einem Mini-Umbau begnügen wollen“. Das machten die jungen Abgeordneten nicht länger mit. „Die Pflege wird teurer, deshalb brauchen wir die Kapitalrücklage“, sagte Spahn.
Ähnlich äußerte sich Müller. „Ein System, in das junge Menschen heute einzahlen, aber wissen müssen, dass sie aus diesem System nicht mehr die entsprechende Leistung herausbekommen werden, ist nicht generationengerecht“, betonte er. „Ohne Reform wird das System Pleite gehen.“
Experten gehen davon aus, dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2050 von heute 2,4 Millionen auf vier Millionen erhöhen wird, schreibt die Zeitung. Gleichzeitig gibt es immer weniger Menschen, die in die Pflegekassen einzahlen. Im schlechtesten Fall könnte der Beitragssatz dem Bericht zufolge deshalb binnen vier Jahrzehnten von heute 1,95 Prozent (2,2 Prozent bei Kinderlosen) auf sieben Prozent des Bruttogehalts steigen.
Wenn dann nicht auf einen Kapitalstock zurückgegriffen werden könne, sei die Last für die Beschäftigten wie für ihre Arbeitgeber nicht tragbar, heißt es in dem Manifest der Unionsabgeordneten. „Uns Jüngeren in der Unionsfraktion wird seit vielen Jahren versprochen, dass wir endlich mit der Bildung von Kapitalrücklagen in den sozialen Sicherungssystemen beginnen, zuletzt im Koalitionsvertrag der Großen Koalition“, erklären die Parlamentarier. „Leider ist bisher nichts passiert.“
Seinen Höhepunkt erreichen wird das Pflegeproblem in den Jahren 2030 bis 2060. Dann werden die Bürger aus den geburtenstärksten Jahrgängen des vergangenen Jahrhunderts 80 Jahre und älter sein. Mehr als jeder Dritte von ihnen wird, statistisch gesehen, gepflegt werden müssen. Um der damit einhergehenden Kostenlawine Herr zu werden, muss der Bund nach Schätzung von Fachleuten ab sofort pro Jahr drei Milliarden Euro in eine Kapitalrücklage stecken. (dapd)