Die SPD überholt mit einem Konzept zur Pflegereform Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) - und bekommt dafür Lob aus Hamburg.
Berlin. Daniel Bahr wusste von Anfang an, dass es nicht leicht werden würde. Als Staatssekretär im Gesundheitsministerium hat der FDP-Mann sämtliche Vorhaben seines Vorgängers und Duz-Freundes Philipp Rösler begleitet und mit ausgearbeitet. Er ist klar darüber im Bilde, dass die Pflegereform die wohl größte Hürde ist, die er in seinem neuen Amt zu nehmen hat.
Was Daniel Bahr nicht wusste: Derselbe Philipp Rösler ist es jetzt, der ihm mit Steuersenkungsversprechen das Leben schwermacht. Ausgerechnet der neue Wirtschaftsminister hatte vergangene Woche eine Senkung der Sozialbeiträge in Aussicht gestellt, sollten die Entlastungspläne der Bundesregierung am Veto der Länder scheitern. Das allerdings dürfte für Bahr zum Problem werden: Denn die Pflegereform soll die Bürger zusätzlich belasten. Doch die Finanzierungsfrage ist längst nicht das einzige Problem, das Bahr derzeit zu bewältigen hat. Die Pflegereform soll auch dem sozialen Profil seiner Partei guttun und nicht zuletzt jenen mitfühlenden Liberalismus in konkrete Maßnahmen gießen, den der neue Vorsitzende Rösler gemeinsam mit Bahr und Generalsekretär Christian Linder nach dem Abgang von Guido Westerwelle ausgerufen hat. Die Herausforderung ist klar: Derzeit gibt es in Deutschland rund 2,34 Millionen Pflegebedürftige.
Doch die demografische Lawine rollt bereits. 2030 soll diese Zahl um rund eine Million zunehmen. Die Beitragszahler werden gleichzeitig immer weniger. Doch bei der Reform soll es nicht nur darum gehen, die Leistungen dabei konstant zu halten, sondern sie auch zu verbessern und zu entbürokratisieren. Vor allem pflegende Angehörige sollen bessergestellt werden. Durch den Fachkräftemangel wird der Staat künftig auf sie angewiesen sein.
Unklar ist indes, wie das Konzept genau aussehen soll. Eigentlich wollte Bahr die Eckpunkte der Pflegereform noch vor der Sommerpause vorlegen, doch daraus ist nichts geworden - im Gerangel der FDP mit CDU und CSU sind die Pläne ins Stocken geraten. Und das, obwohl im Koalitionsvertrag bereits inhaltliche Leitlinien vereinbart worden sind. Das umlagefinanzierte System soll demnach durch eine individuelle Zusatzversicherung ergänzt werden, eine Art "Pflege-Riester". Die CSU allerdings hat schon vor Monaten verkündet, da nicht mehr mitzumachen. Konkrete Gespräche zum Konzept sollen nun im August beginnen, hieß es gestern bei der FDP.
In dieser Gemengelage hat die SPD ihre Chance gewittert. Die Sozialdemokraten preschten gestern mit einem bereits in der Bundestagsfraktion abgestimmten "Orientierungspapier" zur Reform der Pflegeversicherung vor. Dass das 29 Seiten lange Konzept ausgerechnet in einem Besprechungsraum in jenem Bereich des Bundestags-Bürokomplexes präsentiert wurde, in dem die Parlamentarier der FDP ihre Räume haben, war dabei sicher nur Zufall. "Völlig Banane" sei der Vorschlag der Liberalen, die Reform mit einer individualisierten Zusatzversicherung finanzieren zu wollen, sagte SPD-Fraktionsvize Elke Ferner. Überhaupt unterscheide sich ihr Modell von den schwarz-gelben Vorstellungen darin, "dass wir es ernst meinen, konkrete Vorschläge machen und sagen, was das kostet." Und das sieht nun so aus: Jedes Jahr sollen sechs Milliarden Euro mehr für die Pflege ausgegeben werden. Damit würde der Beitrag von heute 1,95 auf etwa 2,6 Prozent des Bruttolohns steigen. Dieses Geld soll dann direkt in bessere Leistungen fließen. So soll der bereits seit Jahren debattierte neue "Pflegebedürftigkeitsbegriff" umgesetzt werden, was eine Verbesserung der Leistungen aus der Versicherung bedeutet. Vor allem Demenzkranke sollen wesentlich besser versorgt werden.
Allein die Umsetzung dieses neuen Systems, das die bisherigen drei Pflegestufen ablösen würde, soll nach Berechnungen der SPD rund 4,2 Milliarden Euro jährlich kosten. Darüber hinaus will die Partei pflegenden Angehörigen an zwei wesentlichen Punkten helfen: Die gerade eingeführte Möglichkeit, zehn Tage im Jahr für die Pflege freizunehmen, soll per Lohnersatzleistung auch bezahlt werden. Bisher könnten sich viele Arbeitnehmer dies nicht leisten, sagte Ferner. Und auch in der jetzt möglichen sechsmonatigen Pflegezeit sollen Lohneinbußen besser abgefedert werden. Zudem fordern die Sozialdemokraten höhere Zuschüsse für den Umbau von Wohnungen, eine bessere Beratung von Angehörigen oder höhere Löhne für Pflegekräfte. Im Grunde also keine anderen Themen als jene, die sich die Koalition im Groben auch vorgenommen hat. Nur die Finanzierung ist anders - und es liegt etwas schwarz auf weiß auf dem Tisch. Entsprechend erfreut reagierte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks. "Das Papier benennt die richtigen Punkte. Eine Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist dringend notwendig, damit auch Demenzkranke bessere Leistungen erhalten können", sagte die SPD-Politikerin dem Abendblatt.
Ebenso sei die Flexibilisierung des Leistungsrechts wichtig. Notwendig sei auch die Reform der Pflegeausbildung, gerade um die Altenpflege attraktiver zu machen, so die Senatorin. "Hier muss der Bund in die Pflicht genommen werden, um die Umschulung zur Altenpflegefachkraft über drei Jahre zu finanzieren", appellierte sie nach Berlin. Sie erinnerte daran, dass Hamburg hier bereits eingesprungen sei, "um die Finanzierung des dritten Jahres in der Hansestadt sicherzustellen".
Auf Regierungsseite gibt man sich dennoch betont gelassen. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums wollte gestern auf Nachfrage das SPD-Konzept gar nicht erst kommentieren.