Gesundheitsminister Rösler habe in einigen wichtigen Punkten die Verabredungen mit den Ländern nicht eingehalten, kritisiert Schwesig.
Hamburg. Die Vize-Vorsitzende der SPD, Manuela Schwesig, hat die Pläne der Bundesregierung gegen den Ärztemangel auf dem Land als unzureichend kritisiert. "Die Eckpunkte für ein Versorgungsgesetz des Bundes reichen nicht aus", sagte Schwesig dem "Hamburger Abendblatt" (Sonnabendausgabe). Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler habe in einigen wichtigen Punkten die Verabredungen mit den Ländern nicht eingehalten.
Wichtig sei den Ländern ein Initiativrecht gewesen, um auf Bundesebene Versorgungsmängel im Gemeinsamen Bundesausschuss zu thematisieren. "Jetzt soll es nur ein Beratungsrecht geben", so Schwesig. "Da ist der zukünftige FDP-Parteivorsitzende und Vizekanzler von seinen eigenen Leuten schon gestoppt worden, bevor er überhaupt gestartet ist."
Die Gesundheitsministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern forderte, es müsse möglich sein, "die Probleme, die uns vor Ort bekannt werden, dort anzusprechen, wo sie hingehören." Rösler wolle sich offensichtlich wegducken.
„In unserem Bundesland stehen inzwischen mehr als 180 Hausarztpraxen leer, bei steigender Tendenz. Schätzungen haben ergeben, dass bis 2020 rund 40 Prozent der Haus- und Fachärzte in Mecklenburg-Vorpommern ihre Praxen aus Altersgründen schließen", sagte Schwesig.
Lesen Sie dazu auch:
Stadtarzt und Landarzt – wie die Regierung die Praxen neu ordnet
Landarzt – verzweifelt gesucht: Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) schickt mehr Mediziner in die Provinz. Die Bundesregierung einigte sich auf mehr Anreize für Ärzte, eine Praxis in unterversorgten Regionen Deutschlands zu übernehmen. Dazu sollen die Arbeitsbedingungen verbessert und die Honorare anders gesteuert werden. Gerade in ländlichen Gebieten müssten die Menschen oft weite Wege zum Arzt in Kauf nehmen. „Wir setzen klar auf Anreize“, sagte Minister Rösler. Den Eckpunkten für das neue Gesetz zufolge sollen Ärzte in unterversorgten Gebieten von Einbußen beim Honorar ausgenommen werden, wenn in ihrer Praxis eine bestimmte Zahl von Patienten überschritten wird. Die Ärzte sollen ihre Berufstätigkeit außerdem besser mit der Familie vereinbaren können. Zudem sollen die Länder künftig mehr Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Schließung von Versorgungslücken erhalten. Die Verteilung der Ärzte innerhalb eines Landkreises soll flexibler gehandhabt werden.
Im Gegenzug soll es in überversorgten Gebieten – zumeist Ballungsräume wie auch Hamburg – finanzielle Anreize für Praxisschließungen geben. Hier sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) die Möglichkeit erhalten, Praxen zu schließen, die zur Neubesetzung ausgeschrieben werden, oder diese aufzukaufen. Damit soll erreicht werden, dass etwaige Nachfolger eines Arztes, der in den Ruhestand geht, sich auf dem Lande niederlassen. Das neue Gesetz soll im Januar 2012 in Kraft treten.
Hamburgs Ärzte sehen die neuen Regeln mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Von Ärztemangel ist in der Medizinmetropole Hamburg nichts zu spüren. Im Gegenteil: Aus dem Speckgürtel, aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen kommen Zehntausende Patienten zur Behandlung nach Hamburg. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Dieter Bollmann, sagte dem Abendblatt: „Ich hoffe, dass jetzt die Abschläge beim Honorar wegfallen, die Hamburg immer hinnehmen musste, weil es als überversorgte Region galt.“
Bislang mussten die Ärzte mit weniger Geld aus dem Honorartopf auskommen, weil es Praxen an jeder Straßenecke gibt. Bollmann fürchtet jedoch, dass durch eine Verschiebung von Geldern Richtung Landärzte die besonderen Bedürfnisse einer Metropole wie Hamburg nicht mehr berücksichtigt würden. „Wir fordern mehr Regionalisierung. Man kann aus Berlin nicht entscheiden, ob in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg ein Kinderarzt fehlt.“ Außerdem gebe es in der Stadt häufig eine andere Verteilung von Krankheitsbildern als auf dem Land.
Die Eckpunkte seien ein guter erster Schritt gegen den sich auf dem Land abzeichnenden Hausärztemangel, erklärte Johann-Magnus von Stackelberg vom Verband der gesetzlichen Krankenkassen. „Allerdings vermissen wir Maßnahmen, um die teure und unnötige Überversorgung, die es in den meisten anderen Gebieten gibt, abzubauen.“
Die Zahl der niedergelassenen Ärzte hat zwar in den vergangenen Jahren zugenommen. Allerdings ist die deutsche Ärzteschaft überaltert. Und durch Teilzeitarbeit vor allem von Ärztinnen ist die Zahl der geleisteten Behandlungsstunden nach einer Studie der Ärztekammer nicht gestiegen.
Die Grünen kritisierten die Pläne hingegen als ungenügend. „Das Versorgungsgesetz wird die Versorgung nicht verbessern“, erklärte ihr Gesundheitsexperte Harald Terpe. „Statt echte Strukturreformen für mehr Qualität auf den Weg zu bringen, doktert die Koalition an einzelnen Symptomen herum.“
Das sind die wichtigsten Punkte der neuen Regelungen:
Bedarfsplanung: Die starren bundesweiten Regelungen zur ärztlichen Bedarfsplanung sollen flexibler ausgestaltet werden. Ausgangspunkt muss der tatsächliche Bedarf in einer Region sein, auf den regional reagiert werden kann. Auch die in Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen tätigen Ärzte sollen einbezogen werden.
Arztpraxis: Um Überversorgung abzubauen, sollen Kassenärztliche Vereinigungen (KV) den freiwilligen Verzicht auf die Zulassung finanziell stärker fördern. KVen haben ein Vorkaufsrecht bei der Ausschreibung von Vertragsarztsitzen zur Nachbesetzung in überversorgten Bereichen. Ein KV-Vorkaufsrecht besteht nicht, wenn sich ein Kind, Ehegatte oder Lebenspartner des ausscheidenden Vertragsarztes oder ein Vertragsarzt, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich ausgeübt wurde, als Nachfolger bewerben.
Honorare: Leistungen in strukturschwachen Gebieten werden grundsätzlich von der Abstaffelung ausgenommen. Sie werden bei Budgetüberziehung also nicht „bestraft“. Möglich sein sollen Preiszuschläge. Über einen neuen Strukturfonds von KV und Kassen sollen Maßnahmen wie Investitionskostenzuschüsse, Vergütungs- und Ausbildungszuschläge oder Studentenförderung finanziert werden. Das gesamte Vergütungssystem soll regionalisiert werden.
Beruf/Familie: Die Möglichkeit für Vertragsärztinnen, sich nach einer Entbindung vertreten zu lassen, wird von 6 auf 12 Monate verlängert. Für die Erziehung von Kindern sollen Entlastungsassistenten für bis zu 36 Monate möglich sein, bei der Pflege Angehöriger für 6 Monate. Die Kassenärztlichen Vereinigungen können dies jeweils verlängern.
Ausbildung/Studium: Das Gesundheitsministerium ist für eine befristete Beteiligung des Bundes an Kosten für mehr Studienplätze, die die Länder bereitstellen müssten. Das Auswahlverfahren für die Zulassung zum Medizinstudium soll überprüft werden. Das Gewicht der Abiturnote sollte vermindert und auch andere Kriterien berücksichtigt werden wie Berufsausbildung, Freiwilliges Soziales Jahr oder Tests für medizinische Studiengänge. Auch sollte es eine Vorabquote für künftige Landärzte geben, die sich dazu freiwillig verpflichten.
Ambulante Spezialisten: Eine ambulante spezialärztliche Versorgung soll eingeführt werden – für seltene Erkrankungen, Erkrankungen mit besonderem Krankheitsverlauf, hochspezialisierte Leistungen sowie bestimmte ambulante Operationen. Die Aufteilung in Krankenhaus und niedergelassene Facharztpraxis soll durchbrochen werden.
Mobilität: „Mobile“ Konzepte wie eine Tätigkeit an mehreren Orten oder Zweigpraxen sollen ausgebaut werden. Die zeitlichen Grenzen für Nebenbeschäftigungen von Vertragsärzten – zum Beispiel in der stationären Versorgung – werden gelockert.
MVZ: Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sollen nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden. Berechtigt zur Gründung sind nur Vertragsärzte und Krankenhäuser mit Ausnahmeregelung. MVZ sollen nur als Personengesellschaften und GmbHs gegründet werden. Mit dem Ausschluss der Rechtsform Aktiengesellschaft soll verhindert werden, dass aus einer Kapitalbeteiligung Gewinne gezogen werden.
Regress: Ärzten drohen bisher hohe Regressforderungen, wenn sie zu viele Arzneimittel verschreiben. Besondere Belastungen aber wie Langzeitverschreibungen und Praxisbesonderheiten sollen von Anfang besser berücksichtigt werden und nicht zu Rückzahlungsforderungen führen. (abendblatt.de/ryb)