Thierse dafür, Blüm dagegen. 20 Jahre nach dem Beschluss gegen Bonn bereiten die Berlin-Anhänger die „Stunde X“ vor.
Berlin. Das Verteidigungsministerium wird aller Voraussicht nach im Jahr 2015 komplett in Berlin sein. Das erklärten Parlamentarier anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Bonn/Berlin-Gesetzes der Nachrichtagentur dapd. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hatte erst vor einigen Tagen wissen lassen, dass „es so wie jetzt ist, nicht bleiben kann“. Er hält die Trennung seines Hauses an zwei Standorten für wenig hilfreich. Aus der Umgebung de Mazières erfuhr dapd, dass er aber auf keinen Fall einen Alleingang gegen das Bonn-Berlin-Gesetz wagen würde. Oberstes Gebot für de Maizière sei es: „Pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten. Er strebe ein abgestimmtes Vorgehen mit den anderen Ministern an, die ebenfalls zwei Dienstsitze haben. De Maizière sei sich bewusst, dass es potente Gegner für die „Berlin-Only-Lösung“ gebe.
Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck (CDU), hatte unterstrichen, es wäre „begrüßenswert, wenn es gelingen sollte, das schon legendäre Bonner Beharrungsvermögen zu brechen“. Schließlich spiele die politische Musik schon längst in Berlin. Die FDP hingegen kämpft für die Bonner Standorte. Es sei derzeit nicht vorstellbar, dass ein kompletter Umzug der in Bonn verbliebenen Ministerien nach Berlin tatsächlich Kosten sparen würde. Der „allmähliche Rutschbahneffekt“ nach Berlin ist nach Meinung von Abgeordneten des Bundestages jedoch nicht aufzuhalten.
Wie aus dem „Teilungskostenbericht 2010“ des Bundes hervorgeht, waren im Vorjahr 9878 Stellen in der Bundeshauptstadt angesiedelt (54,3 Prozent), 8328 Stellen (45,7 Prozent) in der Bundesstadt Bonn. Im zweiten Amtssitz von de Maizière im Berliner Bendler-Block arbeiten bereits 600 Offiziere, Beamte und Zivilangestellte. In Bonn gibt es auf der Hardthöhe rund 3000 Mitarbeiter. De Maizière will im Rahmen der Bundeswehrreform die Zahl der Angehörigen des Verteidigungsministeriums auf etwa 2000 vermindern. Stillschweigend werden sowohl der Bendler-Block als auch andere Ministerien in Berlin stetig ausgebaut, um zur „Stunde X“ die bislang in Bonn Beschäftigten ohne Schwierigkeiten aufnehmen zu können.
Die Kosten für die Aufteilung der Bundesministerien auf Berlin und Bonn belaufen sich nach einem Regierungsbericht in diesem Jahr voraussichtlich auf knapp 9,2 Millionen Euro. Darin sind die Hin- und Herflüge Bonn – Berlin von Beamten und Offizieren, Videokonferenzen und andere teilungsbedingte Einrichtungen enthalten.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hält die Zeit reif für einen Komplettumzug der Regierung von Bonn nach Berlin. Er bezeichnet es im Gespräch mit der „Passauer Neuen Presse“ als nicht vernünftig, wenn eine Regierung auf zwei Städte aufgeteilt ist. Politik bedürfe der Kommunikation aller beteiligten Akteure. „Deshalb ist es sinnvoll, die Regierungsfunktionen in den nächsten Jahren Schritt für Schritt zusammenzuführen.“
20 Jahre nach dem Inkrafttreten des Bonn-Berlin-Gesetzes müsse man sich um Bonn keine Sorgen mehr machen. Dort seien 30.000 Arbeitsplätze geschaffen worden. „Deshalb kann man nach 20 Jahren mit Fug und Recht sagen: Das Gesetz ist nicht für die Ewigkeit gemacht.“ Den Umzug nach Berlin vor 20 Jahren bezeichnete Thierse als richtige Entscheidung. Berlin spiele heute in der gleichen Liga wie Paris oder London.
Der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm wendet sich gegen Bestrebungen, die Regierungsbehörden vollständig in Berlin anzusiedeln. Der Onlineausgabe des „Kölner Stadt-Anzeigers“ sagte der CDU-Politiker, auf solche Vorstöße reagiere er empfindlich: „Denn die Mehrheit ist zustande gekommen, und zwar knapp, weil Bonn Bundesstadt bleiben sollte. Und so haben wir nicht gewettet, dass man erst mal mit dem Argument, Bonn wird Bundesstadt, Stimmen für Berlin sammelt und dann ,April, April’ sagt.“ Blüm, der im Bundestag für Bonn als Regierungssitz stritt, erwartet, „dass die Gewinner auch den Teil des Beschlusses akzeptieren, der ihnen nicht schmeckt. Sonst können wir in Zukunft keine Beschlüsse mehr machen.“ Mit Bonn verbinde sich die bis dahin glücklichste Zeit der demokratischen Tradition in Deutschland. Blüm: „Die Bonner Republik war die friedlichste Zeit der letzten 100 Jahre. Ich hoffe, dass sie auch in Berlin nie zu Ende geht.“ Bonn stehe nicht für Nationalismus, sondern für Deutschland in Europa.
Die damalige Debatte um den Berlin-Umzug war legendär. Über zehn Stunden wurde in offener Feldschlacht im Bundestag am Rhein gestritten. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth spannte die Abgeordneten lange auf die Folter. Im Bonner Wasserwerk, dem Ausweichquartier des Bundestages, wurde um vor 20 Jahren um 21.das Ergebnis verkündet: 337 Stimmen für Berlin, 320 für Bonn. „Und jetzt wird gefeiert“, so beendete Süssmuth damals die denkwürdige Sitzung. Doch bei den Bonn-Befürwortern sorgte der Ausgang der Abstimmung für lähmendes Entsetzen.
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl stand an der Seite von Willy Brandt und Gregor Gysi für Berlin. Für Bonn warfen sich Süssmuth, Johannes Rau, Theo Waigel oder etwa Otto Graf Lambsdorff in die Bresche. Mehr als 100 Redner gingen ans Pult. Die eigentliche Hauptstadt-Frage war schon im Einigungsvertrag entschieden worden. Notwendig wurde die Debatte am 20. Juni 1991, weil tags zuvor der Vorschlag, über den Regierungssitz per Volksabstimmung zu entscheiden, keine Mehrheit fand.
Den Ausschlag für die hauchdünne Mehrheit gaben die kleineren Fraktionen. Insbesondere die 17 Stimmen der PDS-Abgeordneten und die klare Mehrheit in der FDP (53 gegen 26) verhalfen Berlin zum Sieg. Bei CDU/CSU (156:154) und SPD (126:110) gab es jeweils Bonn-Mehrheiten. (dapd/dpa)