14 Militärstandorte im Norden werden geschlossen. Schleswig-Holstein hart getroffen. Carstensen fordert Hilfen. Es gibt auch Gewinner.

Katzenjammer in Kommunen, Länderforderungen an den Bund, verhaltene Freude an erhaltenen Bundeswehrstandorten – die von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) verkündete Reform hält Betroffene und Politiker weiter in Atem. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Lübeck berieten die Regierungschefs am Donnerstag Forderungen nach Bundeshilfen für die Kommunen. Auf die Frage, wer dieses Geld bereitstellen soll, sagte der Kieler Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU): „Es ist mir egal, woher es kommt.“ Auch der Städteverband im Norden verlangte ein Konversionsprogramm.

Nach den Plänen des Verteidigungsministers sollen in Deutschland 31 Standorte geschlossen werden, acht allein in Schleswig-Holstein. Rätselraten gibt es von Kiel über Lütjenburg, Boostedt und Hohn bis nach Glücksburg und Nordfriesland weiterhin darüber, wann Standorte abgewickelt oder stark abgespeckt werden sollen. Darüber ist auch die Landesregierung von Ministerpräsident Carstensen im Unklaren: „Es gibt noch keinen exakten Zeitplan“, bestätigte Regierungssprecher Knut Peters. Bisher ist nur bekannt, dass die Reform, die Schleswig-Holstein fast 11.000 seiner bisher 26.000 Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr kosten wird, im Wesentlichen bis 2017 umgesetzt werden soll.

Carstensen bekräftigte in Lübeck, die Entscheidungen hätten in seinem Land viel Enttäuschung hervorgerufen. Er setze jetzt darauf, „dass Hilfen vom Bund kommen“. Nachverhandlungen zum Konzept von de Maizière würden schwer werden, aber: „Wir nehmen uns schon einige Dinge vor“. De Maizière hat allerdings deutlich gemacht, dass er sein Standortpaket nicht mehr aufschnüren will: „Der Sack ist zu.“

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hat als bisher einziger Regierungschef eine Größenordnung für Hilfen zur Umstrukturierung von Standorten genannt und einen dreistelligen Millionenbetrag ins Spiel gebracht. Insgesamt reagierten die Länder weitgehend mit Verständnis auf die Standort-Entscheidungen. Beck sagte, er sei mit den Grundstrukturen einverstanden. Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) meinte, bei so tiefen Einschnitten gehe das nicht spurlos an seinem Land vorbei. Carstensen wertete den Wegfall von 10 700 Dienstposten im Norden zwar als schmerzhaften Einschnitt. Das Land habe aber damit rechnen müssen, hart getroffen zu werden, zumal es bisher die höchste Bundeswehrdichte hatte.

Besonderer Unmut herrscht im Norden in Glücksburg, Lütjenburg, Hohn, Seeth und Boostedt, wo die Standorte völlig oder fast komplett geschlossen werden sollen, sowie in Kiel. Die Landeshauptstadt sieht sich zu Unrecht benachteiligt, weil sie das Marinearsenal verlieren soll und zudem weder das künftige zentrale Führungskommando bekommt noch fünf neue Korvetten – beides geht nach Rostock. Wie der Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD) hat auch der Ministerpräsident zumindest in Einzelfällen Nachfragebedarf: „Ich will noch mal genau wissen, weswegen einige Standortentscheidungen dort gefallen sind.“ Die radikale Verkleinerung von knapp 2000 auf 40 Dienstposten in Boostedt bei Neumünster kann Carstensen derzeit ebenso wenig nachvollziehen wie einige Entscheidungen zur Marine.

Für das Land will Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU) am nächsten Dienstag einen Aktionsplan zur Umstellung von militärischen auf zivile Nutzungen vorstellen. Der Städteverband fordert von Land und Bund Unterstützung für die Kommunen: „Sie brauchen finanzielle Hilfe bei der anstehenden Konversion der freiwerdenden Bundeswehrliegenschaften. Da müssen jetzt alle Beteiligten ganz schnell an einen Tisch“, sagte das geschäftsführende Vorstandsmitglied, Jochen von Allwörden, der dpa. Freiwerdende Liegenschaften müssten verbilligt und im Einzelfall auch kostenlos an die Gemeinden abgegeben werden.

Zu den wenigen Gewinner-Standorten gehört Jagel, das mit seinem Fliegerhorst um 90 auf 1530 aufgestockt wird. Die Luftwaffe soll dort dauerhaft mit Aufklärungs-Tornados und Drohnen vertreten sein. „Ich habe heute die Truppe antreten lassen und konnte in freudige Gesichter blicken“, sagte der Kommodore des Aufklärungsgeschwaders „Immelmann“, Oberstleutnant Hans-Jürgen Knittlmeier. Auch der Bürgermeister des 1000-Einwohner-Ortes Jagel, Claus-Dieter Truberg, zeigte sich froh über die Entscheidung.

Labskaus für Ministerpräsidenten und ihren Tross

Erst die Arbeit, dann der Labskaus: Schleswig-Holsteins Landesregierung als Gastgeberin der Ministerpräsidentenkonferenz hat für die Teilnehmer nicht nur ein straffes Arbeitsprogramm, sondern auch eine Abendveranstaltung mit norddeutschem Kolorit vorbereitet. Das bei diesem Treffen obligatorische Kamingespräch der Regierungschefs am Donnerstagabend sollte an Bord des Forschungsschiffes „Alkor“ im Lübecker Stadthafen stattfinden und beim anschließenden Festabend in einem historischen Hafenschuppen am Rand der Altstadt stand Labskaus auf dem Speiseplan.

An der zweitägigen Konferenz in der Hansestadt nehmen neben den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer auch die Chefs der Staatskanzleien teil. Insgesamt sind es rund 200 Personen, die im von der Polizei abgeschirmten Tagungshotel mit Blick auf die Altstadt logieren.

Während die Länderchefs hinter verschlossenen Türen um eine Einigung beim Glücksspielstaatsvertrag ringen, gibt es für die mitgereisten Ehepartner ein kulturelles Rahmenprogramm. Sandra Carstensen, Ehefrau von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) begleitete Gerlinde Kretschmann (Baden-Würtemberg), Karin Seehofer (Bayern), Ursula Bouffier (Hessen), Gabriele Haseloff (Sachsen-Anhalt), Martin Lieberknecht (Thüringen) und Birgit Rüst, der Lebensgefährtin von Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), in eine Glasmanufaktur und ins Ostseebad Travemünde. Für Freitag sind ein Besuch im Buddenbrookhaus und ein Rundgang durch die historische Altstadt geplant.

Ein großes, wenn auch weitgehend unsichtbares Polizeiaufgebot sorgt bis zum Ende der Konferenz am Freitagnachmittag für die Sicherheit der Länderchefs. Bereits vor Beginn der Tagung hatten Sicherheitskräfte mit Sprengstoffsuchhunden das Hotel und auch die Musik- und Kongresshalle, wo am Freitag die Abschlusspressekonferenz stattfinden soll, durchsucht.

Freude über Bundeswehraufstockung – „Ein guter Tag“

Auch einen Tag nach der Verkündung ist Bernhard Jährling, Bürgermeister der Gemeinde Nordholz im Kreis Cuxhaven, die gute Laune anzumerken. „Wir freuen uns über diese Nachricht“, sagt der SPD-Politiker. Nordholz gehört zu den drei niedersächsischen Bundeswehrstandorten, die nicht verkleinert oder gar geschlossen werden, sondern wachsen.

Das Marinefliegergeschwader 3 in Nordholz wächst von 1900 auf 2110 Dienstposten. Weiter westlich, auf der anderen Seite des Jadebusens, legt der traditionsreiche Marinestützpunkt Wilhelmshaven um 790 Stellen zu und wächst auf 8570 Posten. Und in der 21 000 Einwohnerstadt Schortens im Landkreis Friesland wächst der Fliegerhorst um 420 von 1650 auf 2050 Dienstposten.

Diese Entscheidung stärke den Bundeswehr- und Marinestandort Wilhelmshaven, sagte der Oberbürgermeister der Hafenstadt, Eberhard Menzel (SPD). Eine „bittere Pille“ gebe es gleichwohl zu schlucken, nämlich die Auflösung des Nordseemusikkorps.“ Der Zuwachs an Dienstposten in seiner Stadt sei dennoch ein Erfolg, der auch der beharrlichen Arbeit der örtlichen Bundestagsabgeordneten und eines eigens erstellten Positionspapiers zu verdanken sei. Dennoch müsse man die weitere Entwicklung „mit einem wachen Auge“ verfolgen, denn auch bei der Bundeswehr werde es künftig Versuche geben, privatwirtschaftliche Elemente zu stärken.

„Ich habe 1989 mit einer Bundeswehrreform unter dem damaligen Minister Gerhard Stoltenberg begonnen und ende mit einer Reform unter Minister Thomas de Maizière“, sagt Menzel, der Ende des Monats aus dem Amt scheidet. Dazwischen habe es mindestens vier weitere Reformen gegeben. Mit fast 9000 Dienstposten sei ein Drittel der Wilhelmshavener Bevölkerung von der Bundeswehr abhängig. Daher sei es wichtig, dass an dieser Stelle wieder Ruhe herrsche. „Wir können uns jetzt wieder verstärkt anderen Zukunftsaufgaben zuwenden.“

Marinearsenal "gewerblich-technisch stärkster Ausbildungsbetrieb" im Norden

Für die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer sei der Erhalt des Marinearsenals in Wilhelmshaven besonders erfreulich, betont Hauptgeschäftsführer Joachim Peters. Im Detail gehe es jetzt darum, in welcher Form das Arsenal erhalten bleibt. „Dies betrifft insbesondere die Ausbildung von Fachkräften. Das Marinearsenal ist bisher der stärkste gewerblich-technische Ausbildungsbetrieb in der Nordregion“, erläutert er.

Auf die große wirtschaftliche Bedeutung weist auch Bürgermeister Jährling hin. „Die Bundeswehr ist hier im Elbe-Weser-Dreieck der größte Arbeitgeber“, betont er. Ohne Marine sei sein Ort tot. „Bei einer Schließung würde hier wirklich im wahrsten Sinn des Wortes das Licht ausgehen.“ Nicht nur Grundschulen, Krippen und Kindergärten würden dann in großen Teilen überflüssig werden. Denn der Militärflugplatz werde auch zivil mitgenutzt. In Bremerhaven solle der Regionalflughafen geschlossen werden. „Wir sind gerade in Verhandlungen, dass Firmen und Betriebe hier rüberkommen können. Wenn der Militärflughafen geschlossen würde, wüssten wir gar nicht, wie wir das alleine hier in der Region wuppen sollen.“

Während Ostfriesland mit den Städten Aurich und Wittmund ein massiver Stellenabbau bevorsteht, freut sich der Nachbar-Landkreis Friesland über den Zuwachs beim Objektschutzregiment in Upjever von

1650 auf 2050 Mitglieder. Der Fliegerhorst verliert zwar mit der Ausmusterung des betagten Jagdbombertyps „Phantom“ die entsprechende Instandsetzungsgruppe. Mittelfristig sieht der Landkreis aber mit der Stationierung eines Eurofightergeschwaders in Wittmund eine Perspektive für weitere Arbeitsplätze.

Kleinstadt Lütjenburg will sich nicht mit Bundeswehr-Aus abfinden

Die 5.400-Einwohner-Gemeinde Lütjenburg im Landkreis Plön will für den Verbleib der Schill-Kaserne in der Kleinstadt kämpfen. Das erklärten am Donnerstag der Bürgermeister Lothar Ocker (CDU) und ein bereits vor einem Jahr gegründetes Aktionsbündnis. Dort engagieren sich etwa Vertreter aus der Kommunalpolitik sowie mehrere Bürgermeister aus den Umlandgemeinden.

Man wolle sich nicht mit dem Aus des Flugabwehrregiments 6 abfinden, sagte Ocker. Der Standort fühle sich in der Beurteilung durch das Verteidigungsministerium ungerecht behandelt. Nach dem am Mittwoch von Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) vorgelegten Konzept sollen bundesweit 31 Standorte ganz geschlossen werden, an 90 weiteren massiv Stellen wegfallen. Betroffen von den Standortschließungen sind 10 der 16 Bundesländer.

Die Verbitterung in Lütjenburg unter den Uniformträgern, Zivilbeschäftigten, aber auch in der Bevölkerung ist Ocker zufolge groß. Der Bürgermeister forderte eine transparente Erklärung für die Entscheidung der Standortschließung ein.

Am 1. November wird das Stadtparlament zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Dort soll dann eine gemeinsame Resolution zum Standorterhalt verfasst werden. CDU und SPD, die beiden einzigen dort vertretenen Parteien, machen sich gemeinsam dafür stark. Einen Tag später ruft das Bündnis zu einer Demonstration auf. Von der Schließung des Bundeswehrbetriebs wären 830 Dienstposten in Lütjenburg betroffen. (dpa/dapd/abendblatt.de)

Das Abendblatt sprach mit Bürgermeistern der betroffenen Standorte über die jeweiligen Auswirkungen für die Gemeinden. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich.

Mecklenburg-Vorpommern

Ute Lindenau , Bürgermeisterin von Lübtheen: "Wir können nicht verstehen, was man an so einem kleinen Standort noch sparen kann". Von einer Schließung seien vor allem die Menschen in den zivilen Dienstposten betroffen, die ihren Heimatort in der 4500 Einwohner zählenden Stadt Lübtheen hätten und jetzt umziehen müssten. Es werde der Stadt enorme Wirtschaftskraft entzogen. "Das ist ein schwerer Schlag", so die Bürgermeisterin.

Peter Enthaler , Bürgermeister von Trollenhagen. "Noch wissen wir ja nichts genaues. Der Flughafen Trollenhagen besteht aus zwei Teilen: einem militärischen und einem zivilen. Wir wissen noch gar nicht, in welchem Umfang eine Schließung den Flughafen betreffen wird", sagte er. Auch der zeitliche Rahmen sei noch überhaupt nicht klar. "Aber morgen gehen hier mit Sicherheit noch nicht die Lichter aus und auch nicht in den nächsten zehn Jahren", so Enthaler.

Schleswig-Holstein

Rüdiger Brümmer , Bürgermeister von Ladelund: "Als es hieß, Soldaten werden abgezogen, habe ich mir schon gedacht, dass das Materialdepot hier betroffen sein wird“, sagte Brümmer. Er reagierte enttäuscht und mit Resignation: „Ich finde es schade, aber wir können jetzt nicht viel machen.“ In Ladelund sind 50 Menschen von der angekündigten Bundeswehr-Standortschließung betroffen. „Das Dorf wird sicherlich an Attraktivität verlieren.“ Die Bundeswehr zählte zu den größten Arbeitgebern in der nordfriesischen Gemeinde.

Peter-Wilhelm Dirks , Bürgermeister des Ortes Seeth: „Ich bin erschüttert über die angekündigte Schließung. Über viele Jahrzehnte hatten wir den Standort, eine Schließung war nie im Gespräch.“ Betroffen sind 650 Soldaten, die in der Stapelholm-Kaserne stationiert sind. „Es wird ganz große Einschnitte geben – für die Kindergärten, oder die Ganztagsbetreuung“, so der Bürgermeister weiter. In Seeth leben knapp 700 Menschen. Betroffen sind hier auch die zahlreichen Zuliefererbetriebe, wie Bäcker, Maler und Schlosser, deren Arbeit nicht mehr benötigt wird, sagte Dirks.

John Witt , Stadtrat von Glücksburg: "Für uns wäre die Schließung ein Super-GAU. Damit würden wir den größten Arbeitsgeber für die Stadt und das Umland verlieren." Witt könne die Entscheidung nicht nachvollziehen. Viel Geld sei in den Standort investiert worden. "Ein kompletter Abzug wäre daher völlig unsinnig", sagte er weiter.

Bernd Wolf , Bürgermeister von Bargum: "Wir sind nur noch ein ganz kleiner Dienstposten. Mit der Schließung sind wir am Ende der Fahnenstange jahrelanger Kürzungen angekommen".

Lothar Ocker , Bürgermeister von Lütjenburg: "Das ist eine politische und militärische Fehlentscheidung aus Hinterzimmern". Ocker will, dass Bundesverteidigungsminister Lothar de Maizière zu ihnen in den Norden kommt. Der Minister müsse „die Hosen runterlassen“.

Niedersachsen

Heinrich Kreutzjans , Bürgermeister von Lorup: "Neben den 26 Arbeitsplätzen, die uns verloren gehen, bedauern wir es auch sehr, das nun die gute Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zu Ende geht", sagte Kreutzjans.

Jenny Reissig , Bürgermeisterin der 1600 Einwohner-Gemeinde Ehra-Lessien: "Wir haben schon länger damit gerechnet, deshalb haut uns die Schließung jetzt auch nicht um. Vor Jahren haben wir bereits die Flächen für die gewerbliche Nutzung freigegeben", sagte sie dem Abendblatt. Die Stadt erwarte daher keine großen wirtschaftlichen Einbußen. Es sei vielleicht sogar eine Chance, sich als Gemeinde in eine neue Richtung zu entwickeln.

Harald Stehnken (SPD), Bürgermeister von Schwanewede: „Das ist ein sehr trauriger Tag für uns. Bis vor kurzem war hier noch alles bestens. Ich kann die Entscheidung überhaupt nicht nachvollziehen“. 1300 Soldaten sind in Schwanewede stationiert. Die Gemeinde zählt knapp 20.000 Einwohner. Die angekündigte Schließung werde ganz schlimme Folgen für den Wohnungsmarkt und die Kaufkraft haben, so Stehnken. „Es wird schwierig sein, den Bürgern zu erklären, dass über eintausend Arbeitsplätze verschwinden werden.“