Als “bewaffneten Konflikt“ hat Außenminister Westerwelle den Afghanistan-Einsatz erstmals bezeichnet. Dies hat auch rechtliche Folgen.
Berlin. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat für die Bundesregierung den deutschen Afghanistan-Einsatz erstmals als „bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts“ eingestuft. „Ob uns das gefällt oder nicht, so ist die Lage“, sagte er in einer Regierungserklärung im Bundestag. „Diese rechtliche Qualifizierung der objektiven Einsatzsituation von ISAF hat Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten, der Befehlsgebung und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht“, fügte der Außenminister hinzu.
Bislang hatte die Bundesregierung eine genaue Qualifizierung des Einsatzes vermieden. Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte von einer kriegsähnlichen Situation gesprochen. Wie aus Koalitionskreisen verlautete, hat sich die Regierung in Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium jetzt auf die Bewertung als bewaffneter Konflikt verständigt. Das Wort Bürgerkrieg nahm Westerwelle zwar nicht in den Mund. Völkerrechtler sprechen heute aber nicht mehr von Krieg oder Bürgerkrieg, sondern von bewaffneten Konflikten zwischen Staaten beziehungsweise einem Staat und Aufständischen. Mit der Neubewertung sind laut Experten unter anderem die Vorschriften des Völkerstrafgesetzbuchs zu Kriegsverbrechen anwendbar. Danach dürfen etwa auch Militärziele angegriffen und Kämpfer getötet werden.
Westerwelle warb zudem für die Erweiterung des Afghanistan-Mandats. „Ich bitte Sie, der Versuchung zu widerstehen, das Notwendige und Richtige zu unterlassen“, sagte Westerwelle an alle Parteien gerichtet. Wer die Übergabe in Verantwortung schaffen wolle, müsse heute mehr für eine klare Abzugsperspektive tun, betonte der Minister in seiner Regierungserklärung. „Ein einfaches Weiter so ist keine Alternative. Ein einfaches Weggehen ist es aber auch nicht“, sagte der Minister. Die Beschlüsse der Londoner Afghanistan-Konferenz markierten einen Neuanfang und einen Strategiewechsel in Afghanistan. Indem die Bundesregierung den Schwerpunkt auf den Wiederaufbau und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte lege, schaffe sie die Voraussetzung für „die Übergabe der Verantwortung in Verantwortung“.
Das Bundeskabinett hatte am Dienstag die Erhöhung des Bundeswehrkontingents für die internationale Schutztruppe in Afghanistan beschlossen. Die Bundesregierung will bis zu 850 deutsche Soldaten zusätzlich nach Afghanistan entsenden und die Entwicklungshilfe auf 430 Millionen Euro pro Jahr nahezu verdoppeln. Derzeit umfasst das deutsche Kontingent 4.500 Soldaten. Das neue Mandat soll noch im Februar im Bundestag beschlossen werden. Aufgrund der schwarz-gelben Mehrheit ist die Zustimmung des Parlaments gesichert.
Westerwelles Neubewertung des Afghanistan-Einsatzes sieht SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier kritisch. Ob es sich dabei um einen „nicht-internationalen bewaffneten Konflikt“ handele, sei nicht von der Bundesregierung zu entscheiden, sagte Steinmeier im Bundestag. „Wir müssen uns gegenseitig nicht darüber belehren, wie die Lage in Afghanistan ist. Die unterschätzt hier im Hause niemand“, sagte Steinmeier. „Aber wir sind auch der Meinung, dass wir nicht durch Eigenbewertungen zur Eskalation der Lage in Afghanistan beitragen sollten.“