Der BND schickte offenbar schon wenige Stunden nach dem Luftangriff von Kundus eine Mail ans Kanzleramt - mit Hinweisen zu getöteten Zivilisten.
Berlin. Das Bundeskanzleramt soll schon wenige Stunden nach dem tödlichen Bombardement von Kundus am 4. September konkrete Hinweise auf zivile Opfer gehabt haben. Wie "Spiegel Online" am Donnerstag meldete, ging an dem Morgen um 8.06 Uhr deutscher Zeit eine E-Mail mit entsprechenden Informationen des Bundesnachrichtendienstes an leitende Beamte im Kanzleramt. Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung soll dem Kundus-Untersuchungsausschuss am Donnerstagnachmittag Rede und Antwort stehen.
Der BND berichtete laut „Spiegel Online“ in dem Schreiben unter anderem dem stellvertretenden Leiter der Abteilung 6 im Kanzleramt, dass bei dem Angriff „zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen sind (Zahlen variieren von 50 bis 100)“. Die Abteilung 6 ist für die Koordination der Geheimdienste verantwortlich.
Die Erkenntnisse des BND nur Stunden nach dem Bombardement, bei dem bis zu 142 Menschen getötet wurden, sollen dem Online-Magazin zufolge detailliert gewesen sein. So habe der Dienst berichtet, die Kaperung der beiden Tanklaster mit Treibstoff für die NATO könne „sowohl kriminellen (Diebstahl von Treibstoff) als auch terroristischen Hintergrund (mögliche Benutzung für Anschlag) Hintergrund“ gehabt haben. Mindestens einer der Lkw habe sich aber auf einer Sandbank festgefahren. Es habe so viele zivile Opfer gegeben, weil die Dorfbewohner „die Gelegenheit“ genutzt und „sich mit Benzinkanistern auf den Weg gemacht“ hätten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Existenz ziviler Opfer nach dem Angriff zwar nicht verneint, allerdings äußerte sie sich erst Tage später im Bundestag erstmals zu dem vom deutschen Oberst Georg Klein befohlenen Bombardement. Die Opposition behält sich vor, die Kanzlerin als Zeugin vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss anzuhören. Einen Termin gibt es noch nicht.
Jung will vor dem Ausschuss nach eigenen Angaben eine 45-minütige Erklärung über den Verlauf der Ereignisse abgeben. Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagte er, nach seiner Ansicht sei damals „alles richtig gelaufen“. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte dazu dem Sender n-tv, wenn Jung alles für richtig hält, wie könne er dann seinem Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg widerspreichen, „der inzwischen ja sagt: nein, dieser Bombenabwurf war falsch, er war militärisch-operativ eben nicht angemessen?“
Jung war Ende November wegen der Kundus-Affäre als Bundesarbeitsminister der frisch gewählten schwarz-gelben Koalition zurückgetreten, nachdem ein neuer Bericht über den Ablauf und die Opfer bekanntgeworden war. Sein Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, Guttenberg, hatte daraufhin seine ursprüngliche Einschätzung geändert, dass der Luftangriff „militärisch angemessen“ war. Die Opposition im Bundestag will unter anderem wissen, welche Informationen Jung bei der Amtsübergabe an Guttenberg weitergereicht hat. Außerdem geht es um die Frage, ob Jung wegen des Wahlkampfs versucht habe, Informationen zu vertuschen.
Guttenberg selbst wird am 22. April angehört. Er hatte seinen Staatssekretär Peter Wichert und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan entlassen, weil sie ihm angeblich Informationen vorenthalten haben sollen. Wichert und Schneiderhan bestritten dies vor dem Ausschuss vergangene Woche.
Nach der Wahl des FDP-Politikers Hellmut Königshaus zum neuen Wehrbeauftragten am Donnerstagmorgen ernannte die FDP-Fraktion den Abgeordneten und Verteidigungsexperten Joachim Spatz zum neuen Obmann der Partei im Untersuchungsausschuss.