Die meisten Deutschen glauben nicht an einen Erfolg des Einsatzes in Afghanistan. Trotz neuer Strategie bleibt auch die Opposition skeptisch.
Die große Mehrheit der Deutschen sieht den Militäreinsatz in Afghanistan sehr skeptisch. 76 Prozent zweifeln am Erfolg der 2001 begonnenen Mission unter NATO-Kommando, und nur 18 Prozent glauben an einen Erfolg, wie das jüngste ZDF-Politbarometer zeigt. Laut der ZDF-Umfrage stoßen die Pläne der Bundesregierung, das Bundeswehrkontingent um bis zu 850 Soldaten aufzustocken, auf deutliche Ablehnung. Knapp zwei Drittel der Befragten (65 Prozent) sind dagegen, dass die Zahl der Soldaten in Afghanistan erhöht wird, 29 Prozent finden die Truppenverstärkung richtig. Befragt wurden 1.256 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte.
Erst gestern hatte die internationale Gemeinschaft auf der Afghanistan-Konferenz in London eine neue Strategie für den Einsatz am Hindukusch festgezurrt: Die internationale Gemeinschaft will bis 2014 die Verantwortung für die Sicherheit an die afghanische Regierung übergeben. Der Gastgeber, der britische Premierminister Gordon Brown, kündigte an, die Übergabe befriedeter Distrikte in afghanische Verantwortung werde noch dieses Jahr beginnen. Zuvor sollen allerdings noch die Truppen aufgestockt werden. Deutschland will bis zu 850 zusätzliche Soldaten entsenden und muss dafür das Bundestags-Mandat ändern.
Die SPD hält sich ihre Zustimmung im Bundestag zur geplanten Truppenaufstockung vorerst noch offen. „Ich sehe bisher keine Notwendigkeit für 850 zusätzliche deutsche Soldaten“, sagte Parteichef Sigmar Gabriel der „Rheinischen Post“. „Die Bundesregierung muss nachweisen, dass Deutschland zwingend für eine begrenzte Zeit mehr Soldaten für die Ausbildung bereitstellen muss“, erklärte er. Gabriel äußerte zudem die Erwartung, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Londoner Afghanistan-Konferenz nun auf die SPD zukommen werde. Spätestens 2015 dürften deutsche Soldaten nicht mehr an bewaffneten Kämpfen beteiligt sein, verlangte der SPD-Vorsitzende.
Der Vize-Chef des Bundeswehrverbands, Wolfgang Schmelzer, zeigte sich nach der Afghanistan-Konferenz vorsichtig optimistisch. „Den Soldatinnen und Soldaten ist klar, dass das Schicksal Afghanistans nicht allein auf Konferenzen entschieden wird. Die Übereinkunft über einen Strategiewechsel in London ist eine entscheidende Weichenstellung. Doch nun erwarten wir zügig konkrete, sinnvolle und machbare Ausformungen der Beschlüsse.“
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und ehemalige UN-Sondergesandte für Afghanistan, Tom Koenigs (66), zog eine positive Bilanz der Afghanistan-Konferenz in London. Der von den USA eingeläutete Strategiewechsel vom Militärischen zum Zivilen sei von allen Konferenzteilnehmern mitvollzogen worden, sagte Koenigs im Südwestrundfunk. Skeptisch stimme ihn nur, dass der militärische Teil verstärkt worden sei. Dies könne nur sinnvoll sein, wenn die Truppen zum Schutz der Zivilbevölkerung genutzt würden, sagte Koenigs. Er leitete von Anfang 2006 bis Ende 2007 die UN-Mission in Afghanistan. Das geplante viel kritisierte Reintegrationsprogramm für ausstiegswillige Talibankämpfer bezeichnete er im Prinzip als richtig und notwendig. Die Annahme, dass ein solches Konzept nicht angenommen würde, stimme nicht, sagte Koenigs. Viele Taliban kämpften für Geld, weil es keine anderen wirtschaftlichen Möglichkeiten gebe.
Grünen-Chefin Claudia Roth sieht die Ergebnisse der Konferenz hingegen kritisch. Die Staatengemeinschaft bleibe eine Erklärung schuldig, wie mit einer deutlichen Aufrüstung und Truppenaufstockung die Wende hin zu defensivem und zivilem Vorgehen gelingen solle.
Bei Gefechten im Norden Afghanistans wurde unterdessen ein deutscher Soldat schwer verletzt. Der Infanterist wurde in Masar-i-Scharif operiert und soll nach Deutschland gebracht werden. Lebensgefahr bestand nicht, wie das Einsatzführungskommando in Potsdam auf DAPD-Anfrage berichtete. Der Mann wurde zusammen mit anderen Soldaten südwestlich von Kundus mit Handwaffen und Panzerfäusten beschossen.