Amelinghausen. Stimmt die Chemie zwischen Mensch und Tier? Bei einer Lamawanderung durch die Heide mit einem Guide bekommen Teilnehmer eine Antwort.
Es ist ein Anblick, der einen innehalten lässt – dieses gemächliche Zupfen, das gemütliche Kauen. Lamas beim Fressen von Zweigen und Blattgrün zuzusehen ist spannend und entstpannend zugleich. Aber bald setzt sich unsere Karawane wieder in Bewegung – wir brechen auf zur nächsten Etappe durch das Naturidyll der Lüneburger Heide. Jeder von uns mit einem Lama am Seil.
Wanderung durch die Lüneburger Heide: Lamas als Lehrmeister der Stille
Eben noch sind wir flotten Schrittes marschiert, da konnten die mehr als hundert Kilogramm schweren Tiere allenfalls im Vorbeigehen ein paar Eichenblätter und Birkenäste erhaschen. Die Geräusche des Abrupfens waren in der Stille zu hören. Lama-Füße haben Sohlenpolster, die ihre Tritte dämpfen und Vegetation und Böden schonen.
Jetzt macht unsere kleine Karawane Rast. Die Lamas dürfen in Ruhe grasen. „Otis“, „Paco“, „Pablo“, „Carlos“ und „Kiwi“ knabbern hingebungsvoll am Heidekraut.
Wir Menschen genießen den atemberaubenden Anblick der Natur um uns herum. Rundum leuchtet violett die Heideblüte, in der Ferne liegt ein Schafstall in der Sonne.
Dietmar Preißler führt durch die schönsten Gegenden der Lüneburger Heide. Während der Pausen erzählt der zertifizierte Natur- und Landschaftsführer von ihrer Entstehung und Pflege, vom Umbau des Waldes angesichts des Klimawandels und von der Bedrohung durch sinkende Grundwasserspiegel.
Jeder ist voll und ganz auf „sein“ Lama fokussiert
So mancher Trekking-Teilnehmer hört ihm nur mit halbem Ohr zu, weil er voll und ganz auf „sein“ Tier fokussiert ist. Dietmar Preißler stört das nicht. Denn intensive Beobachtung schafft Nähe zu den wolligen Exoten. Dieses Gefühl der Vertrautheit ist die Grundlage für die Entspannung, die sich bei einer Lama-Wanderung meist einstellt. „Wenn das Führungsseil locker durchhängt, dann stimmt die Chemie zwischen Mensch und Tier“, weiß Dietmar Preißler.
Lamas stammen aus Südamerika und werden dort seit Jahrtausenden als Haustiere gehalten. Sie dienen in den Hochlagen Perus, Boliviens und Chiles bis heute als Lastträger, Woll- und Fleischlieferanten. Ihr Kot wird als Brennmaterial genutzt. Zum Reiten eignet sich die kleine Kamelart allerdings nicht. Lamas erreichen eine Schulterhöhe von 110 bis 130 Zentimetern. Wer ein Lama führt, ist somit nahezu auf Augenhöhe mit dem Tier.
„Lamas sind keine Kuscheltiere!“
Angst braucht aber niemand zu haben. „Noch nie hat eines meiner Lamas einen Menschen gebissen. Spucken tun sie nur, wenn sie sich bedrängt fühlen, meist durch Artgenossen, die ihnen zu nahe kommen“, erklärt Dietmar Preißler gleich bei der Begrüßung.
Er macht aber auch unmissverständlich klar, dass seine vierbeinigen Lieblinge mit Respekt und Achtsamkeit zu behandeln sind. „Lamas sind keine Kuscheltiere!“ Umarmungen oder gar Küsse seien tabu. Denn bei Lamas handele es sich wie bei Pferden um Fluchttiere.
Ihre Domestizierung lässt sie menschliche Nähe ertragen, allerdings erst nach vertrauensbildender Gewöhnung an einander. „Bis zur ersten Rast also bitte keinerlei Berührung! Später dürft ihr vorsichtig mit dem Handrücken über Hals oder Schulter streichen“, sagt Preißler.
Jungtiere, sogenannte „Crias“, genießen Welpenschutz
Der gelernte Landwirt, der sein Alter mit „runde 70“ angibt, ist mit Tieren aufgewachsen. Vor 16 Jahren erwarb er seine ersten Lamas von einem Zuchtbetrieb im Erzgebirge. Seither kauft er dort einjährige Fohlen, um die Herde zu verjüngen.
Jungtiere, sogenannte „Crias“, genießen Welpenschutz, sodass die Integration der Neulinge in die Herde problemlos klappt. „Carlos“ dagegen war schon drei Jahre alt, als Preißler ihn kaufte. „Meine Touren waren voll ausgebucht und ich benötigte dringend Ersatz.“ Die Gewöhnung erwachsener Tiere aneinander verläuft nur schleppend. Auch nach zwei Jahren sei „Carlos“ noch immer nicht vollständig in die Gruppe aufgenommen, erzählt Preißler.
Preißler weiß um den individuellen Charakter jedes seiner Lamas
Gleichwohl ist der Hengst mit dem weißen Gesicht eine Führernatur und bei Wanderungen das Leittier. „Kiwi“ dagegen könne es gut aushalten, das Schlusslicht zu bilden, erläutert Preißler. Er kennt die unterschiedlichen Charaktere jedes einzelnen seiner insgesamt 15 Schützlinge genau. „Und trotzdem überraschen sie mich zuweilen mit unerwarteten Verhaltensweisen und das macht jede Tour auch für mich immer wieder spannend.“
Bis zu zwölf Lamas nimmt Preißler auf seine Wanderungen mit, denn mehr passen nicht in den großen Anhänger, mit denen er sie zu den verschiedenen Startpunkten der Touren bringt. Im Angebot sind Halbtages- und Tageswanderungen sowie Zweitage-Trecking mit Übernachtung im Heuhotel.
Unsere „Schnuppertour“ beginnt auf einem Parkplatz bei Preißlers Wohnort Amelinghausen und dauert nur zwei Stunden. Deshalb wird auf die Packsättel verzichtet, an denen bei Touren mit Picknick die Rucksäcke mit Verpflegung befestigt werden.
Lamas können problemlos Kälte ertragen – aber keine Hitze
Im „Lamamarsch“ – immer zwei Meter Abstand von Tier zu Tier – geht es hügelauf, hügelab fünf Kilometer weit durch Wald, über Heideflächen und am Flüsschen Lopau entlang. Die Strecke ist abwechslungsreich und über weite Strecken schattig.
Denn Lamas, die ursprünglich in den Anden zuhause sind, können dank ihres dichten Fells zwar problemlos große Kälte ertragen, nicht aber Hitze. Seit auch norddeutsche Sommer zuweilen heiß sind, meidet Preißler offene, baumlose Heiden und sagt ab 30 Grad Celsius geplante Touren ab.
Weil Lamas keinen jahreszeitlichen Fellwechsel haben, müssen sie einmal jährlich geschoren werden. Preißler erledigt das stets selbst per Hand und lässt das Fell etwa drei Zentimeter lang, um die Tiere nicht am ganzen Körper den Stichen von Bremsen auszusetzen. „Am Hinterteil und zwischen den Beinen ist das Haar von Natur aus sehr kurz. Da sind sie ungeschützt. Dort darf man Lamas auf keinen Fall anfassen, sonst schlagen sie aus.“
„Carlos“ wurde schon einmal von einem Hund attackiert
„Kiwi“ duldet auch im Gesicht keinerlei Berührung durch seine Führerin. Er lässt sie nicht einmal einen im Halfter verfangenen Grashalm entfernen. Dietmar dagegen kann seinen Schützlingen durchaus den Arm um die Schultern legen. Und wenn „Carlos“, der schon einmal von einem Hund attackiert wurde, angesichts eines nahenden Kläffers unruhig wird, sind es Preißlers Nähe und Zuspruch, die ihn beruhigen.
Lamas, so lernen wir, sind nicht nur sehr empfindsame, sondern auch äußerst reinliche Tiere. Sie erleichtern sich ausschließlich an ganz bestimmten Stellen. Wir kommen während unserer Wanderung an drei „Lamatoiletten“ vorbei, an denen fast die gesamte vierbeinige Mannschaft ihr „Geschäft“ verrichtet.
Auch in den Anden haben die Lamas ihre „Toiletten“
Das sei in ihrer natürlichen Heimat nicht anders, berichtet Preißler. Auch auf schier endlosen Anden-Hochflächen werde ausschließlich weit abseits gemeinschaftlicher Kotstellen gegrast. Auf diese Weise werde verhindert, dass in den Exkrementen enthaltene Parasiten über die Nahrungsaufnahme weiter verbreitet werden.
„Otis“ und seine Kameraden müssen jetzt aufhören zu fressen, denn Dietmar Preißler ruft zum Aufbruch. Ein kurzer Zug an der Leine genügt. Schon setzen sich die Tiere zwar etwas widerstrebend, aber dennoch willig, in Bewegung.
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Könnten Lamas eigentlich Heidschnucken ersetzen? Sie scheinen mit ihrem Appetit auf Heidekraut und junge Bäume, mit ihrer Robustheit und Unempfindlichkeit doch alle Voraussetzungen zu erfüllen. Dietmar Preißler grinst.
Aufgepasst, liebe Heidschnucken! Auch Lamas können Heidepflege
„Und sie erreichen im Buschwerk noch höhere Zweige als Ziegen, weil sie größer sind. Aber Lamas als Heidepfleger, das wäre ja eine Revolution!“ Und dann verrät er seinen ganz persönlichen Traum: „Mit 100 Lamas durch die Lüneburger Heide ziehen!“
Am Ende unserer Rundtour herrscht Einigkeit. „Das hat Spaß gemacht.“ Und was meinen die Lamas? Man weiß es nicht. Ohne sichtbare Regung staksen sie majestätisch in den Anhänger, der sie zurück auf ihre Weide bringt. „Wenn ich pfeife, dann kommen sie angelaufen und finden sich im Paddock ein. Bereit für die nächste Wanderung“, versichert Dietmar Preißler.