Rotenburg. Wer sich in der Gärtnerei Gartenrot für ein Saatgut entscheiden muss, ist nicht zu beneiden: Die Vielfalt ist schier unendlich. Ein Ortsbesuch.

  • Kräuter, Gemüse, Gewürze: An seltenes Saatgut zu kommen, ist als Hobbygärnter gar nicht so leicht
  • Entweder man bestellt die Ware anonym im Internet – oder man macht sich auf die Suche nach einer Gärtnerei
  • Bei Anja Walessa südlich von Hamburg sind mehr als 300 seltene Sorten Saatgut zu haben, allesamt bienenfreundlich und winterhart

Russische Minze, ägyptische Rote Bete, chinesische Yamswurzel, Missouri-Johannisbeeren: In ihrer Gärtnerei Gartenrot betreibt Anja Walessa Multikulti mit System. Auf knapp einem Hektar Betriebsfläche herrscht eine Vielfalt, die ihresgleichen sucht. Geschätzt um die 300 verschiedene Pflanzen werden hier am südlichen Stadtrand von Rotenburg (Wümme) groß, um Saatgut zu produzieren.

Saatgut kaufen bei Hamburg: In dieser Gärtnerei haben Kunden die Qual der Wahl

Walessa ist eine Sammlerin. „Wenn ich neue Sorten entdecke oder mir welche vorgeschlagen werden, probiere ich sie aus. Sind sie gut, dann kommen sie ins Sortiment“, sagt sie.

Gartenrot Anja Walessa
Vorn zu sehen: Minze in verschiedenen Sorten. Rund 40 Varianten sind bei Gartenrot zu haben. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Damit die Pflanzen überhaupt eine Chance erhalten, müssen sie weitere Kriterien erfüllen: Sie müssen bienenfreundlich sein. Und winterhart. Dadurch müssen die Kunden die Pflanzen nur einmal kaufen. „Gemüse ist in der Regel nur einjährig. Ich verkaufe ewiges Gemüse: Sorten, die sich im Winter einziehen und im Frühjahr wiederkommen.“

Beispiel: Schottischer Liebstöckel. Er schmeckt nicht wie der klassische Liebstöckel (Maggikraut), sondern hat einen feinen Petersiliengeschmack. Deshalb wird die mehrjährige Pflanze auch Staudensilie genannt. Echte Petersilie muss dagegen jedes Jahr neu gesät werden.

Alte regionale Sorten müssen nicht unbedingt in der Region gerettet werden

Natürlich gibt es von Gartenrot auch einjährige Pflanzen. Diese sind samenecht, das heißt, die Kunden können aus den Früchten neue Samen gewinnen und diese im kommenden Jahr aussäen. Saatgut aus Gartenmärkten enthält oft Hybridsorten, die nicht nachzuziehen sind. „Sie müssen mit F1 gekennzeichnet sein“, sagt die gelernte Gärtnerin, die zudem Landespflege (Erhalt der Natur- und Kulturlandschaft) studiert hat.

Gartenrot Anja Walessa
Die Glückskleerübchen (Ursprung: Mexiko) blühen gerade. Zur Jahreswende ist der Klee ein Glücksbringer, im Herbst werden seine weißen Wurzeln als Gemüse geerntet. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Ein weiteres Motto lautet: Pflanzen von Gartenrot müssen hier gedeihen, müssen aber nicht von hier kommen. So wachsen in der Wümme-Region chinesischer Szechuan-Pfeffer oder Vietnamesischer Wasserspinat. Walessa ist der Erhalt alter Kultursorten wichtig.

„Regionale Sorten kann man auch woanders anbauen, um sie zu erhalten. Warum sollte wilder Brokkoli aus Apulien, Süditalien, nicht auch hier geerntet werden? Er hat eine kurze Kulturzeit und wächst auch in Norddeutschland. Tomaten kommen ursprünglich ja auch nicht von hier.“ Sondern aus Südamerika.

Tomaten werden überreif geerntet – und landen auf dem Kompost

Die 59-jährige, in Bremen aufgewachsene Pflanzen- und Insektenliebhaberin bewirtschaftet den Betrieb mit einem achtköpfigen Team (in Teilzeit und Minijobs). Vormittags werden die Bestellungen fertig gemacht – Pflanzen und Saatgut vertreibt Walessa ausschließlich über das Internet.

Gartenrot Anja Walessa
Anja Walessa steht zwischen ihren Tomaten. Von jeder Sorte gibt es zwei Pflanzen zur Saatgutgewinnung. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Am Nachmittag verlangen die Pflanzen ihr Recht, im Freiland und im 2000 Quadratmeter großen Treibhaus. Dort wachsen unter anderem jeweils zwei Tomatenpflanzen ihrer mehr als 40 Sorten umfassenden Kollektion zur Saatgutgewinnung.

Die Tomaten werden überreif geerntet, aufgeschnitten und die Samen entfernt. Das Fruchtfleisch landet im Kompost. Zwei Pflanzen einer neuen Sorte mit schwarz-violetten Früchten sind gerade in der Probezeit. Sie müssen jetzt geschmacklich beweisen, dass sie ins Sortiment gehören.

Männer bestellen Chili: Wer verträgt die meiste Schärfe?

Ihre Kunden wohnen häufig in Städten. Sie haben Kleingärten oder Balkone, die sie mit speziellen Nutzpflanzen bestücken wollen. Auch Urban Gardening, das gemeinschaftliche Gärtnern auf städtischen Flächen, sei vertreten, so Walessa: „Die Vereine machen oft Sammelbestellungen.“ Von einigen Kleingärtnern könne sie bei Telefonaten noch etwas lernen, sagt sie. Und für die Balkone wird sie nächstes Jahr eine neue Tomate namens Tiny Tim im Angebot haben.

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Im Gewächshaus herrscht an Sommertagen wahres Treibhausklima. Hier muss viel gegossen werden. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Zu ihren „Dauerbrennern“ zählen Marokkanische Minze und Zitronenverbene, beides Teepflanzen. Speziell ist die Kundschaft der fast 40 Chili-Varianten. „Um Chili gibt es gerade einen Hype. Er wird fast nur von Männern bestellt. Es geht darum, wer besonders scharfe Sorten essen kann; dazu gibt es verschiedene Foren im Internet.“

Die Blüten der Echinacea sind wunderhübsch und im Sommer voller Bienen

Um die Bestellung zu erleichtern, sind im Gartenrot-Katalog die Schärfegrade angegeben, von null/eins (Chili Stavros aus Griechenland) bis zehn (Chili Scotch Bonnet aus der Karibik).

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Sie vermehre so ziemlich alles außer Zierpflanzen, sagt die Gärtnerin. Wobei der Übergang gleitend ist, denn die insektenfreundlichen Nutzpflanzen entwickeln oft sehr schöne Blüten. Wie die Heilpflanze Echinacea. Wohl kaum eine Kundin oder ein Kunde werde sich angesichts der Vielzahl von angebotenen Echinacea-Produkten die Mühe machen, die Wurzel auszugraben und sich daraus einen Sud zu kochen, so Walessa. „Aber die Blüten sind wunderhübsch und im Sommer voller Bienen.“

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Echinacea ist nicht nur heilsam, sondern bei Schmetterlingen und anderen Insekten sehr beliebt. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Andere Blüten können zum Verfeinern von Speisen (vorzugsweise Suppen) verwendet werden, etwa die der Speisechrysantheme.

Hilfe für verwirrte Hobbygärtner: Pflanzpakete mit Kräuterklassikern

Für faule Hobbygärtner oder als Einstieg empfiehlt die Gärtnerin Kräuter wie Thymian, Rosmarin und Salbei. Sie kommen immer wieder, sollten im Winter nur ein wenig vor Frost geschützt werden. Kunden, denen die Sortenvielfalt zu verwirrend ist, können Pflanzpakete bestellen, etwa Kräuterklassiker, Teekräuter, „Wildobsthecke“ oder „Erdbeergarten“.

Die jüngste Produktkategorie sind die Färberpflanzen. Für Gartenfreunde, die ihre Nutzpflanzen nicht nur essen und trinken wollen. „Mit Färberpflanzen können alle tierischen und pflanzlichen Naturmaterialien wie Schurwolle, Seide, Leinen, Flachs und Baumwolle gefärbt werden“, ist auf der Gartenrot-Website zu lesen. Ebenso Erläuterungen, wie gefärbt wird.

Gärtnerei Gartenrot bei Hamburg: Auch hier kommt der Genuss nicht zu kurz

Aroniabeeren liefern ein zartes Blau, ebenso Klatschmohnblüten, sofern letztere nicht mit Essig gebeizt sind. Dann wird es rosa-grau. Leuchtend gelbe Wolle entsteht durch Färberkamille, goldbraune mit Mädchenauge.

Ob geschmacklich oder optisch: Der Genuss soll beim Gärtnern nicht zu kurz kommen, findet Walessa. So entstand auch der Name Gartenrot: „Es ist wunderschön, nach der Arbeit in der Abenddämmerung, wenn die Sonne rot untergeht, den Garten zu genießen.“