Dutzende Bands, ein Galerie-Dorf, Installationen im Grünen - es gab viel zu entdecken.
Hamburg. Horst ist ein echter Partyhengst. Auch wenn das dem Spielzeug-Pony auf den ersten Blick nicht anzusehen ist. Am Freitagabend stand das schwarze Pferdchen noch brav angeleint auf seinen vier Rollen vor dem Saloon. Der Laden, der in seiner Schwarz-Weiß-Optik von alten Cowboy-Filmen inspiriert wurde, ist das Herzstück des Fischer-Western-Dorfes. Und diese vom Hamburger Jakobus Siebels entworfene Galerienzeile ist wiederum eine der vielen Stationen, die die rund 10 000 Fans bis Sonntagnacht auf dem Pop- und Kunst-Festival Dockville in Wilhelmsburg entdecken - und feiern - konnten.
Bei seiner zweiten Auflage hat sich die Zuschauerzahl des Open-Airs fast verdoppelt. Und auch die Infrastruktur mauserte sich - ohne aber am anarchischen Charme der Szene-Sause zu kratzen. Versorgte die Gäste beim Debüt 2007 mehr oder minder eine Pommesbude, bei der auch gern mal der Strom ausfiel, so reichte die Auswahl nun vom "Dockville-Lümmel" (Krakauer) bis zu Burritos aus der "Mexikanischen Seemannsküche".
Die meisten Fans waren per Rad durch den Alten Elbtunnel oder per Bahn und rotem Doppeldecker-Shuttlebus angereist. Empfangen wurden sie Freitag nicht nur von Matschpfützen, sondern auch von Bernd Begemann - und das pädagogisch wertvoll: "Judith, mach deinen Abschluss", sang Hamburgs elektrischer Liedermacher dem Jungvolk zu. Und die Mädchen mit Blumen im Haar und Punkten auf den Gummistiefeln tanzten direkt weiter, als das Stockholmer Septett Blind Terry mit ihren sommerleichten Pop-Melodien Hippieflair verbreitete.
Für all jene, die es im Leben noch nicht auf die große Bühne geschafft haben, machte der Siebdruckladen ein Angebot: Vielleicht hilft ja eine Unterhose mit dem Schriftzug "KapiTALENTentwickler" der eigenen Karriere auf die Sprünge - oder zumindest der Produktion von kreativem Nachwuchs. Während sich auf der Veranda des Galerien-Dorfes einige in der Schaukel-Bank in den Sonnenuntergang wiegten, erkundeten andere die Kunstlehrpfade, die labyrinthisch durch die Büsche führten. Schnarrende Laute aus dem Unterholz verrieten, dass die Endemiten nicht weit sein konnten - Tierchen, deren Populationen wohl nur auf dem Dockville gedeihen. Es handelte sich etwa um den dicklippigen "Eitelscheitler" oder den schnorchelnden "Schnapswurm", wie Schautafeln verrieten.
Wenige Meter weiter lud "The Pickled Hering" zur Rast. Das Künstlerduo "Down 2 Earth" schenkte in seiner bunten Butze selbst den Wodka aus - nach dem Motto "Durst ist schlimmer als Heimweh", das neben allerlei Nippes und einem sonnenbebrillten ausgestopften Dackel an der Wand hinter der Bar hing. Als die kanadische Kombo The Tequila Mockingbird Orchestra, mit deren Präsenz die Hütte eigentlich schon voll war, die Gäste mit ihrem Polka-Pop dann noch zum tobenden Chor einte, geriet "Der eingelegte Hering" vollends zum Zeitloch.
Dass Musik weiterhin Läden braucht, in denen sie sich ungebremst entfalten kann, darauf machte auch Thees Uhlmann beim Tomte-Gig aufmerksam, indem er flammend für das von der Schließung bedrohte Molotow plädierte: "Ich habe dort zehn Prozent meiner Sozialisation verbracht", sagte der Sänger und Gitarrist. Der Soli-Stand für den Kult-Klub auf der Reeperbahn verkaufte am Sonnabend jedenfalls fleißig Buttons und sammelte Unterschriften zur Vorlage bei der Kulturbehörde. Ein positives Fazit zog auch Christiane Schuller von der Sauna "Detox I". Viele Dockville-Gäste hätten in dem Mini-Dampfbad bereits die Gelegenheit zur Entgiftung in Schwitzform genutzt, sagte die Erbauerin, während sie ein paar Bretter nachschraubte.
Horst, das Party-Pony, hatte derweil die Koppel gewechselt und amüsierte sich - samt Reitern - vor der Wäldchenbühne bei Le Triste Cannibaliste, einem Elektro-Kollektiv, das für die erkrankten Peters eingesprungen war. Offensichtlich fühlte sich der Vierbeiner aber zu Höherem berufen. Denn bei den Auftritten der lokalen Rock-Kracher Sport, der bezaubernden Mädchen-Band Those Dancing Days, den Soul-Haudegen Superpunk und den dänischen Ravern Dúne rockte Horst durchgängig in der ersten Reihe vor der Hauptbühne, die er zur Wahnsinnsshow von Deichkind schließlich enterte. Da sprang Horst dann mit Hamburgs Hip-Hoppern auf dem Trampolin um die Wette - während auf der kleineren Bühne der offenbar völlig zugedröhnte Sänger der britischen Psychedelia-Ikonen Television Personalities an seiner eigenen Demontage arbeitete.
Am Sonntag, bestätigte Dockville-Sprecher Jean Rehders, wurde Horst schon wieder munter gesichtet - im Galerien-Dorf, wo sich nachts noch die Menge zu Soul vom DJ Team "For Dancers Only" glücklich getanzt hatte. Am Nachmittag war das Pony aber schon wieder davongerollt. Schließlich gab es ja mit Bands wie Fotos und Fettes Brot auch noch reichlich Pop und Kunst zu entdecken - und zu feiern.