Die elf neuen Songs sind Vorlagen für die Liveshow dieser musikalischen Spaß-Guerilla.

Hamburg. Es gibt Champagner. Eigentlich hätte man bei Deichkind eher Bier aus der Halbliterdose erwartet, immerhin ist das Hamburger Hip-Hop-Elektro-Quintett Weltmeister in der nicht olympischen Disziplin Bierdusche. Alkohol am helllichten Vormittag ist dem Redefluss der vier anwesenden Künstler jedenfalls durchaus zuträglich, nur Neu-Mitglied Ferris MC fehlt beim Interview-Termin im Hamburger Fleetstreet-Theater. Die Band hat sich um einen ausladenden Tisch gruppiert, der übersät ist mit Spielzeug, Süßigkeiten, Büchern, Deospray und anderem Krimskrams. Es sieht aus, als wäre hier gerade ein Kindergeburtstag zu Ende gegangen, auch wenn sich in diesem kunterbunten Sammelsurium Bücher des Avantgarde-Schriftstellers Rainald Goetz und über den Künstler Martin Kippenberger befinden. Aber Kindsein hört ja nicht mit 13 auf. Wenn man Glück hat.

Der Tisch entspricht in seiner Unaufgeräumtheit den Shows von Deichkind. Konzerte des Quintetts sind kollektiver Exzess, bei denen jeder auf und vor der Bühne sich bei freiwilligem Verzicht auf seine Menschenwürde zum Deppen machen darf. Die Bierdusche, bei der die Fans Dosenbier so lange schütteln, bis der Gerstensaft in einer zischenden Fontäne herausspritzt, war der Höhepunkt ihres Auftritts beim Dockville-Festival im Sommer. Festivalbesucher, die ohnehin drei Tage lang nicht in die Wanne kommen, nahmen den Spaß launig hin. Anders als einige Gucci-Kleid-Trägerinnen bei einer Mode-Gala: Dort teerte und federte die Spaßguerilla aus Hamburg die erlesenen Gäste mit Wodka-O-Saft und Federkissen.

"Arbeit nervt" heißt das neue Album, der gleichnamige Song ist eine neue Hymne auf den hemmungslosen Hedonismus und hat gute Aussichten, "Yippie Yippie Yeah" als beliebtestes Mitsinglied der Band abzulösen. "Hört ihr die Signale", "Gut dabei" und "Metro" sind weitere Elektro-Kracher, bei denen es um Party und Besäufnisse geht. Eine Diskurs-Band sind Deichkind nicht gerade, doch untereinander wird viel über die eigenen Texte und ihre Wirkung diskutiert. "Unsere Songs werfen auch die Frage auf, inwieweit ich mich in die Gesellschaft eingliedern muss. Und warum sie nicht zulässt, am Nachmittag schon mal besoffen zu sein", grummelt Bassist Porky, das Schwergewicht der Band. Er gehört zu den "Kapitalos" in der Band. "Kapitalos halten bei jedem Burger King an der Autobahn an, hören laut Techno und Hip-Hop, rülpsen und furzen", erklärt Philipp grinsend. Er selbst zählt zur Gruppe der "Dinkels", die sich vegetarisch ernähren, Bücher lesen und aus Umweltschutzgründen höchstens mit Tempo 120 auf der Autobahn fahren. Mit seiner großen Brille und dem kurz geschnittenen Bart würde der Rapper optisch auch als Verfasser intellektueller Romane durchgehen.

Doch es gibt Zwischentöne in der Pop-Lyrik von Deichkind, manchmal kommen sie mit einem Augenzwinkern daher, aber beim oberflächlichen Hören des neuen Albums bleibt als Message vor allem das Recht auf Rausch. "Es geht bei unseren Songs natürlich in erster Linie um Pop und Unterhaltung", ergänzt DJ Phono, "da können solche Zwischentöne schon mal verloren gehen."

Auch Phono gehört mit seinem eng geschnittenen dunklen Anzug und seinen nachdenklichen Antworten eindeutig zu den "Dinkels" - was ihn auf der Bühne jedoch nicht davon abhält, in das anarchische Deichkind-Paralleluniversum einzutauchen. Die Band wird inzwischen vor allem für ihre wahnwitzigen Liveshows geschätzt, bei denen die Musiker im Kanu über die Menge rudern, in Müllsäcken herumspringen oder Fans scharenweise zu sich auf die Bühne holen. "Bei uns fällt die Distanz zwischen Band und Publikum weg. Wir spielen mit den Fans auf Augenhöhe und verschmelzen zu einem gemeinsamen Mob", sagt DJ Phono.

Auf dem neuen Album gibt es einen Song, der aus dieser Feier-Elektro-Hip-Hop-Mucke herausfällt und es ziemlich sicher nicht ins Bühnenrepertoire schaffen wird. "23 Dohlen" ist ein Lied über Paranoia, in dem Deichkind einen naiven Kinderreim mit düsterer Romantik und einem Techno-Beat verknüpfen. "Der Song ist schon eine ziemlich dinkelige Angelegenheit", sagt Philipp. Am Ende des Tages trennen sich die beiden Deichkind-Fraktionen. "Dinkel" Philipp vertieft sich in die Dramen von Rainald Goetz, die "Kapitalo"-Fraktion hört schlimmen 90-Jahre-Trash-Pop und lässt ein paar Bierflaschen aufploppen. Die passen eh besser als Champagner.


Deichkind: Arbeit nervt (Universal)

Öffentliche Generalprobe der Tourshow: 26.11., 21 Uhr, Kampnagel, Ticket 4,30 Euro. Show 21.12., Docks, 21 Uhr, Karten zu 21.70 Euro im Vorverkauf, das Konzert am 20.12. ist ausverkauft.