5000 Fans entdeckten Bands, Künstler - und Wilhelmsburg.

Hamburg. Das Dockville-Festival fängt für viele am Alten Elbtunnel an. Schwups durch die gekachelte Röhre und schon radeln die Pop- und Art-Fans durch die Container-Schluchten. Für die, die sich sonst nur im St.-Pauli-Szene-Dunstkreis bewegen, eine Expedition. Köhlbrandbrücken-Panorama, Angler an der Wasserkante und an einem vertrackten Brückenknoten die Frage: "Da geht's wohl auf die Autobahn, aber wo geht's zum Dockville?"

Ein Pulk staut sich, bis ein Rennradler den Weg weiß. "Hinterher!" Auf zur temporären Stadt im Hafen. Ecke Neuhöfer Straße / Reiherstieg-Hauptdeich stoßen noch die Ströme dazu, die mit S-Bahn und Bus nach Wilhelmsburg gereist sind.

5000 Besucher erlebten Freitag und Sonnabend auf dem neuen Open-Air-Gelände mehr als 20 Bands, sahen Bilder und Installationen von zwei Dutzend Künstlern und tanzten bis zum Morgen zum DJ-Sound auf der Wiese. Die IBA, die das Dockville unterstützt, hat ihr Ziel erreicht. Der Stadtteil, der bis 2013 stadtplanerisches Spielfeld der Internationalen Bauausstellung ist, wird erkundet, mit Kultur belebt.

Dass diese Zwangsbeglückung von manchem Ansässigen jedoch auch als Invasion empfunden wird, erfuhr die Performance-Gruppe "xyz" im Gespräch. In einem Container am Eingang konterkarrieren die Ex-HfbK-Studenten den "Sprung über die Elbe", indem sie in einem simulierten IBA-Stand Plattenbauten, Straßen, sogar Bürger des Viertels verkaufen. "Is Wilhelmsburg jetzt Berlin, oder was?", fragt ein "Käufer" und nippt am kostenlosen Info-Sekt.

Das Projekt ist nicht die einzige persiflierende Kopie beim Dockville. Die Kunst-Container sollten eigentlich mitten auf dem Gelände den Kaispeicher A darstellen. Geplant war, nach einer Idee des Künstlers Daniel Richter darauf die Elbphilharmonie nachzubauen, um zu zeigen, dass nicht nur Hoch-, sondern auch Subkultur Förderung braucht. Doch obwohl wegen des matschigen Bodens nur ein Drittel des Konzerthauses aus Plane und Treibgut im Festival-Wäldchen emporragt, gibt's für das mit Jung und Alt gut gemischte Publikum reichlich Stimulanz.

Während Thees Uhlmann in einem windschiefen Zirkuszelt singt, das zugleich dem Art Store St. Pauli als Schauraum dient, setzt auf der Hauptbühne Hip-Hop von Kinderzimmer Productions ein. Einige Meter weiter versuchen sich Neugierige an der Freiluft-Orgel, die Max Frisinger auf alten Kühlschränken errichtet hat. Hinten im Grün sind die Rapper von Int.net zu entdecken, die den "mobile booster", einen Mini-Trecker mit Soundsystem, bespielen. Nebenan residiert Jakobus Siebels, Maler des Dockville-Artwork, auf einem Sofa vor zwei großen Gemälden. Am Sonnabend, als Künstler Brutus zu Elektromusik live seine Visuals malt, posieren viele Gäste fürs Erinnerungsfoto vor Siebels Hafenbildern.

Zwar ist der Aspekt Kunst noch ausbaufähig. Aber die Gleichzeitigkeit der Sinneseindrücke - kombiniert mit einer handgemachten, wenig kommerzialisierten Professionalität - verleiht dem Dockville beim diesjährigen Auftakt bereits eine ganz eigene Aura. Hinzu kommen sympathische Ideen - etwa mit "Becher für Brunnen" der Appell, das Pfand für das Projekt "Viva con agua" zu spenden. Und nicht zu vergessen: die Bands.

Am Freitag tanzt sich die Menge bei steifer Brise zum Synthie-Punk von Robocop Kraus warm. Auch The Whitest Boy Alive - ein Highlight - hadert mit der Kälte, hüpft daher munter zu seinem Disco-Folk-Funk. Am Sonnabend, als die Fans wieder in Wilhelmsburg eintrudeln, ist Zwanie Jonsons leichter Pop der ideale Soundtrack zum Lümmeln auf sonniger Wiese. Und als Hamburgs Tocotronic als letzte Band zur "Kapitulation" aufrufen, ist vielen klar: Aufgeben sollte das Dockville-Festival definitiv nicht. Im Gegenteil.