Nach dem Tod von Produzent “Sebi“ denkt die Band über die Zukunft nach. Erst mal aber kommt das Kollektiv am 13.12. in die Sporthalle.

Hamburg. "Die Deichkind-Schlauchboote müssen wir abbestellen", tönt es leise aus einem Büro von Buback-Konzerte auf dem Kiez. Ein Hinweis auf das baldige Ende von Hamburgs populärer Live-Band? Schließlich ist es Tradition bei Deichkind-Konzerten, dass Crew-Mitglieder mit Schlauchbooten und Badeinseln durch das Publikum schwimmen. Nein, es geht nur um geplante Fanartikel, die zu teuer waren.

Als Deichkind-Produzent und -Mastermind Sebastian "Sebi" Hackert im Februar dieses Jahres überraschend nach plötzlichem Herzversagen im Alter von nur 32 Jahren starb, war es sowohl privat als auch künstlerisch ein Schock für Philipp Grütering, Henning "Phono" Besser, Sebastian "Porky" Dürre und Sascha "Ferris" Reimann. "Deichkind ist ein Kollektiv von über 20 Menschen und losgelöst von Personen, aber Sebi hat einfach für einen ganz speziellen Sound gesorgt, der ist für immer weg", erzählt Grütering im Buback-Büro.

Die letzten Wochen hat er damit verbracht, die von Hackert über die Jahre produzierten Songs von Deichkind, Fettes Brot, 5 Sterne Deluxe und vielen weiteren Bands für eine Compilation zusammenzutragen. Das ist ein Teil der Eigentherapie, um den Verlust des engen Freundes zu verarbeiten.

Ein weiterer Teil war, die Festivalauftritte in diesem Sommer wie geplant durchzuziehen, statt sie abzusagen. "Das hat uns sehr gut getan", erinnert sich Dürre, erzählt aber auch von Abenden, an denen er kaum auf die Bühne zu bewegen war.

Aber wer Deichkind dieses Jahr, zum Beispiel beim Reeperbahn-Festival in der Großen Freiheit im September, gesehen hat, stellte eigentlich keinen Unterschied zu früheren Konzerten fest. Monströse Elektro-Beats, aggressive Synthesizer-Attacken und Hymnen auf kollektiven Exzess wie "Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)", "Arbeit nervt" oder "Limit" verwandelten die volle Freiheit in einen siedenden Mob wie eh und je. Vor dem Klub rückte derweil Bereitschaftspolizei in kompletter Schutzmontur auf, um die vor der Klubtür ausharrende Menge notfalls in Schach zu halten. Und bei den großen Festivals zerstampfen Zehntausende seit Jahren zu "Bon Voyage" das Geläuf oder schütten sich wie beim Dockville 2008 auf Befehl vorab ausgegebenes Dosenbier über den Kopf. Auf dem Hurricane Festival 2007 versammelten sich mehr Fans bei Deichkind vor der Nebenbühne als nebenan bei den großen Rock-Ikonen Pearl Jam.

Das ist das Vermächtnis von "Sebi" Hackert, der mithalf, Deichkind vom nicht ganz ernst gemeinten Hip-Hop-Projekt der frühen 2000er zur "Electric Super Dance Band" zu machen. "Remmidemmi" läuft mittlerweile auf jeder guten Party (und mancher schlechten), auf Hochzeiten (zumindest auf dreien, die der Autor dieser Zeilen besuchte, inklusive seiner eigenen), in Sportstadien. Nena, Jan Delay, Fotos oder Mambo Kurt coverten das Stück, es ist sozusagen Deichkinds "Satisfaction" oder "Highway To Hell", das Lied, auf das große Teile des Publikums den ganzen Abend warten.

Dabei ist eigentlich "Krieg" vom vorletzten Album "Aufstand im Schlaraffenland" (2006) die bessere Deichkind-Hymne. "Wir ziehen in den Krieg, unsere Waffe ist Musik. Aus Boxen und Verstärkern bauen wir uns Barrikaden. Aus dem Establishment machen wir Hackepeter" - ein Manifest, dem sich die Band seit ihrem Stilwechsel von Hip-Hop zu Anarcho-Elektro stoisch unterwirft. Bei aller Wildheit auf der Bühne mit Trampolinen, Bierduschen und dem riesigen Schnapsspender "Zitze" ist alles streng choreografiert, die maskierten Bandmitglieder laut eigenem Bekunden austauschbar. Deichkind ist Synonym für eine Disziplin, die es schaffte, Trauer in Arbeitswut zu verwandeln und sogar einen chronischen Chaoten wie Ferris MC, der vor einem Jahr Bartosch "Buddy" Jeznach ersetzte, zu integrieren.

"Der Ferris ist ein braver Arbeiter", sagt Dürre und ruft zwei große Hunde zur Ordnung. Sebastian Hackerts Hunde, die er nun pflegt. Hennig Besser fährt eine "alte Gammelschese", die Hackert ihm einst angedreht haben soll. "Sebi" ist immer noch präsent, da ist es kein Wunder, dass Deichkind überlegt, wie es nach dem vorerst letzten Hamburger Konzert am 13. Dezember in der Sporthalle (Dürre: "Da kann ja nichts mehr kaputtgehen") weitergehen soll. "Unsere interaktive Party-Revue 'Deichkind Experience' im Oktober im Uebel & Gefährlich war ein erster Testballon und im Frühjahr planen wir noch ein Theaterstück auf Kampnagel", verrät Besser, "aber danach werden wir erst mal von der Bildfläche verschwinden." Eine Auflösung steht aber nicht zur Debatte. Dürre: "Wir haben viele Schicksalsschläge in der Band erlebt, die uns stärker gemacht haben. Das erleichtert den Blick nach vorne." Deichkind ist also noch nicht am "Limit" angekommen.

Deichkind So 13.12., 20.00, Sporthalle (U Lattenkamp), Krochmannstraße 55, Karten zu 31,80 Euro im Vorverkauf, www.deichkind.de