Anfangs war es nur eine kleine Feier. Erst mit den Stars der 50er-Jahre wurde daraus ein rauschendes Fest mit Triumphen und Tränen, Auftritten und Fehltritten, Modenschau und Diven-Neid.

Hamburg. Man stelle sich mal vor, das Personal der diesmal für den Oscar nominierten Filme träfe sich zu einer Party: Da säße dann ein Greis mit den Umgangsformen eines Kindes ("Benjamin Button") neben einem schwulen Bürgerrechtler aus den 70er-Jahren ("Milk"), einer ehemaligen KZ-Aufseherin ("Der Vorleser"), einem indischen Straßenjungen ("Slumdog Millionaire") und einem korrupten Ex-Präsidenten ("Frost/Nixon"). Alles Exotenrollen. Vom Glamour des alten Hollywood-Establishments, den eine Grace Kelly oder Marilyn Monroe, ein Cary Grant oder Gary Cooper auf die Leinwand zauberten, ist nicht viel geblieben.

Dieser Glanz findet sich heute mehr bei der Preisverleihung selbst als in den Filmen, die dort prämiert werden. Die Oscar-Gala mit ihren Ritualen - vom roten Teppich über das Öffnen der Briefe mit den Namen der Preisträger bis hin zu deren Dankesreden - ist nicht nur die Urmutter aller Preisverleihungen weltweit. Sie ist oft besser inszeniert als jedes Drehbuch, mit ihren menschlichen Dramen, dem von Stylisten durchgeplanten Erscheinungsbild der Stars, der Schauspielerkür mit Tränen, Emotionen und neidvollen Blicken. Perfektes Kino also - obwohl das ja alles nur Fernsehzuschauer sehen können.

Der Erfinder der Oscar-Verleihung, Louis B. Mayer (jener Produzent, dessen Nachname für das zweite M in MGM steht), hätte sich die Entwicklung der ursprünglich als Werbeveranstaltung für die Filmindustrie gedachten Preisverleihung, zu der jeder der Studiobosse und knapp 300 andere Mitglieder der Film-Elite 100 Dollar spendeten, nicht schöner vorstellen können. 1927, als Mayer die Idee entwickelte, war das Filmbusiness zum viertgrößten Industriemarkt der USA aufgestiegen. Die Branche war zwar erfolgreich, hatte aber den Ruf des Halbseidenen, und ihre Produkte galten allzu oft als allzu freizügig. Die Goldene Statuette des Oscar versprach Klasse und PR. Die Studiobosse, damals alle noch ruppige Selfmademen, waren begeistert davon, sich selbst und ihre Stars in besseres Licht setzen zu können.

Die allererste Gala im Mai 1929 war in erster Linie ein Abendessen, Spannung gab's nicht, denn die Oscar-Gewinner hatte man schon drei Monate zuvor bekannt gegeben. Die Preisverleihung dauerte insgesamt fünf Minuten, die Preisträger kamen nach vorn, nahmen ihre Oscars in Empfang und widmeten sich wieder dem Essen. Al Jolson, der für "The Jazz Singer" einen Oscar gewonnen hatte, sang ein Lied und sorgte danach für den ersten Witz bei einer dieser Preisverleihungen: "Ich glaube nicht, dass Jack Warner (er war einer der herrischen Warner-Brothers und hatte den Film produziert) mit dieser Statue etwas anfangen kann. Sie kann nämlich nicht ,Jawohl, Mister Warner!' sagen."

Bis 1944 bestand die Oscar-Verleihung eigentlich nur aus einem festlichen Abendessen. Es war eine Art Privatparty der Filmmoguln, bei der die Studiobosse Louis B. Mayer und Adolph Zukor sich auch schon mal im Armdrücken versuchten. Für viele Schauspielerinnen war es eher eine Verpflichtung als eine Feier, die Spaß machte. Louise Brooks oder Greta Garbo, die Leinwandgöttinnen ihrer Zeit, besuchten nie eine Oscar-Verleihung. Claudette Colbert oder Luise Rainer musste man dort hinzerren, als sie in den 30er-Jahren Preise gewannen. Und Marlene Dietrich oder Katherine Hepburn - immerhin die mit zwölfmal meistnominierte Schauspielerin - kamen jede nur einmal zu einer Oscar-Verleihung. Die Dietrich erschien 1951 in einem Dior-Kleid, das das Modehaus schlagartig in den USA berühmt machte.

Dabei sein und gesehen werden, heißt heute die wichtigste Devise. Auch wenn der Festakt bis zu vier Stunden lang und langweilig wird und sogar die anschließende offizielle Party Anstrengung verheißt, denn schließlich muss man hier den Kollegen vorlügen, wie toll man ihren letzten Film fand. Aber wer hier eingeladen ist - so lautet die wichtigste Botschaft an die anderen Eingeladenen und die interessierte Öffentlichkeit -, der kann auch beim nächsten großen Filmprojekt mitmachen. Der Aufmerksamkeitswert erhöht sich durch elitäre Galas und hilft entsprechend die Gagen zu steigern. Deshalb also hungern die Damen Wochen zuvor und buhlen darum, mit den tollsten neuen Kreationen der Modeschöpfer und dem teuersten Schmuck der angesagtesten Juweliere ausgestattet zu werden, um über den berühmtesten roten Teppich der Welt zu laufen.

Wer bei diesem Catwalk gut aussehen will - und gut heißt groß und dünn -, muss mit seinem Kleid nicht nur Trends setzen, sondern sich darin auch natürlich bewegen, im Ernstfall sogar die Treppen zur Bühne hinaufklettern können. 40 bis 50 Kleider bekommen die Filmstars von den Modehäusern zugeschickt, und alle lassen es bis zuletzt offen, welches davon sie tragen werden. Und welche Diamanten sie dazu passend benötigen. Als Beispiel für das scheußlichste Kleid aller Oscarnominierten wird immer wieder Björks Schwanenkostüm genannt, das sie 2000 trug - ein Alptraum in Weiß, mit totem Schwanenhals auf Brusthöhe und fleischfarbenem Bodysuit darunter. Wahrlich zum Grausen.

Die ursprüngliche Form der Oscar-Feierlichkeiten änderte sich 1958 grundlegend. Für die Gewinner und die Entourage der Filmbosse veranstaltete man nach der Verleihung den ersten Governor's Ball, auf dem die Damen um die Wette strahlen, die prominenten Herren auf den Putz hauen und alle 1600 geladenen Gäste ausgiebig tanzen konnten. Gleichzeitig gab es die ersten - inoffiziellen - Partys, zu denen sich Filmleute verabredeten, um gemeinsam vor dem Fernseher zu sitzen und die Preisverleihung zu verfolgen. Der allmächtige Agent Irving "Swifty" Lazar hatte ein paar Jahre später die Idee, aus dem gemeinsamen Fernsehen und der Party nach der Preisverleihung das eigentliche Oscar-Ereignis zu machen. Er lud nur die (Einfluss-)Reichen und Schönen ein. Und da er für jeden in Hollywood einen guten Deal aushandeln konnte - er vermittelte auch das Gespräch zwischen David Frost und Richard Nixon, das dem diesjährigen Oscar-nominierten Film "Frost/Nixon" zugrunde liegt -, wollte jeder dabei sein und gesehen werden. 30 Jahre veranstaltete Swifty die tollsten Oscar-Partys, die immer in Konkurrenz zum Governor's Ball standen. Da trafen sich dann Liz Taylor und Audrey Hepburn, die Taylor mit massivem Diamantschmuck an Hals und Händen. Die Hepburn fragte, auf die Kette deutend: "Tiffany's?" Und die Taylor antwortete "Nein, Mike Todd" (ihr dritter Ehemann). Hepburn fragte weiter, diesmal mit Blick auf den Ring: "Kenny Lane?" "Nein", antwortete die Taylor, "Richard Burton" (ihr fünfter und sechster Ehemann). Derart amüsierte man sich in den schicken Restaurants von Berverly Hills, Ciro's, Romanoff's, Bistro und später Wolfgang Pucks Spago und zuletzt dem Morton's, wo seit mehr als zehn Jahren die Oscar-Feier der Zeitschrift "Vanity Fair" stattfindet, die als die begehrteste Einladung gilt. Sie ist deshalb die coolste Party, weil sie genau die richtige Mischung aus Rockstars, Politikern, Sportlern, Nachrichtenmachern und Künstlern bietet.

Film kann zwar große Kunst sein, ist aber immer in der Hauptsache ein Geschäft. Ein Sieg bei den Oscars bedeutet an der Kasse durchschnittlich Mehreinnahmen von 35 Millionen Dollar. Dafür lohnt es sich schon, ein paar Millionen in die Werbung zu investieren, die Wochen vor der Preisverleihung in Los Angeles noch einmal die 5800 stimmberechtigten Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences überreden soll. Ob es der Preisverleihung hilft, weiß natürlich niemand.

Wahrscheinlich ist es mit den Oscars wie mit den Literaturnobelpreisen: Sie sind immer für eine Überraschung gut und längst nicht immer gerecht. Es regieren Willkür und Mode. Berühmte Schauspieler wie Richard Burton und Peter O'Toole waren sechs Mal nominiert und haben nie gewonnen. Auch James Dean, Marilyn Monroe, Greta Garbo und Cary Grant haben nie einen Oscar bekommen. Al Pacino und Paul Newman gelang das erst im achten Anlauf. Der berühmteste und einflussreichste Regisseur aller Zeiten, Charlie Chaplin, war nicht einmal nominiert. Hitchcock hat nie einen Oscar gewonnen. Ebenso wenig wie die großen Regisseure Stanley Kubrick, Ingmar Bergman, Federico Fellini oder Ernst Lubitsch. Aber selbst das ist noch harmlos im Vergleich zum Schicksal von Frank Capra. Der war 1935 als bester Regisseur nominiert, und als es so weit war, hieß es: "Komm auf die Bühne, Frank". Capra stand freudig auf, ging zum Podium und merkte auf halbem Weg, dass Frank Lloyd gemeint war, der für "Cavalcade" den Oscar gewonnen hatte. Das war der schrecklichste Moment seines Lebens, schrieb Capra später in seiner Autobiografie.