Warum die Musikdokumentation „All Tomorrow’s Parties“ ein Paradebeispiel für die Qualität des Hamburger Filmfests ist.

Hamburg. Riesentrubel am späten Sonnabendnachmittag im Cinemaxx: Kaum ein Durchkommen an den Türen, lange Schlangen an den Kassen, doch mit dem Filmfest hat das wenig zu tun. Hier drängen sich vielmehr Kinder mit ihren Eltern, die den Tag der deutschen Einheit für einen Kinobesuch nutzen und wahlweise „Wickie und die starken Männer“ oder „Gangs“ sehen wollen. Etwa 100 Filmfans zieht es aber auch zur Musikdokumentation „All Tomorrow’s Parties“ in den Saal 3, und die erleben knapp anderthalb Stunden lang ein Paradebeispiel für die Qualität des Hamburger Filmfests. Die Doku über das gleichnamige Festival, das seit 1999 in England stattfindet und Bands wie Fans in einer Art Sommerlager zusammenführt, ist nicht nur visuell berauschend und musikalisch mitreißend, sondern sonst nirgendwo zu sehen. Die Künstlergruppe All Tomorrow’s People und Regisseur Jonathan Caouette haben aus Super-8-Material, Camcorder- und Handy-Mitschnitten ein faszinierendes Kaleidoskop erschaffen, das den geradezu revolutionären Anti-Mainstream-Drive der Veranstaltung perfekt einfängt. Neben Indie-Größen wie Sonic Youth, Portishead oder Patti Smith gibt’s u. a. Live-Mitschnitte von Bands wie The Battles, The Lightning Bold und The Gossip, deren ungeheure Intensität den Atem stocken lassen. Selten sind 82 Minuten so schnell vergangen: „All Tomorrow’s Parties“ war definitiv ein absolutes Filmfest-Highlight!

Es ist schon seltsam. Da geht man bei Sturm und Regen am Sonnabend nochmals vor die Tür, um Kleinode der Filmkunst zu entdecken. Doch am letzten Filmfestabend ist es im sonst so überfüllten Abaton-Kino leer wie nie. Im benachbarten Festivalzentrum in der Pony Bar lungern auch nur noch ein paar Versprengte in den Ecken. Liegt’s am Film? Vielleicht. Der französische Dokumentarfilm „Land Of Madness“ macht es seinem Zuschauer nicht eben leicht. In Autorenmanier gedreht von einem berühmten, hierzulande aber völlig unbekannten Filmkritiker der Nouvelle-Vage-Ära, Luc Moullet, verlangt einige Konzentration. Moullet hat in seiner Heimatregion, den bäuerlichen Dörfern in den südlichen Alpen, Zusammenhänge zwischen Verbrechen entdeckt, die er mit grassierendem Wahnsinn in der Bergregion kurzschließt und recht willkürlich zu einem Pentagon des Morbiden verbindet. Der Zuschauer sieht Bewohner vor ihren Bauernhäusern sitzen und von schrecklichsten Erschießungen und Zerstückelungen berichten. Wahnsinnige stürmen in Bars und richten ganze Massaker an. Schuld ist am Ende auch ein bisschen Tschernobyl und der böse Wind Mistral. Die langsamen Einstellungen sind ganz der Natur der mal mehr, mal weniger fesselnden Gesprächspartner verpflichtet. Sehr konsequent vermeidet der Film jeden Effekt. Manchmal ist er unfreiwillig amüsant. Vier der insgesamt vielleicht nur 20 Zuschauer zogen zwischendurch das Weite.