Was ist ein “Filmfestbesteck“? Was versteckt sich in “Pandora’s Box“? Und wie ist die Stimmung in der westlichsten Filmfest-Stätte, dem Zeise?

Hamburg. Ausverkauftes Haus bei der „Nachtschicht“-Premiere am Donnerstagabend im Cinemaxx - aber das war nicht anders zu erwarten.

Festivalleiter Albert Wiederspiel überreichte Regisseur Lars Becker vor Filmbeginn einen neu geschaffenen Treue-Preis: Das Hamburger Filmfestbesteck. Nun schon im sechsten Jahr stellt Becker in der TV-Sektion jeweils eine neue Folge der ZDF-Kultreihe vor. Jedes Mal findet er unverbrauchte Hamburg-Bilder, geniale Episoden-Charaktere und pointierte Dialogzeilen, so auch in „Wir sind die Polizei“.

Viel Applaus gab's denn auch nach dem Film, als Becker das beinahe komplette „Nachtschicht“-Team aufs Podium holte: Die Hauptdarsteller Armin Rohde, Barbara Auer und Minh-Khai Phan-Thi sowie Cosma Shiva Hagen, Julia Dietze und Ralph Herforth. Sämtlichen Filmfest-Moderatoren möchte man übrigens Nachhilfestunden bei der für die TV-Spielfilm-Reihe verantwortlichen Melanie von Bismarck empfehlen. Erneut charmant-flüssig stellte sie Film und Macher vor und schaffte so, was in einer Moderation eigentlich selbstverständlich sein sollte: Lust auf den Film zu machen.

Nicht ganz so groß war der Andrang im Abaton, wo der zweifache San-Sebastian-Sieger (bester Film und beste Hauptdarstellerin) „Pandora’s Box“ gezeigt wurde. Ein bewegendes Drama über eine 90-jährige Türkin, die an Alzheimer erkrankt ist, von ihren Kindern aus der dörflichen Heimat in die Stadt geholt wird und sehr unter der Verpflanzung leidet. Schließlich ist es ihr Enkel, der der alten Frau einen letzten großen Wunsch erfüllt...

Regisseurin Yesim Ustaoglu, die mächtig beklatscht wurde, erzählte, dass ein an Alzheimer erkrankter, inzwischen verstorbener Freund den Film maßgeblich beeinflusst habe und wirkte immer noch betroffen. Ebenso wie das Publikum, aus dem einige Fragen zu „Pandora’s Box“, vor allem aber Danksagungen an die Regisseurin kamen. Ein großes Glück jedenfalls, dass der Film mit Kairos inzwischen einen deutschen Verleih gefunden hat und bei uns regulär in die Kinos kommen wird. Die Begegnung mit der sensationellen Hauptdarstellerin Tsilla Chelton, eine Französin, die mit 90 Jahren extra für den Film Türkisch lernte, sollte sich niemand entgehen lassen.

In der westlichsten Filmfest-Stätte, dem Zeise in Ottensen, herrschte spätnachmittags noch angenehm ruhige Atmospähre. Ein Hundbellen hallt durchs Foyer, ein Handwerker schweißt an der Fassade der alten Schiffschraubenfabrik, ein Junge spielt mit einem Papierflieger auf dem roten Teppich. Ein wenig straßenschuh-betreten sieht der Läufer schon aus. Da strahlen die Filmfest-Umhängetaschen gleicher Farbe eindeutig leuchtender.

Etwa 50 Gäste versammelten sich schließlich im Saal 2 des Zeise, um die belgisch-kanadische Produktion "Angel at sea" zu sehen. Und im Publikum zeigte sich aufs Charmanteste, wie international das Hamburger Filmfest doch ist. Zwei junge Französinnen parlierten in Landessprache, während die eine mit ihren Haaren, die andere mit ihrem Popcorn spielte. Direkt daneben tratschten einige Britinnen mit herrlich überartikuliertem Zungenschlag. "Ich habe keine Ahnung, worum es geht", verkündete beherzt eine von drei Damen, die sich zuvor angeregt über Sonderpädagogik unterhalten hatten. Sie hätten kaum einen besseren Film wählen können.

"Angel at sea", zu sehen auf Französisch mit englischen Untertiteln, erzählt die abgrundtieftraurige Geschichte eines Mannes, der an Depression leidet, und seinen jüngsten Sohn mit in die Dunkelheit hinabzieht. Er offenbart dem Jungen, dass er plant, sich umzubringen. Fortan wacht der kleine Louis wie ein Engel über den Vater. Psychische Gewalt in ruhigen Bildern - ein hartes sowie beeindruckendes Drama, das auch durch die Aufnahmen des von der Sonne ausgeblichenen Süd-Marokkos besticht.

Am Sonnabend, dem letzten Filmfesttag, wird es im Zeise wohl nicht ganz so leise zugehen. Denn "Dicke Hose", der Trash-Film von Henna Peschel und Miles Terheggen, verspricht "Big trouble in little Ottensen". Ein Heimspiel zur besten Sendezeit.