Schläge, Beleidigungen. Ein Ortstermin in der Neustadt, wo die Familie des Messerstechers vom Jungfernstieg ihre Nachbarn terrorisiert.
Hamburg. "Die Jungs sind ja nicht von allein so geworden, wie sie heute sind. Und wen, wenn nicht die Eltern muss man fragen, was da falsch gelaufen ist." Es sind die Worte eines Insiders, der die Szene rund um den Großneumarkt in der Neustadt kennt, die den Kern der traurigen Angelegenheit treffen. Die Jungs, das sind Rafael, Gabriel und Elias, der in U-Haft sitzt, seitdem er einen 19-Jährigen am Jungfernstieg mit einem Messerstich tötete.
Drei Brüder mit den Namen von Erzengeln und Propheten. Junge Männer, die in den vergangenen Wochen zu Symbolen geworden sind für die Bandenkriminalität in "ihrem" Wohnviertel um den Großneumarkt. Heranwachsende mit einer so gewalttätigen Vergangenheit, dass ihnen die Zukunft längst verbaut scheint. Und die nicht nur austeilten, sondern wohl auch selbst Gewalt erfuhren.
+++ Vater des Messerstechers festgenommen +++
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen stürmte die Polizei am Montagmorgen die Wohnung der Familie A. Mit einer Waffe hatte das Familienoberhaupt, der 60-jährige Ali A., zwei Wachleute eines Sicherheitsdienstes bedroht, der im Auftrag des Vermieters, der Baugenossenschaft freier Gewerkschafter (BGFG), seit Wochen Patrouille vor den Häusern läuft - auch um die Bewohner vor Familie A. zu schützen.
Die Polizei sei bei der Festnahme nicht zimperlich vorgegangen, schließlich sei schon lange bekannt gewesen, dass Ali A. Waffen im Haus gehabt habe, heißt es bei der Hausverwaltung. Die Beamten fanden dann auch zwei Schreckschusspistolen. Der 60-Jährige gelte als völlig unberechenbar. Und immer wieder sollen Nachbarn Tätlichkeiten innerhalb der Familie an den Vermieter gemeldet haben. Wen die Schläge trafen, blieb hinter der schmalen Wohnungstür verborgen.
Dass sich Alis A.s neun Jahre jüngere Ehefrau Elizabeta noch aktiv um die Erziehung ihrer drei Söhne kümmern kann, scheint fraglich. Glaubt man den durchweg kritischen Aussagen von Nachbarn, ist die Mutter alkoholabhängig. Sie soll mehr in den Kiosken denn in der Wohnung anzutreffen sein.
Kein gutes Umfeld für drei frustrierte Jugendliche, denen die richtigen Vorbilder fehlen. "Es wäre gut, wenn die drei Brüder mal von der Familie wegkämen", sagt ein Nachbar, der seinen Namen nicht nennen will. Wie alle anderen auch, mit denen man am Großneumarkt spricht.
Die Menschen hier haben Angst vor Familie A. und den Neustädter Jungs, wie sich die knapp 20 Jugendlichen um die drei Brüder nennen, die das Viertel für sich beanspruchen. Die sich in den späten Abendstunden auf dem nahen Spielplatz an der Kita treffen. In dem Mehrfamilienhaus, in dem auch Familie A. zu Hause ist, sprechen sich die Bewohner ab, wenn sie ihre Wohnungen verlassen. Sie haben Angst, ihnen könnte etwas passieren, wenn sie im Wäschekeller oder im Treppenhaus auf Elias' Geschwister treffen. Wer sich ihnen in den Weg stelle, müsse mit Konsequenzen rechnen, heißt es.
Die Rede ist von Türschlössern, die verklebt wurden. Von Tritten, Schlägen, Beleidigungen. Von Flammen vor der Haustür, kleinen Feuern, die auf Fußmatten gezündet wurden. Von Spuckattacken.
Doch die Tage der Familie A. in dem Viertel scheinen gezählt. Wie die Hausverwaltung bereits offen auf den Bewohnerversammlungen kommuniziert, hat die Familie bereits das Kündigungsschreiben erhalten. Da sie bislang nicht reagiert hat, wird die Sache wohl vor Gericht entschieden.
Alle Bewohner, die bereits negative Erfahrungen gemacht haben, wurden aufgefordert, diese für die Beweisführung im Prozess niederzuschreiben. "Wir haben überhaupt keinen Zugang zum Mieter", sagt BGFG-Vorstand Ingo Theel, 52. Nach den Vorfällen der letzten Wochen glaubt er an eine klare Entscheidung zugunsten der Genossenschaft - und der anderen Mieter.
Familie A. droht dann die Zwangsräumung. Für Theel ist das die klare Konsequenz, nachdem die von ihm beauftragten Sicherheitsleute das Viertel in enger Abstimmung mit der Polizei observierten. "Wir wollten wissen, wie die Lage wirklich ist."
Auch wenn sich die Situation durch die unregelmäßigen Patrouillen des Wachdienstes verbessert hat, an eine Befriedung glaubt hier keiner. Noch immer trainieren die Jugendlichen ihre Kampfhunde am Abend auf dem Spielplatz. Und auch Rafael, der Jüngste der Brüder, soll immer wieder dabei beobachtet worden sein, wie er den Schäferhundmischling der Familie mit recht rabiaten Mitteln aufhetzte.
Doch nicht jeder im Viertel stimmt in den Kanon der Negativberichte ein. "Es ist immer auch eine Frage der Kommunikation", sagt ein 40-Jähriger, der mit seinen Töchtern in einem Sandkasten spielt, "die darüber entscheidet, wie man miteinander auskommt." Wer mit den Jugendlichen respektvoll umgehe, nicht sofort unfreundlich werde, bekomme den Respekt auch zurück.
Die meisten, die jetzt gegen die Familie und die Zustände im Viertel wetterten, gingen nach 20 Uhr nicht aus dem Haus, glaubten aber alles zu wissen, sagt der Familienvater, der an das gelungene Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten in der Neustadt glaubt.
Der Familie wird das nicht helfen. Während Elias A. in einer Einzelzelle am nur wenige Hundert Meter entfernten Holstenglacis auf seinen Prozess wartet, soll Vater Ali seinen Job bei einem Fischgroßhändler verloren haben. Vielleicht erklärt das auch seinen Ausbruch vom Montagabend.