Als Haupttäter gilt Elias A. (16) - er hat die tödlichen Stiche bereits gestanden. Er tötete Mel D. am Jungfernstieg offenbar im Verlauf eines Streits.

Hamburg. Der Jugendliche, der am Bahnhof Jungfernstieg offenbar aus nichtigem Grund den 19-jährigen Mel D. erstochen hat , ist gefasst. Die Polizei nahm ihn am Montag in der Wohnung seiner Eltern und seiner Geschwister am Großneumarkt (Neustadt) fest. Er ist 16 Jahre alt und gilt bei Polizei und Staatsanwaltschaft als Intensivtäter. Elias A. hat im Verhör die Tat gestanden, das bestätigte ein Polizeisprecher am Montagabend.

Bereits seit sechs Jahren existiert bei der Polizei eine Akte über den 16-Jährigen, ein deutscher Staatsbürger mit afghanisch-stämmigen Eltern. Insgesamt 20-mal ist bereits gegen den Jugendlichen ermittelt worden, meist wegen Körperverletzungen. Neben Elias A. fassten die Ermittler drei mutmaßliche Mittäter. Auch sie kommen aus dem Bereich rund um den Großneumarkt und sind bei der Polizei bekannt. Auch der fünfte Komplize wurde inzwischen ermittelt. Der Aufenthaltsort des 15-Jährigen ist bekannt, er werde noch am Dienstag bei der Polizei erscheinen und verhört, sagte ein Polizeisprecher. Für seine Festnahme bestehe jedoch kein Grund. Bis auf den tatverdächtigen 16-Jährigen wurden auch die übrigen drei aus der Gruppe nach ihrer Vernehmung und erkennungsdienstlichen Behandlung wieder auf freien Fuß gesetzt.

Als Reaktion auf die Tat kündigten die Senatoren Christa Goetsch (Schule), Dietrich Wersich (Familie), Till Steffen (Justiz) und Christoph Ahlhaus (Innen) eine gemeinsame Aufarbeitung des Falles und seiner Vorgeschichte an. Ein in Hamburg bislang einmaliger Vorgang. Das spätere Opfer hatte gemeinsam mit einem Freund am Jungfernstieg auf eine S-Bahn gewartet, als der spätere Täter und seine Begleiter zunächst an ihnen vorbeigingen, dann umkehrten und sie provozierten. Elias A. zog nach bisherigen Erkenntnissen unvermittelt ein Messer, rammte es seinem Opfer in den Oberkörper. Mel D. verblutete auf dem Bahnsteig.

Mit Hilfe der Videoaufzeichnung im Bahnhof Jungfernstieg gelang es, ihre Gesichter zu identifizieren. Polizeibeamte erkannten Elias A. und einige seiner Begleiter auf den Aufnahmen wieder, Zielfahnder nahmen die Spur auf. Montagmorgen überraschten die Fahnder Elias A., Kai W., 18, Sebastian S., 17, und Kamil K., 17. Am Dienstag soll ein Haftbefehl gegen den Messerstecher erlassen werden. Laut Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers wird die Anklagebehörde Untersuchungshaft wegen Mordes oder Totschlags beantragen. Elias` Freunde kommen voraussichtlich wieder frei.

Der 16-Jährige wird bei den Hamburger Behörden seit Januar 2010 in der sogenannten „Protäkt“-Datei geführt, gilt wegen der Anzahl und Brutalität seiner Vergehen und Verbrechen als sogenannter Intensivtäter. Trotz der inzwischen 20 Ermittlungsverfahren ist Elias A. jedoch offenbar noch nie verurteilt worden. Bei einigen Fällen war er noch nicht strafmündig, andere Verfahren wurden mangels hinreichendem Tatverdacht oder gegen Auflagen eingestellt. Zwei Fälle sind nach Informationen des Hamburger Abendblattes noch offen.

Der Hamburger SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz fordert als Konsequenz aus dem Messerangriff ein Waffenverbot in U- und S-Bahnen. Außerdem plädiert er für ein nächtliches Alkohol-Verkaufsverbot an Tankstellen und Kiosken im gesamten Stadtgebiet.

Elias A.: Seit seinem zehnten Lebensjahr ist er polizeibekannt

Seine eigenwillige Frisur hat Elias A., der wie seine Brüder einen christlichen Vornamen trägt, abrasiert. Offenbar in Hektik. Eine drei Zentimeter lange Schnittwunde ziert die rechte Stirnhälfte des Deutschen mit afghanischen Wurzeln. Ganz offensichtlich wollte der 16-Jährige sein Aussehen verändern, nachdem er am Wochenende aus den Medien von der Fahndung der Polizei erfahren hatte. Nach dem tödlichen Messerstich vom Freitagabend am Jungfernstieg suchte sie unter anderem einen Jugendlichen mit einem Irokesen-Haarschnitt.

"Das war kein Irokesen-Schnitt", sagt einer seiner Freunde vom Großneumarkt (Neustadt). "Das war ein Kanaken-Schnitt." Allein die Fahndungsbeschreibung der Polizei ließ bei dem mutmaßlichen Täter vom Jungfernstieg so etwas wie Hoffnung aufkommen, dass er möglicherweise davonkommt.

Ein Zeichen der Naivität eines großen Jungen, über den Anwohner sagen, dass dieser mit gesenktem Blick durch die Straßen ging, wenn er allein unterwegs war. Wenn er allerdings mit den Freunden und den Hunden auftauchte, dann markierte er den Macker. So offenbar auch am Freitagabend, als er mit Kamil K., 17, Sebastian S., 17, und Kai W., 18, am Jungfernstieg ausstieg und den 19 Jahre alten Mel D. mit seinem Messer niederstach.

Elias habe sich seinen Freunden danach offenbart, erzählt einer der Jugendlichen, die mit dem 16-Jährigen aufgewachsen sind. Warum hat er ihm nicht geraten, sich zu stellen? "Er wollte ihn doch gar nicht töten", lautet die hilflose Antwort. Elias habe gesagt, dass er "nur in den Arm" stechen wollte, aber die Brust getroffen habe. Am nächsten Tag habe er erfahren, dass er Mel umgebracht hatte. Seinen Freunden habe Elias erzählt, dass Mel den Streit angefangen hatte. Er selbst sei nur seinem Kumpel zu Hilfe gekommen.

+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++

Eine Aussage, die im totalen Gegensatz zu den Erkenntnissen der Polizei steht. Danach haben die fünf Jugendlichen am Freitagabend auf dem Bahnhof Jungfernstieg mit mehreren Personen Streit gesucht.

Freunde und Familie des 19 Jahre alten Opfers beschäftigt derzeit neben der Trauer auch eine große Furcht. "Es wird doch wieder so sein, dass der Täter nur eine milde Strafe bekommt, weil er noch so jung ist", sagt Christiane Schilling. Sie ist eine Freundin von Mels Eltern, kannte den Sohn von Kindesbeinen an.

Immer wieder gebe es derartige Übergriffe, doch die Gerichte reagierten nicht, klagt sie. Die Vorstellung, dass der Jugendliche nach seiner möglichen Haftzeit sein ganzes Leben noch vor sich haben wird, lässt Christiane Schilling verzweifeln. "Er kann eine Familie gründen und Kinder bekommen", sagt sie. "Mel kann das nicht mehr."

Die Gewalt-Eskalation von Elias A. war für jeden sichtbar. Für die Eltern, die Schule, an der er seinen Hauptschulabschluss machte, für die Behörden. In 20 Fällen hat die Polizei seit seinem zehnten Lebensjahr gegen ihn ermittelt. Zuletzt wegen einer Schlägerei. Bis auf zwei Verfahren wurden alle gegen Auflagen oder mangels Tatverdacht eingestellt. Bei vielen Taten war er noch nicht strafmündig. "Wir wussten, dass er irgendwann sein Leben vergeuden würde", sagt einer seiner Freunde.

Dem Leben eines anderen Menschen hat er ein brutales Ende gesetzt: Gestern Abend legte Elias A. ein umfassendes Geständnis ab.

Den einzigen Trost, den die Freunde und die Familie von Mel noch haben, ist der Zwillingsbruder des Getöteten. Er sieht exakt so aus wie Mel. "Beim Prozess", sagt Christiane Schilling, "wird der Täter seinem Opfer noch einmal ins Gesicht sehen müssen."