Hamburg. Experte hält Social Media für den effizientesten Kanal. Hamburger Regierungsparteien müssen ihre Taktik ändern – sonst profitieren andere.
Ob auf Instagram, TikTok oder Facebook: Im Wahlkampf kommen Politiker nicht drumherum, digitale Plattformen in ihre Kampagnen zu integrieren. „Mittlerweile ist Social Media fester Bestandteil jedes Wahlkampfes“, sagt Politikberater Martin Fuchs, und geht sogar noch einen Schritt weiter: „Der nächste Bürgerschaftswahlkampf wird der digitalste sein, den wir bisher erlebt haben.“
Dabei könnte einiges auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen – auch weil die Bundestagswahl fast zeitgleich stattfindet.
Wegen Doppelwahlkampf: Parteien in Hamburg müssen effizient arbeiten
Fuchs ist Social-Media-Experte, Blogger, Dozent und Strategieberater – die Liste ließe sich noch weiter fortführen. Der Hamburger kennt das politische Geschehen aus der Nähe: „Der Aufwand und die Mobilisierung der eigenen Leute, die man jetzt hinbekommen muss für zwei Wahlen, sind enorm hoch“, sagt Fuchs. Dadurch müssten die Parteien versuchen, ihre Ressourcen möglichst effizient einzusetzen. „Das effizienteste Tool für die Ansprache vieler Menschen sind die Online-Kanäle.“
So könne Öffentlichkeit geschaffen werden, ohne dass Mitglieder an Ständen oder an Haustüren für die Partei werben müssten. „Natürlich hat sich auch die Lebensrealität der Menschen verändert, es wird immer digitaler, immer mehr Personen nutzen Social Media“, erklärt der Experte. Vielleicht seien einige nicht mehr so aktiv, beispielsweise auf Facebook, „aber sie sind noch da“.
„13 Millionen Menschen werden quasi links liegen gelassen“
Für den Wahlkampf können Politiker nicht nur die „klassischen“ Kanäle wie Facebook, Instagram und YouTube nutzen. „Die Wege, wie politische Kommunikation erfolgt, haben sich ganz, ganz stark ausdifferenziert“, sagt Fuchs. Beispielsweise gibt es noch das Business-Netzwerk LinkedIn: „Es sind mittlerweile sehr viele Abgeordnete der Bürgerschaft dort unterwegs“, sagt der Politikberater.
Hinzu käme die große Relevanz von TikTok bei den jungen Zielgruppen – dort warten vertikale Videos und Livestreams. Die Nutzer sind auf die Plattformen verstreut. Politiker müssen sich genau überlegen, wen sie dort ansprechen, und wie. Das ist nicht nur aufwändig, sondern kostet auch. Weniger relevant sei X. Immer mehr Nutzer „wandern von dort ab“.
Gar nicht auf dem Schirm habe die Politik eine Plattform, auf die Fuchs immer wieder hinweist: „13 Millionen Menschen in Deutschland sind auf Snapchat und werden quasi links liegen gelassen.“ Dort werde natürlich über politische Themen gesprochen, „aber da wird, meine These, kein Wahlkampf stattfinden.“
Was sollen Parteien tun: Werbung schalten oder gute Beiträge produzieren?
„Alle Plattformen, über die wir hier reden, sagen mir seit zwei, drei Jahren, dass sie keine politischen Plattformen mehr sind und sein wollen“, verrät Fuchs. Schließlich hätten sie weder Interesse an Skandalen noch an Vorwürfen der Wahlmanipulation – sie wollen unterhalten, bestenfalls bilden. Demnach sei Politik überall, „außer vielleicht auf X“, nicht mehr willkommen.
Das bekommt die Politik zu spüren: „Immer wieder berichten mir politische Akteure, dass ihre Reichweiten bei Facebook und Instagram massiv eingebrochen seien.“ Folglich werde weniger in die Postings, sondern noch mehr in die Werbung investiert. Fuchs hält diese Entwicklung nicht für zielführend: „Ob es dazu führt, dass mehr Menschen erreicht werden, wage ich zu bezweifeln.“
Das habe man auch in den letzten Landtagswahlkämpfen gesehen, in denen beispielsweise die FDP, massiv in Werbung investiert habe. Und trotzdem in keinen der drei Landtage einzog. „Und Parteien wie die AfD, die fast gar nichts investiert haben in politische Werbung, haben extreme Zugewinne gehabt.“
„Da würde ich jetzt gerne in die Kampagnenzentralen reinhorchen“
Könnte es sein, dass sich die Kampagnen für Bundes- und Bürgerschaftswahl auf Social Media vermengen? „Ja, das ist die große Frage, was die Hamburger Parteien jetzt machen. Es ist natürlich eine extrem missliche Lage“, antwortet Fuchs und scherzt: „Da würde ich jetzt gerne in die Kampagnenzentralen reinhorchen.“ Für einige, die SPD und die Grünen, sei die große Angst, dass die beiden Wahlen vermischt würden. „Das kann natürlich in der Wahrnehmung der Bevölkerung ganz schwierig werden. Es wird eine extreme Vermengung geben.“
Könnte die Linie zwischen den Wahlen von anderen Parteien bewusst aufgeweicht werden? „Definitiv, das wird passieren“, ist sich Fuchs sicher. „In dem Fall AfD und CDU haben ein sehr großes Interesse daran, den positiven Bundestrend auf Hamburg zu übertragen“ – auch mithilfe von Social Media.
Wie gut sind die Parteien in Hamburg aufgestellt?
Für den Politikberater habe in der Hansestadt die Professionalisierung in dem Bereich zugenommen, personell sei aufgestockt worden. Dennoch stehen die Hamburger vor einer besonderen Herausforderung: „Hamburg ist ein Teilzeitparlament, die Budgets sind nicht besonders groß. Wichtig wird also sein: Wie gelingt es, Ehrenamtliche zu motivieren, online etwas zu tun?“
Am Beispiel der Ost-Wahlen erklärt der Experte: „Es geht nicht unbedingt darum, die eigenen Kanäle bestmöglich auszustatten und eine große Show abzuliefern.“ Stattdessen müssten Parteien ein organisiertes Vorfeld haben, mit Bürgern, die mit den Positionen sympathisieren – und Inhalte in ihren Netzwerken weiterverbreiten. „Das macht die AfD par excellence“, sagt Fuchs. Bei den Hamburger Parteien sieht er dort das größte Manko.
Parteien legen Regeln für fairen Wahlkampf im digitalen Raum fest
„Wir werden Desinformation erleben“, ist Fuchs sicher. „Es wird Versuche geben, aus dem Vorfeld von Parteien und Dritten aus dem Ausland, Einfluss zu nehmen.“ Die Bürgerschaftswahl werde dabei weniger relevant sein als die Bundestagswahl. „Ich bin allerdings der Überzeugung“, so der Politikberater, „dass Desinformation keinen wirklich großen Einfluss auf das Wahlergebnis haben wird.“ Sie verfange bei Menschen, die bereits staatskritisch eingestellt seien.
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Es gibt sogar Regeln für den digitalen Wahlkampf. „Die Parteien vereinbaren, dass sie fair miteinander umgehen, keine KI-Fakes veröffentlichen. Und dass sie bei Cyberangriffen die anderen sofort informieren.“ Allerdings sei es kein Gesetz. „Wir wissen aber: Das betrifft nur die offizielle Parteikommunikation.“ Jemand im Ehrenamt für Parteien könnte das Fairness-Abkommen relativ schnell aushebeln. Die Symbolik bleibt: „Wir als Demokraten verhalten uns trotz Wettbewerbs untereinander fair.“
Den ein oder anderen Skandal werde es trotzdem geben. Und sogenanntes „Negativ-Campaigning“, wie bei dem unvergesslichen Lacher von Armin Laschet (CDU) während der Flutkatastrophe im Ahrtal. „Wie der ausgekostet wurde von den anderen Parteien war im Graubereich dessen, was fairer Wettkampf darf.“
Hamburger Social-Media-Experte hofft: „Inhalte viel stärker im Mittelpunkt“
Wie sicher ist Social Media als Wahlkampf-Taktik? „Du hast den maximalen Kontrollverlust. Dir kann innerhalb von wenigen Minuten die komplette Kampagne um die Ohren fliegen.“ Auf der anderen Seite schaffe es natürlich die Möglichkeit, Themen anzustoßen. „Das ist meine Hoffnung, dass Inhalte viel stärker im Mittelpunkt stehen.“ Dabei sieht Fuchs auch die mediale Berichterstattung in der Verantwortung, nicht jeden Skandal direkt breitzutreten.
„Wir werden sehen, dass Krieg, Frieden, Gerechtigkeit auch hier in Hamburg anschlussfähig sind“, prophezeit Fuchs. Das seien natürlich Themen mit globalem Bezug. Eher lokal und regional sei das Thema Wirtschaft – „die große Angst der Bürger, hochemotional“. Der dritte Bereich betreffe die innere Sicherheit: „Kann ich noch draußen auf der Straße vor meinem Haus laufen? Gibt es zu viele Junkies am Hauptbahnhof? Das ist sehr anschlussfähig, weil viele Menschen damit im Alltag Kontakt haben.“