Hamburg. Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi über das Scheitern der Ampel, die Fähigkeit zum Kompromiss und kommende Koalitionen.

Jede Woche stellt sich der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Fragen des stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteurs Matthias Iken.

Matthias Iken: Die Ampel ist in der vergangenen Woche zerbrochen. Erinnert Sie das Aus an 1982?

Klaus von Dohnanyi: Einen kurzen Augenblick vielleicht. Aber der Wechsel der FDP im Jahre 1982 aus einer 13 Jahre dauernden sozialliberalen (SPD/FDP) Koalition zur CDU unter Helmut Kohl hatte doch eine viel größere Bedeutung und eine andere Dramatik. Der Koalitionsbruch war eine so grundsätzliche Richtungsentscheidung, dass die FDP fast ihre ganze linksliberale Spitze verlor: Diese trat zur SPD über. Beide Male, jetzt in der Ampel zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und damals, 1982, im Streit zwischen dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seinem FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, ging es zunächst scheinbar nur um provokativ öffentlich gemachte Wirtschaftskonzeptionen der FDP, die mit dem Kurs der jeweiligen Bundesregierung kaum vereinbar waren. In Wirklichkeit ging es aber damals und geht es auch heute um die Bereitschaft und die Fähigkeit beider Parteien, und zwar der SPD wie der FDP gleichermaßen, sich den veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen anzupassen: Die FDP übersah und übersieht heute, dass wirtschaftlicher Liberalismus nicht immer die letzte Antwort ist. In tiefen Krisen muss der Staat eine wachsende Rolle spielen, auch mit dem Mittel öffentlicher Finanzen. Und Bundeskanzler Olaf Scholz hätte sicher auch mehr Verständnis für die berechtigten Sorgen seines Finanzministers wegen ständig steigender Verschuldung aufbringen können.

Klaus von Dohnanyi: „Wer bietet Donald Trump die Stirn?“

Iken: Überwiegt bei Ihnen die Trauer über das Scheitern oder die Freude auf einen Neuanfang?

Dohnanyi: Bei mir überwiegen die Sorgen, wie es überhaupt weitergehen kann. Was braucht die Bundesrepublik, und wer wird ihr das bieten können? Wer bietet Donald Trump die Stirn? Wer ist bereit, Frieden in der Ukraine zu fördern? Beginnen wir dafür doch erst mal bei möglichen Koalitionen: Nach menschlichem Ermessen und dem Stand der Umfragen heute erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass CDU und FDP für ihre Traumkoalition die notwendige Mehrheit aufbringen können. Möglich erscheint das eher für CDU und SPD oder für CDU und Grüne, wenn Letztere sich berappeln. Wenn es dafür reichen sollte, ist für die FDP wiederum kaum Platz. Es mag merkwürdig erscheinen, aber nach den vielen Jahren meiner Zusammenarbeit mit der FDP damals in Bonn, mit Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher oder auch Hildegard Hamm-Brücher, würde ich es bedauern, wenn diese historisch so bedeutende Partei im Bundestag verschwinden würde. Das wäre kein guter „Neuanfang“.

Dohnanyi hat systematisches und zielgerechtes Arbeiten vermisst

Iken: Woran ist die Ampel Ihrer Ansicht nach denn gescheitert?

Dohnanyi: Die Ampel hatte von Anbeginn zu viele verschiedene Überzeugungen, Ziele und Maßnahmen im Visier. Das war zwar bei dieser Koalition von so verschiedenen Parteien unvermeidlich, aber dann hätte man ein besseres Management nach Prioritäten gebraucht. Als Bürger hatte ich zu keinem Augenblick den Eindruck, dass hier etwas systematisch und zielgerecht abgearbeitet wird: Die einzelnen Projekte hatten ihr eigenes Gewicht im Augenblick, auch in der öffentlichen Debatte, schienen aber jeweils nur diese eigene Bedeutung zu haben. Dass die vielen Vorhaben auch einen Zusammenhang hatten, ein gemeinsames Ziel, das ging verloren.

Iken:  Ist das Scheitern eine schlechte Nachricht für die politische Kultur in Deutschland? Am Ende fehlte die Fähigkeit zum Kompromiss ...

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Dohnanyi: Wenn Bündnisse brechen, wird man immer sagen können: Es fehlte die Fähigkeit zum Kompromiss. Eigentlich sind drei Jahre Ampel doch eher der Gegenbeweis. Wer hätte 2021 im Winter geglaubt, dass eine so heterogene Koalition immerhin drei Jahre arbeiten würde und dass nicht alles nur „faule“ Kompromisse waren? Diejenigen Parteien, die sich nun vermutlich für eine neue Bundesregierung zusammenfinden müssen, werden auch sehr unterschiedliche Zielvorstellungen haben. Sie sollten von der Ampel lernen: Wenn sehr verschiedene Parteien zusammenkommen müssen, dann wird wieder nichts wichtiger sein als: Prioritäten schon zu Beginn vereinbaren und Kompromissbereitschaft praktizieren.