Hamburg. Teurer Protest am Flughafen: Auf die Aktivisten kommen weitere Schadenersatzforderungen in Hamburg zu. 2024 Gespräche mit den Grünen?
Lea Maria Rhein freut sich auf Weihnachten. Die Lüneburgerin wird im kleinen Familienkreis feiern, sagt sie. Doch zwischen Festessen und Bescherung hat die 22-Jährige auch noch eine unschöne Weihnachtsüberraschung für ihre Eltern parat. Die Aktivistin der Letzten Generation muss ins Gefängnis. Oder besser: Sie hat sich entschieden, ins Gefängnis zu gehen, wenn das Gericht sie im kommenden Frühjahr tatsächlich schuldig spricht.
Insgesamt drei Strafbefehle für Letzte-Generation-Aktionen in Hamburg mit einer Gesamtforderung von 1500 Euro habe sie erhalten. Nachdem Rhein Widerspruch eingelegt hatte, wurde das Verfahren zunächst für November angesetzt, dann aber vom Gericht auf das Frühjahr 2024 verschoben.
Letzte Generation: Mehreren Aktivisten droht eine Gefängnisstrafe
„Wenn ich verurteilt werden sollte, dann gehe ich ins Gefängnis“, sagt Rhein, der pro Strafbefehl 30 Tagessätze aufgebrummt wurden. Wählt man statt der Kosten die Gefängnisstrafe, muss man die Strafsumme halbieren. Rhein drohen also insgesamt 45 Tage hinter Gittern.
„Ich habe große Angst vor dem Gefängnis“, sagt die Bundessprecherin der Letzten Generation, die gleichzeitig Koordinatorin für Aktionen in Norddeutschland ist. Aber wenn das Gericht ihren Ausführungen nicht folgt, dann sei sie bereit, für ihre Klima-Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen. Noch mehr Angst als vor den 45 Tagen habe sie nur davor, dies auch ihren Eltern zu erzählen. „Meine Eltern finden grundsätzlich gut, dass ich mich für das Klima engagiere. Aber natürlich machen die sich große Sorgen.“
Flughafen, Rathaus, Köhlbrandbrücke: Letzte Generation legte Hamburg lahm
Lea Maria Rhein ist nicht die einzige Aktivistin der Letzten Generation, die sich an den Feiertagen darüber Gedanken machen muss, ob sie für ihre Aktionen in Hamburg Strafe zahlen wird oder ob sie ins Gefängnis geht. Klima-Kleber hatten den Verkehr auf der Köhlbrandbrücke lahmgelegt, die Rathausfassade beschmiert, das Hörsaal-Gebäude Audimax II für drei Tage besetzt und den Hamburger Flughafen für mehrere Stunden zum Ferienbeginn blockiert.
Doch was ist eigentlich aus all den Strafbefehlen für die Aktivistinnen und Aktivisten geworden? Gerade erst hatte die Lufthansa bekannt gegeben, dass sie 740.000 Euro Schadenersatz fordert. Doch auch die Reaktion der Letzten Generation sollte nicht lange auf sich warten: Die Lufthansa müsse im Gegenzug die jährlichen sozialen Kosten des CO2-Ausstoßes begleichen. Dies seien rund sechs Milliarden Euro pro Jahr.
Letzte Generation fordert sechs Milliarden Euro von der Lufthansa
„Nur wenn Lufthansa und Eurowings auch ihre Summe zahlen, kommen wir uns nicht mehr in die Quere“, sagt Rhein, die natürlich ganz genau weiß, dass dieser Vorschlag utopisch ist. Dass mehrere der Aktivisten für die Flughafenaktion sogar ins Gefängnis müssen, sei einkalkuliert gewesen: „Diejenigen von uns, die auf das Flugfeld gegangen sind, die wussten, welche Konsequenzen ihnen drohen.“
Doch es dürfte noch sehr viel dicker kommen für die Letzte Generation. So hat auch der Flughafen Hamburg längst angekündigt, Schadenersatz einzufordern. Die Prüfung der Kosten und der entgangenen Einnahmen sei noch nicht abgeschlossen, sagte eine Sprecherin, man gehe allerdings von einem sechsstelligen Betrag aus.
Uni Hamburg hat zwölf Strafanträge gestellt
Die Universität Hamburg hat wegen der Hörsaal-Aktion sogar in zwölf Fällen Strafanträge gestellt. Nachdem fünf davon rechtskräftig abgeschlossen werden konnten, prüft die Uni aktuell „die den abgeschlossenen Strafverfahren zugrunde liegenden Sach- und Rechtsausführungen für die Heranziehung der Verursachenden zum Schadensersatz“, wie Sprecher Alexander Lemonakis dem Abendblatt bestätigte.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft haben drei Täter sogar bereits ihre Geldstrafen in Höhe zwischen 400 und 800 Euro vollständig bezahlt. „Ich kenne die drei, das sind Freunde von mir“, sagt Rhein. „Sie haben sich entschieden zu zahlen, weil sie nicht ins Gefängnis wollen. Das verstehe ich, und das finde ich legitim“, sagt die Sozialarbeiterin, die sich in ihren eigenen Fällen anders entschieden hat.
Schmierereien am Rathaus: Senatskanzlei klagt gegen militante Klimaschützer
Im Hinblick auf den Vorfall vom 23. März auf der Köhlbrandbrücke wurden zehn Ermittlungsverfahren eingeleitet. Last but not least: der Rathaus-Vorfall. Unmittelbar nachdem die Ermittlungsbehörde die Personendaten der Beschuldigten an die Senatskanzlei übermittelt hatten, hat die Senatskanzlei den Ersatz des entstandenen Schadens in Höhe von 17.278,66 Euro zivilrechtlich geltend gemacht.
Nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist hat die Senatskanzlei gegen die Beschuldigten Klage beim Landgericht Hamburg auf Zahlung des Schadensersatzes erhoben. Das Verfahren läuft noch – und die Beschuldigten haben noch immer nicht gezahlt. Im Hinblick auf mögliche Strafzahlungen gebe es zwar keinen Solidaritätsfonds oder Ähnliches, erklärt Rhein. Aber allen Aktivistinnen und Aktivisten, denen nach ihren Aktionen juristischer Ärger drohe, könnte durch ein organisationsinternes Juristenteam geholfen werden.
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Doch was bleibt von den Aktionen der Letzten Generation außer Ärger vor Gericht, Strafzahlungen oder Gefängnisstrafen überhaupt übrig? Gar nichts, sagt Hamburgs Grünenchef Dominik Lorenzen. „Die Letzte Generation hat ein legitimes Anliegen, aber leider diskreditiert sie sich durch ihre Aktionen immer selbst“, sagt er. „Die Letzte Generation bewegt leider gar nichts.“
Anfang des Jahres hatte sich der Fraktionschef der Grünen zu vertraulichen Gesprächen mit der Letzten Generation, darunter auch Lea Maria Rhein, getroffen. Und nach mehreren umstrittenen Aktionen den Gesprächsfaden dann gekappt. „Ich bin enttäuscht von den Grünen, weil sie die Klimapartei sein wollen“, sagt Rhein nun ein Dreivierteljahr später. Aber: „Trotzdem würden wir gerne den Gesprächsfaden wieder aufnehmen, der im letzten Frühjahr abgerissen ist.“
Grünen-Chef Lorenzen: Letzte Generation diskreditiert Klimaschutzanliegen
Ein Gesprächsangebot, auf das Lorenzen nur bedingt eingeht. „Wir sind immer offen für Gespräche mit allen, aber wir sehen uns überhaupt nicht in der Bringschuld, aktiv auf die Letzte Generation zuzugehen“, sagt der Politiker. „Wir schätzen es sehr, wenn Menschen aus dem außerparlamentarischen Bereich sich engagieren – wie zum Beispiel die Aktivisten und Aktivistinnen von Fridays for Future. Die bewegen etwas für den Klimaschutz. Die Letzte Generation bewegt gar nichts. Sie hat unser aller Anliegen, den Klimaschutz zu stärken, in 2023 leider schwer diskreditiert.“
Doch trotz der Fundementalkritik an den Letzte-Generationen-Aktionen nimmt Lorenzen zumindest die Kritik an, dass die Grünen zu wenig für den Klimaschutz in Hamburg bewegt hätten: „Die Kritik ist erst einmal berechtigt, weil Klimaschutz in den Parlamenten zu lange kaum eine Rolle gespielt hat.“
Letzte Generation kündigt neue Aktionen in Hamburg für 2024 an
Das Ergebnis aus diesem Jahr sei nicht ausreichend – „auch nicht für mich“. Doch genau an der Stelle würde er im kommenden Jahr anknüpfen wollen. „Das ist eines der großen Ziele für 2024. Aber leider hilft uns die Letzte Generation bei diesem Ziel so gar nicht, zumal wir auch in den Parlamenten immer noch viele Blockierer und Bremser haben, die nur auf günstige Möglichkeiten warten, den Klimaschutz aufzuschieben.“
Genau das wollen die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation aber nicht zulassen – und deswegen wird auch der Protest weitergehen. Auch in der Hansestadt. „Wir haben noch keine konkreten Pläne für Hamburg, aber wir wollen in Hamburg weiter auf die Straße gehen“, sagt Lea Maria Rhein. Selbst wenn die persönliche Konsequenz für sie dann bedeutet: wieder Gefängnis. Und wieder mit den Eltern sprechen.