Hamburg. Fotos zeigen immer dasselbe Profil von den Klima-Aktivisten: jung, weiblich, deutsch. Ist die Letzte Generation wirklich so homogen?
- Was für Menschen sind eigentlich Teil der „Letzten Generation“?
- In der ersten Reihe der Organisation stehen größtenteils junge Frauen mit akademischen Hintergrund
- So sieht es sonst unter den Aktivisten und Aktivistinnen aus
Es gibt da dieses eine Foto. Aufgenommen wurde es am vergangenen Mittwoch in der Feldstraße. Ein Foto, das auf dem ersten Blick wie so viele Fotos wirkt, die man in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten in den Zeitungen gesehen hat. Gezeigt wird ein Protestmarsch der Letzten Generation. Wieder einmal. Ein paar Aktivisten und Aktivistinnen in orangen Westen, dazu das übliche Transparent: „Letzte Generation vor dem Kipppunkten“, steht da drauf.
Doch es gibt ja auch immer noch den zweiten Blick. Und wer genau auf das Foto schaut, dem fällt vor allem eines auf: In Reihe eins sind fünf eher jüngere Frauen zu sehen, dahinter dann ein (eher etwas älterer) Mann. Und dieser (eher etwas ältere) Mann sagt: „Das Foto ist irgendwie typisch. Wir sind nun mal größtenteils jünger und größtenteils weiblich.“ Man könnte noch hinzufügen: Auch größtenteils gut gebildet und größtenteils deutsch.
Letzte Generation ist jung, weiblich, akademisch – aber nicht divers
Der Vorwurf ist nicht neu. Und er ist auch gar kein Vorwurf. Klimaprotestler sind jung, weiblich, akademisch. Oder wie die „TAZ“ es dann eben doch als Vorwurf formulierte: zu jung, zu weiß, zu akademisch. So oder zumindest so ähnlich stand es auch in einer Studie des Berliner Instituts für Protest- und Bewegungsforschung, die veröffentlicht wurde, als es die Letzte Generation noch gar nicht gab.
„Die Beobachtung ist schon richtig: Auch wir erfüllen voll die Klischees“, sagt Friedhelm, der kurioserweise selbst so gar nicht diese Klischees bedient.
Fried, wie er von den anderen Aktivisten und Aktivistinnen genannt wird, ist der „eher etwas ältere“ Mann im Hintergrund des Fotos. Der Hamburger ist 63 Jahre alt, ehemaliger Autoverkäufer, vierfacher Opa. Damit ist er weder jung noch akademisch. „Und weiblich bin ich auch nicht“, sagt Fried.
Letzte Generation: Vater von Hamburger Cheforganisatorin hilf als Anwalt vor Gericht
Es gibt sie also doch: die anderen. „Aber im Großen und Ganzen ist auch die Letzte Generation nicht wirklich divers“, gibt Fried zu. „Natürlich stimmt es, dass man sich den Protest auch leisten können muss.“
Lea-Maria Rhein, die eine Art Hamburg-Cheforganisatorin war und nun in die Spitze der Bundesorganisation wechselt, wird beispielsweise von Ihrem Vater, der Rechtsanwalt ist, vor Gericht unterstützt. Viele Protestler sind Studenten, oder besser: Studentinnen, die sich die Zeit nehmen können. Und dann gibt es da auch noch Fried.
Sein ganzes Leben hat der Aktivist, der bei so ziemlich jeder Aktion der Letzten Generation in Hamburg dabei ist, in einem Autohaus gearbeitet, hat teure Diesel-Fahrzeuge verkauft, SUVs und Geländewagen. „Mit 58 Jahren hat mich mein schlechtes Gewissen geplagt und ich habe gekündigt“, sagt Fried, der sich bei Greenpeace, beim BUND und bei Fridays for Future engagiert hat. Und nun also die Letzte Generation.
Knapp die Hälfte der Klima-Kleber ist unter 39 Jahre alt
Laut einer bewegungsinternen Umfrage sind knapp die Hälfte der Aktivisten und Aktivistinnen unter 39 Jahre. 17,3 Prozent sind zwischen 21 und 24 Jahren. Zum Vergleich: Bei der Gesamtbevölkerung sind es gerade mal 5,5 Prozent.
Auch bei der Gruppe der „Frieds“ gibt es deutliche Unterschiede. In der Gesamtbevölkerung sind 8,9 Prozent zwischen 60 und 64 Jahren, 27,5 Prozent sind 65 Jahre alt oder älter. Bei der Letzten Generation sind es dagegen „nur“ 6,3 Prozent (zwischen 60 und 64) und 7,6 Prozent (65 Jahre oder älter).
Der Soziologe Dieter Rucht hat vor Kurzem eine wissenschaftliche Analyse der Protestbewegung herausgebracht. Er schreibt: „Die Kerngruppe der Letzen Generation (...) ist hinsichtlich ihres sozio-demografischen Profils sehr homogen.“
Aktivisten blockieren Airport: Die Rechte der Passagiere
Zum engeren Umfeld würden eher junge Frauen mit einem meist hohen Bildungsgrad gehören, wobei die immer größer werdende Gruppe, die bereits im vergangenen September bundesweit auf 750 Aktivisten und Aktivistinnen angewachsen ist, zunehmend heterogener werden würde.
Letzte Generation: Kerngruppe in Hamburg besteht aus rund 50 Aktiven
In Hamburg soll die Kerngruppe aus rund 50 Aktiven bestehen, dazu sollen noch mal rund 100 bis 150 Unterstützer gehören. Jana gehört zu dieser Kerngruppe – und erfüllt so ziemlich alle Stereotypen. Hamburgerin, 23 Jahre alt, Biologie-Studentin mit Schwerpunkt Ökologie. „Wir sind ziemlich viele weiße, junge Frauen, das stimmt schon“, sagt sie. „Man muss sich das Protestieren auch leisten können. Nicht nur finanziell, sondern auch von der Zeit her.“
Doch warum ist der Protest so weiß, wie es die „TAZ“ formuliert? „Leider ist es auch in Deutschland noch immer so, dass mit der Hautfarbe gewisse Privilegien einhergehen“, sagt Jana. „Die Elternhäuser sind oft gut situiert, die Chancengleichheit ist nur auf dem Papier da. Das zeigt sich ja leider auch an den Unis.“
- Klaus von Dohnanyi- „Die Letzte Generation hat recht“
- „Letzte Generation“ – was einen Aktivisten antreibt
- Abhör-Aktion gegen Aktivisten betraf auch Journalisten
Tatsächlich sind die Universitäten Haupt-Einzugsgebiet der Klima-Kleber. Am kommenden Donnerstag (ab 19 Uhr) halten beispielsweise Fried und Jana im Asta-Infocafé einen Vortrag über die Letzte Generation. Vivi dürfte dann auch dabei sein. Und auch sie: eine Frau, gut ausgebildet, weiß. Nur beim Thema „jung“ macht sie selbst eine Einschränkung. „Ich bin immerhin schon 31 Jahre alt.“
Am Freitagnachmittag sitzt sie in einem Café in Altona, trinkt einen Tee und zeigt die Flyer, die sie für den Vortrag an der Uni kurz zuvor abgeholt hat. Durch den Wechsel von Lea-Maria Rhein in die Bundeszentrale ist Vivi in Hamburg zur Chefkoordinatorin der Letzten Generation aufgestiegen. Ein schneller Aufstieg: Genau wie Jana ist auch Vivi erst seit Anfang des Jahres dabei.
Vivi, ebenfalls weiblich, jung, gut ausgebildet, deutsch, ist neue Hamburg-Koordinatorin
„Als in München mehrere Aktivisten über Weihnachten in U-Haft mussten, hatte ich das Gefühl, dass ich mich jetzt auch engagieren muss“, sagt Vivi. Anders als ein Großteil der anderen Aktivistinnen und Aktivsten hat sie keinen „klassischen Weg“ bei der Letzten Generation eingeschlagen. Sie war weder vorher auf vielen Fridays-for-Future-Demonstrationen (wie zum Beispiel Jana) noch bei Greenpeace oder beim BUND aktiv (wie zu Beispiel Fried). „Ich fand einfach krass, wie mit Menschen umgegangen wird, deren Verbrechen es ist, sich für ein besseres Klima einzusetzen.“
Nun will sie sich einsetzen – in erster Linie für ein besseres Klima, aber als Hamburg-Koordinatorin auch für eine diversere Letzte Generation. „Bist Du dabei?“, steht auf dem Flyer, den Vivi am Wochenende im Uni-Viertel verteilt hat. Dabei war sie auch beim Protestmarsch in der vergangenen Woche in der Feldstraße – und auf dem Foto. Sie ist eine der fünf jungen Frauen in der erster Reihe. „Eigentlich haben wir alle aber nur eine wirkliche Gemeinsamkeit“, sagt sie. „Wir wollen, dass sich beim Klimakampf etwas tut.“