Hamburg. Klimaaktivisten bekennen sich zu Farbanschlag auf Hamburger Rathaus. Wie ein junger Mann die Protestaktionen rechtfertigt.

Die Kampfansage war orange – und unübersehbar. Um kurz nach 9 Uhr am Donnerstagmorgen sprühten zwei Aktivisten mit orangefarbenen Warnwesten orange Farbe aus Feuerlöschern auf das Eingangsportal des Hamburger Rathauses. Noch bevor sie von der herbeigerufenen Polizei in Gewahrsam genommen werden konnten, entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift: „Artikel 20a Grundgesetz = Leben schützen“.

Nicht einmal eine halbe Stunde später waren dann auch letzte Zweifel beseitigt, wer für den Farbanschlag verantwortlich war: „Orange Farbe an Hamburger Rathaus – Herr Tschentscher, unser Angebot steht“, stand über einer Pressemitteilung, die nur einen Tag vor dem Besuch von König Charles III. von der „Letzten Generation“ offiziell verschickt wurde.

„Letzte Generation“ in Hamburg: Politiker verurteilen Anschlag auf das Rathaus

Es dauerte nicht lange, ehe Hamburgs Politik reagierte. „Die ,Letzte Generation’ bewirkt mit ihren unterirdischen Aktionen das genaue Gegenteil ihrer Ziele. Niemand hat Lust auf Chaoten, die Bilder zerstören, stundenlang Straßen blockieren oder wie heute das Rathaus beschmieren“, sagte Dennis Thering, Vorsitzender der CDU-Fraktion.

Wenig überraschend noch deutlicher formulierte es AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann, der die Aktivisten als „Kleinkriminelle“ bezeichnete: „Der Anschlag auf unser Rathaus ist eine Attacke auf unsere Demokratie.“

Regierungsparteien sagen zweites Gespräch mit der „Letzten Generation“ ab

Doch auch die Hamburger Regierungsparteien SPD und Grüne hatten vorerst genug gesehen – oder besser: geredet. Ein zunächst vorgesehenes zweites Gespräch mit der „Letzten Generation“ im Rathaus wurde ausgesetzt. „Die Methoden der sogenannten ‚Letzen Generation‘ werden zunehmend fragwürdiger. Die Initiative diskreditiert sich als seriöser Gesprächspartner“, lässt Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ausrichten.

„Sie richtet sich mit dem Farbanschlag auf das Hamburger Rathaus gegen einen zentralen Ort unserer demokratischen Verfassung. Die Senatskanzlei hat Strafantrag wegen aller infrage kommender Delikte gestellt.“ SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf ergänzt auf Abendblatt-Anfrage: „Unsere Haltung ist deshalb ganz klar: Die Hamburger Politik lässt sich nicht erpressen.“

Treffen mit einem der Aktivisten, der gerade noch in U-Haft saß

Einer dieser mutmaßlichen „Erpresser“ sitzt um 11 Uhr im Café 44 Quadratmeter in der Neuen Mitte Altona, trinkt eine Holunder-Rosmarin-Limonade und versucht zu erklären, warum er sich nicht als Erpresser sieht.

„Wir wollen unbedingt im Dialog bleiben. Mit der Öffentlichkeit, den Medien, aber auch mit der Politik“, sagt Lars Ritter, der erst am Vortag aus der Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis freigelassen wurde. „Die Klimakrise ist vielschichtig. Unser übergeordnetes Ziel ist der Erhalt unserer Lebensgrundlagen und der Demokratie.“

Landgericht Hamburg gab Beschwerde der „Letzten Generation“ statt

Ritter ist ein Hüne, spricht aber sanft und bedacht. 2,04 Meter groß, Wollmütze, Kapuzenpullover. Vier Tage lang waren er und ein zweiter Aktivist in Gewahrsam, nachdem die beiden mit fünf weiteren Unterstützern am vergangenen Sonnabend die Elbbrücken mit zwei Kleintransportern gesperrt und für einen Stau von 17 Kilometern gesorgt hatten.

So steht es zumindest in ihrer Akte. Ursprünglich sollte der 19-Jährige und sein 27 Jahre alter Mitstreiter sogar für zehn Tage in Gewahrsam bleiben. Doch weil das Landgericht Hamburg am Mittwoch einer Beschwerde stattgegeben hatte, mussten beide Blockierer umgehend freigelassen werden.

Ein-Mann-Zelle, eine Stunde Ausgang auf dem Hof, schlechtes Essen

„Ich bin froh, dass uns das Gericht gefolgt ist“, sagt Ritter, der sich mit Haftanstalten auskennt. Er sei bereits fünf- oder sechsmal in Gewahrsam genommen worden. In München, Leipzig, Dresden, Berlin und Hamburg. Bis Donnerstagnachmittag waren noch zehn weitere Aktivisten der „Letzten Generation“ wegen verschiedener Aktionen in Gewahrsam, der allerdings ähnlich wie bei Ritter noch gerichtlich überprüft wird. „Der Kampf für eine lebenswerte Zukunft ist wichtig; wenn das der Preis ist, bin ich bereit, diesen zu zahlen.“

Einen Tag vor dem Hamburg-Besuch des britischen Königs Charles III. und seiner Frau Camilla haben Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ das Hamburger Rathaus mit orangener Farbe besprüht.
Einen Tag vor dem Hamburg-Besuch des britischen Königs Charles III. und seiner Frau Camilla haben Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ das Hamburger Rathaus mit orangener Farbe besprüht. © dpa | Bodo Marks

Ritters Preis war eine Ein-Mann-Zelle, schlechtes Essen und eine Stunde Ausgang auf dem Hof. Zehn Scheiben Brot mit Aufschnitt oder Marmelade hätte er täglich um 16.30 Uhr für das Abendessen und das Frühstück am nächsten Morgen bekommen. Das Mittagessen, das bereits um 11.30 Uhr geliefert wurde, hat Ritter so gut wie nie angerührt. Sein Antrag auf veganes Essen sei bis zu seiner vorzeitigen Entlassung nicht bearbeitet worden.

Untersuchungshaft ist kein Wellnesshotel. Doch Ritter will sich auch nicht beschweren. „Mir ist bewusst, dass auch wir den Menschen viel zumuten. Die Staus, die Blockaden, das alles machen wir ja nicht, um die Menschen zu ärgern, sondern um größtmögliche Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken.“

Aktivisten der „Letzten Generation“ wollen trotz Tritten keine Anzeige erstatten

Dabei ist dem Abiturienten aus Dresden nicht verborgen geblieben, dass der Unmut über die Aktionen der „Letzten Generation“ immer mehr zunimmt. „Besonders am Sonnabend auf den Elbbrücken waren die Reaktionen der Autofahrer sehr heftig. Ich wurde mehrfach geschubst, einem Kollegen wurde in den Bauch getreten“, sagt Ritter – und kratzt sich am Kopf. Anzeige erstatten will er nicht. „Ich versuche Verständnis für die Menschen, die wir mit unseren Aktionen ja stören, aufzubringen“, sagt er.

Und überhaupt: Nicht nur der Unmut würde zunehmen, sondern auch die Unterstützung. Auf den Elbbrücken wurde ihm Tee gereicht, Eltern, die im Stau standen und ihren Kindern die Aktion erklärten, hätten sich bedankt. „Einer sagte, dass er natürlich nicht gerne im Stau stehen würde, dass es aber zumindest der sinnstiftendste Stau seines Lebens sei“, sagt Ritter. „Auch solche Reaktionen gibt es.“

Auch Grüne verurteilen „Letzte Generation“-Aktionen

Das Echo aus der Politik ist dagegen ziemlich einhellig. Selbst die Grünen-Abgeordnete Sina Koriath, die am Donnerstag im Rathaus war, weil dort das Landesfinale von Jugend debattiert stattfand, kritisierte die Aktion der „Letzten Generation“: „Ein Farbanschlag aufs Rathaus ist ein Farbanschlag auf die Demokratie und für mich kein legitimes Mittel des Protestes.“

Besonders am Tag vor dem Königsbesuch wird die Rathaus-Aktion als ultimative Provokation verstanden. Einerseits. Und andererseits bereitet sie den Sicherheitskräften Sorgen, was alles im Laufe des Freitags passieren könnte. 1000 Polizisten sind in Hamburg im Einsatz, können das Verhindern von weiteren Aktionen aber nicht garantieren.

Fünf Bürgermeister haben Unterstützung signalisiert

„Wir wollen niemanden erpressen. Wir wollen aber eine Grundlage dafür schaffen, dass unser Anliegen ernst genommen wird“, sagt Ritter. Die fünf Oberbürgermeister aus Lüneburg, Greifswald, Tübingen, Hannover und Marburg hätten doch auch die Forderungen der „Letzten Generation“ durch Briefe an die Bundesregierung unterstützt. Er selbst würde sich seit letztem Oktober Vollzeit für den Klimakampf engagieren.

Nachdem ihm im Bus in Dresden ein Flyer in die Hand gedrückt wurde, sei sein Interesse geweckt worden. Er habe dann an einem sechsstündigen Training teilgenommen, sich in Gewaltprävention schulen lassen, sich juristisch beraten – und hätte dann zwei Wochen später an der ersten Straßenblockade in Berlin teilgenommen.

Doch warum protestiert ein Dresdner in Hamburg? Die Unterstützerszene in der Hansestadt sei relativ klein, sagt Ritter und erklärt: Die Polizei in Hamburg sei sehr rigoros, genauso wie die Politik. Und auch sonst sei der Kampf für den Erhalt des Planeten hier nicht ganz einfach. Es habe sogar Drohbriefe mit der Ankündigung von Gewaltanwendung gegeben.

„Letzte Generation“: Hamburgs Bürgermeister verurteilt Farbanschlag

„Wir haben einen Konsens, dass für uns Gewalt niemals ein Mittel ist. Das ist für uns die oberste Priorität“, sagt Ritter, den deswegen auch die Bezeichnung „Klimaterroristen“ ärgert. „Wir wollen ja kein System stürzen oder bekämpfen. Ganz im Gegenteil. Wir wollen die Demokratie stärken.“

Ob dazu auch ein Farbanschlag auf das Hamburger Rathaus gehört? Bürgermeister Peter Tschentscher hat da eine klare Meinung: „Die Aktionen der ,Letzten Generation’ richten großen Schaden an und spalten die Gesellschaft. Ihre Straftaten sind keine Kavaliersdelikte und müssen von der Justiz entsprechend sanktioniert werden.“

Ritter zuckt mit den Schultern. Eigentlich hatte er andere Pläne. Ein Auslandsjahr, Peru. Dann ein Philosophiestudium. Doch all das stehe nun hinten an. Der Kampf für das Klima wartet. Und die Justiz.