Hamburg. Beim Wassermann-Quartett in Blankenese wird über aktuelle Literatur diskutiert. Das Urteil des Wissenschaftlers fällt hart aus.
Bösartige Sanatorium-Karikaturen, familiäre Nazi-Erbschaft und mehr: Am Mittwochabend gibt es in Blankenese die zweite Ausgabe des „Wassermann-Quartetts“ von der Buchhandlung Wassermann, um aktuelle Bücher zu besprechen. Mit dabei: Sozial- und Literaturwissenschaftler Jan-Philipp Reemtsma, Abendblatt-Redakteur Thomas Andre und Buchhändler Pascal Mathéus. Die Runde schrumpft zum Wassermann-Trio zusammen, weil „Spiegel“-Redakteur Sebastian Hammelehle kurzfristig absagen muss.
Erster besprochener Roman: „Villa Sternbald“ von Monika Zeiner, eine verdichtete Familiengeschichte zwischen Nazi-Erbe und Kaufmannsfamilie. Für Thomas Andre hätte das Werk mindestens auf die Buchpreis-Longlist gehört, für Reemtsma ist es eines der langweiligsten Bücher, die er seit Langem gelesen hat.
Reemtsma über „Zauberberg 2“: „Das war mein erster und letzter Strunk“
Steile These von Andre: Das sei Thomas Mann‘sche Erzählkunst. Noch steilere Replik von Reemtsma: Die Autorin könne nicht schreiben, das merke er am ersten Satz. Vielleicht eine Frage des Anspruchs? Journalist und Buchhändler scheinen deutlich offener an das Besprochene heranzutreten als der renommierte Literaturwissenschaftler: „Gegenwartsliteratur ist eine Frage des Alters“, sagt Reemtsma. Er habe den Vorteil, mehr Vergleichswerte zu haben. Daher fällt sein Urteil am Mittwoch auch schnell mal vernichtend aus – auch über Lucy Frickes „Das Fest“: „Das Buch kommt mir vor wie ein Selfie“, sagt Reemtsma. Es sei konstruiert und selbstdarstellerisch.
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Als der „Zauberberg 2“ von Heinz Strunk zum Thema wird, geht ein leises Raunen der Vorfreude durch das Publikum. Mit der Referenz an Thomas Manns Bildungsroman hat sich Strunk bei Reemtsma allerdings keinen Gefallen getan: „Alle Figuren sind bösartige Stereotypen“. Die positiven Kritiken könne er nicht nachvollziehen. Der Roman sei „empörend schlecht und widerlich“.
Buchhändler Mathéus wiederum befindet, Strunk sei ein begabter Formulierer. „Wenn man diesen Ton erst mal im Ohr hat, wird es langweilig“, kontert Reemtsma. „Das war der erste und der letzte Strunk, den ich gelesen habe“, so sein vernichtendes Urteil.
Andre verweist auf Strunks Fähigkeit, Studien männlicher Fragilität zu entwerfen, doch Reemtsma bleibt bei seiner Position. Bücher sind eben nicht nur eine Frage des Geschmacks, sondern auch der Herangehensweise: Ob konservativ, weltoffen, zwiegespalten – für jeden ist etwas dabei. Zumindest für fast jeden.
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