Hamburg. Im Ersten läuft diesen Mittwoch eine Familiensaga rund um die Entstehung des Weihnachtsoratoriums. Soll man sich das anschauen?
- Der Regisseur Florian Baxmeyer erzählt die Entstehung des Weihnachtsoratoriums als Familiengeschichte
- Seismograph der Konflikte und Spannungen ist der geistig behinderte, hochempfindsame Sohn Gottfried
- Devid Striesow und Verena Altenberger spielen den Komponisten Bach und dessen zweite Frau Anna Magdalena
Es zittern die Lippen, es glühen die Blicke, es flackert das Begehren. Natürlich wahren sie die Contenance. Der Jüngling, zarte 13 Jahre jünger als seine Stiefmutter, wendet sich zum Abreisen. Und da wir uns im 18. Jahrhundert befinden, wiegen Abschiede schwer, ist ein Wiedersehen stets ungewiss.
Da darf es gerne melodramatisch zugehen, zumal bei der Degeto, die den ARD-Film „Bach – Ein Weihnachtswunder“ federführend koproduziert hat. Dass Carl Philipp Emanuel, der zweitälteste Sohn des großen Johann Sebastian Bach, romantische Gefühle für Anna Magdalena Bach gehegt hätte, davon wussten wir noch gar nichts.
ARD-Weihnachtsfilm: Hach mit Bach und Devid Striesow in der Titelrolle
Aber das ist ja das Schöne: Der „historische Eventfilm“, den die ARD in der Mediathek zum Abruf bereithält und am 18. Dezember im Fernsehprogramm ausstrahlt, ist ausdrücklich kein Biopic, sondern beschäftigt sich „fiktional“ mit der Entstehungsgeschichte des Weihnachtsoratoriums. Statt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit musikwissenschaftlichen Erkenntnissen zu quälen, erzählt der Regisseur Florian Baxmeyer eine entschieden persönliche Geschichte. Heißt bei der riesigen Bach-Sippe: eine Familiengeschichte, mit großen Gefühlen und dramatischen Konflikten.
Hach mit Bach sozusagen. Das funktioniert, auch wenn die Dialoge vielfach arg nach heutigem Alltagsdeutsch klingen und die Eheszenen zwischen Devid Striesow als Bach und Verena Altenberger als Anna Magdalena in ihrer Gefühligkeit schon mal ins allzu Konkret-Banale kippen. Besonders rührend ist natürlich, dass Striesows Sohn Ludwig Simon auch mitspielt, er verkörpert den schmucken Carl Philipp Emanuel.
Jemand hat Bach bei der Obrigkeit verpfiffen: Die will nämlich keine so raffinierte Musik, wie er sie schreibt
Das Oratorium wird zum Zankapfel, weil der Leipziger Stadtrat, Bachs Arbeitgeber, einen verknöcherten Protestantismus pflegt. Keine opernhaften Arien für die Kirche! Nur sittsame vierstimmige Weihnachtslieder! Wenige Tage vor dem Fest, der Thomaskantor Bach ist hektisch dabei, die bestellte Musik für den Weihnachtsgottesdienst zu schreiben, hat jemand hat in der Familienwerkstatt die Partiturseiten entdeckt und sogleich an die Obrigkeit weitergepfiffen, dass Pracht und Raffinesse der Musik der Weisung geradewegs zuwiderlaufen. Weshalb Bach mit der Fortsetzung der Arbeit seine Position gefährdet.
Das Thema bietet dem Drehbuchautoren Christian Schnalke viel Raum für kreative Entfaltung. Denn über Bachs Persönlichkeit im Allgemeinen und die Entstehung des Weihnachtsoratoriums im Besonderen ist nur wenig bekannt. Um die Schwellen niedrig zu halten, mutet der Film seinem Publikum echten Bach nur in homöopathischen Dosen zu: mal ein Stückchen Arie, mal ein paar Choralzeilen. Oft knetet die Komponistin Martina Eisenreich das Material für heutige Ohren um und streut ein bisschen Background-Chorgesang drüber oder lässt der Melodie ein rauchigeres Timbre angedeihen. Ziemlich gekonnt, nur mitunter deutlich jenseits der Kitschgrenze.
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Seismograph des Familienlebens ist der geistig behinderte, aber hochempfindsame Sohn Gottfried. Er lebt die Spannungen aus – und er ist es, der durch die Kirche tanzt, als das „Jauchzet, frohlocket“ am Weihnachtsfeiertag schließlich doch erklingt.
„Bach – Ein Weihnachtswunder“ läuft am 18.12. um 20.15 im Ersten und ist bereits in der ARD-Mediathek abrufbar.
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