Hamburg. Die Buchhandlung Kortes heißt nun „Wassermann“. Eine Änderung, die Respekt verdient, findet der jüdische Publizist. Aber sonst?

Ganz frisch ist das Namensschild. An der Elbchaussee 577 haben sie das alte mit dem neuen überdeckt. Die Buchhandlung Kortes heißt jetzt Buchhandlung Wassermann. Marketingmäßig kein ganz einfacher Schritt, sagte Peter Kraus vom Cleff, den lange eingeführten Namen einer Traditionsbuchhandlung im Hamburger Westen einfach so zu ändern. Pascal Mathéus und Florian Wernicke haben es dennoch getan, rigoros und mit Aplomb. Die neuen Inhaber des Geschäfts hatten bei Recherchen die Unternehmensgeschichte betreffend herausgefunden, dass der brandenburgische Gründer ein ziemlich strammer Nazi war.

Der bekannte jüdische Publizist Michel Friedman hat dem Duo nun zu dem aktiven Vorgang gratuliert, mehr noch, er sprach Mathéus und Wernicke mehrfach seinen Respekt aus. Er tat das in der Aula des Gymnasiums Blankenese, wohin die Buchhandlung geladen hatte, um in aller Öffentlichkeit noch mal die Entscheidung zu beleuchten. Eingeladen auf das Podium hatten die beiden Buchhändler neben Friedman den Chef des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ebenjenen Peter Kraus von Cleff, der vorher lange als kaufmännischer Geschäftsführer bei Rowohlt war, die Schleswig-Holsteiner Bildungsministerin Karin Prien sowie die Hamburger Historikerin Claudia Bade.

Blankenese: Die zupackenden Buchhändler Mathéus und Wernicke kamen aus Freiburg

Bemerkenswert, wie voll der Veranstaltungsort war – die Blankeneserinnen und Blankeneser nehmen regen Anteil am Geschehen rund um die alteingesessene Buchhandlung. Und sie haben die aus Freiburg an die Elbe gekommenen, zupackenden Buchhändler Mathéus und Wernicke freundlich aufgenommen in die Stadtteilgemeinschaft. Deren aktuelles Vorgehen finden sie augenscheinlich nachvollziehbar; alles andere wäre auch verwunderlich. Womit im Übrigen, um auf die Sache mit dem Marketing zurückzukommen, der Beweis angetreten ist: Mit der moralisch guten Sache kommt im Falle der Buchhandlung Wassermann auch der PR-Gewinn.

Die Inhaber der Buchhandlung Wassermann Pascal Mathéus (links) und Florian Wernicke. 
Die Inhaber der Buchhandlung Wassermann Pascal Mathéus (links) und Florian Wernicke.  © Louisa Schwope | Louisa Schwope

Der Haupteffekt ist aber die derzeit lebendige Debatte um „Das Prinzip Verantwortung“, so war die Veranstaltung am Freitagabend betitelt. Und da musste die Historikerin Bade lediglich die Eindrücke („Alles Lügen und Unwahrheiten“) von ihrer Einsicht in die Entnazifizierungsakten des Alfred Kortes wiedergeben, damit sich ein exemplarisches Bild des massenhaften, unaufrichtigen deutschen Durchlavierens nach 1945 ergab. Es ist sattsam bekannt, wie sich insbesondere Nazi-Eliten, aber auch Durchschnittsnazis wie Kortes, dessen Familie einst im Brandenburgischen die Buchhandlung von dem Vorbesitzer Friedrich Wassermann übernommen hatte, nach 1945 in der Nachkriegsgesellschaft breitmachten. Kortes hatte ökonomisch von seiner Nähe zu den Nazis enorm profitiert.

Michel Friedman in Blankenese: Auf die harte Tour

Es war nun an Michel Friedman, vielleicht auch aufgrund dieser nachdrücklich in Erinnerung gebrachten fehlenden kritischen Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit, die in Blankenese einstweilen noch herrschende Zufriedenheit mit den neuesten Entwicklungen einigermaßen schroff zu crashen. Ja, toll, was die Buchhändler da gerade machen (noch mal großer Applaus in der Aula), aber dann, adressiert direkt an die voll besetzten Reihen vor ihm: „Warum waren Sie nicht längst Teil der Aufklärung hier?“ Deutlich verhaltener Applaus.

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Die harte Tour mochte Friedman („Warum haben Millionen Deutsche nach 1945 ihre alten Ansichten nicht abgelegt?“), der in Paris geboren wurde und mit seinen Eltern, beide Shoah-Überlebende, im Alter von 10 Jahren nach Deutschland kam, den Blankenesern nicht ersparen. Er meinte aber die gesamte deutsche Nachkriegsgesellschaft. Und geschickt war er auch, denn später lobte er „den Hamburger Siegfried Lenz“ und dessen Romane, die sich mit der deutschen Schuld auf eine bestimmte, richtige Weise auseinandersetzten, so Friedman. Und er sprach vom „Wow“, das einem angesichts des schönen Blankenese nur entfahren könne.

Michel Friedman veröffentlichte 2022 sein Memoir „Fremd“.
Michel Friedman veröffentlichte 2022 sein Memoir „Fremd“. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Aber Friedman („Ich bin ein skeptischer Optimist“) sieht, das bringen die Prägungen durch seine Familiengeschichte mit sich, notgedrungen mit besorgtem Blick auf Vergangenheit („Die Großeltern haben Jahrzehnte geschwiegen, aber gerade die Täter hätten über die Vergangenheit sprechen müssen“) und Gegenwart. In der beobachtet der 67-Jährige ein Erstarken antidemokratischer Tendenzen gerade unter jungen Menschen.

Blankenese: Einigkeit im Hinblick auf die Bedeutung von Bildung und Wissen

Friedman erfuhr Unterstützung der übrigen Diskussionsteilnehmer. Wer wollte leugnen, wie spät sich dieses Land insgesamt mit seiner schuldhaften Vergangenheit auseinandergesetzt hat. Einig war man sich, und das schlug dann den Bogen zurück vom historischen Morast zur Buchhandlung, in der Bedeutung, die Kultur sowie Wissenschaft und Bildung für Demokratie und Freiheit haben.

Diese großen Worte wurden von allen im Mund geführt. Weil es die großen Ideen sind, die eine Gesellschaft zu einer lebenswerten machen. Welche Mängel gibt es da, in Blankenese und anderswo? Zum Beispiel wird bei den Bildungsplänen so gedacht, berichtete Karin Prien, dass Schülerinnen und Schüler Bücher nur ausschnittsweise lesen. „Dabei müssen wir Jugendlichen zumuten, ein Buch ganz zu lesen“, sagte die CDU-Bildungspolitikerin.

Blankeneser als Vorlesepaten in weniger privilegierten Stadtteilen?

Die beste Idee des Abends hatte Friedman, sie berücksichtigte den privilegierten Status des feinen Blankenese, in dem manche Probleme vielleicht doch ein klitzekleines bisschen weniger besorgniserregend sind als anderswo. Wenn nur jeder Zehnte in diesem Raum, sagte Friedman, sich als Vorlesepate in einer anderen Schule anbiete, dann wäre tatsächlich viel getan. So ist es halt, in vielen Haushalten gibt es keinerlei Lesekultur.

Karin Prien ist Bildungsministerin in Schleswig-Holstein.
Karin Prien ist Bildungsministerin in Schleswig-Holstein. © Katja Engler | Katja Engler

Den anschließenden Fragen aus dem Publikum nach zu urteilen, hat das Thema Verantwortung für lange zurückliegende und für künftige Untaten, die es zu verhindern gilt, einen Nerv in Blankenese getroffen. Wer künftig Demokratieverfechter will, die in einer Welt ohne Rassismus, Sexismus und Antisemitismus leben, der muss sich mit Pädagogik und Wachsamkeit behelfen. Der darf nicht bequem sein. Sondern jemand, der den Wert von Büchern kennt, den wertvollen Büchern, nicht denen, die die von der AfD gut finden.