Hamburg. Die Hamburger Autorin geht in „Das Fest“ mit Geburtstagskind Jakob auf biografische Schnitzeljagd. Das ist schmerzlich und tröstlich.
Ein Fest will er nicht feiern, bloß keine Party. Verständlich erscheint einem das, runde Geburtstage sind ja das Schrecklichste, das es gibt. Dieser neue Roman trägt dennoch den Titel „Das Fest“. Dogmatisch ist an ihm nichts, aber dass es am Ende doch um eine Art Fest geht, glaubt man vom ersten Satz an.
Man weiß noch nicht ganz genau, was die Schriftstellerin Lucy Fricke mit ihrem traurig-fröhlichen Helden Jakob vorhat, als sie ihn gerade erst auf biografische Schnitzeljagd geschickt hat. Erste Station, und schon hat er ein demoliertes Gebiss. Eben ist Jakob, der 50 wird, noch gemeinsam mit Ellen, der ewigen Ellen, in seiner Wohnung gewesen, jetzt hockt er beim Zahnarzt. 50 zu werden ist kein Kindergeburtstag.
Ellen ist Jakobs beste Freundin. Die langjährige Gefährtin ist Lucy Frickes Helferfigur in deren irre ökonomischem (nur 130 leichtfüßige Seiten!) und unterhaltsamem Roman: Ellen hat sich, im Auftrag der Autorin sozusagen, etwas ausgedacht. Und ein paar Leute zusammengetrommelt. Jakob ist an seinem Ehrentag unterwegs in Berlin, der Stadt, in der er wie seine Erfinderin lebt. Und er trifft an verschiedenen Stationen auf seine Lebensmenschen, wenn man die wichtigsten Sozialkontakte einer Biografie, die zu zwei Dritteln vorbei ist, denn mal so nennen will. Es ist ein Staffellauf durch die eigene Biografie.
Neues Buch „Das Fest“ von Lucy Fricke: Wunderbar zu lesendes Literaturentertainment
„Das Fest“ ist also ein kleines, feines Existenzstückchen und dabei, wie zum Beispiel vor einigen Jahren auch der Superbestseller „Ein einfaches Leben“ von Robert Seethaler, als Identifikationstext gedacht. Der Verlag hat einen Knallersatz („Es ist endlich Zeit, sich an das Leben zu verschwenden“) auf den Einband gestellt. Eine Form von verwegener, für immer junger Lebenshilfe also? Wenn, dann sekundär. In erster Linie geht es um wunderbar zu lesendes Literaturentertainment, und das ist ja die Kunst.
Fricke, gebürtig aus Hamburg und schon lange in Berlin, plant also tatsächlich etwas mit Jakob. Er muss diesen Tag überstehen, aber nicht irgendwie; er wird ganz anders, als sich das der behaglich im eigenen tendenziell privilegierten, wohl irgendwie individualistischen Leben eingerichtete Großstädter das vorgestellt hatte.
Aus der Wohnung raus geht es in diesem souverän komponierten Episodenroman zunächst ins Schwimmbad, und genau dort holt sich Jakob die blutige Gesichtsverletzung ab, als er tollkühn wie der Teenager, der er schon so lange nicht mehr ist, vom Fünfer springt. Jakob hat am Becken, wie er glaubt zufällig, Inken getroffen. Die Frau, die er einst, als es ans Kinderkriegen ging, verließ; oder sie ihn. Ein Kind hat sie von einem anderen bekommen, und dieser zehnjährige Eugen (wie bitte, Eugen? Dit is Balin, wa!) ist irgendwie gelenkiger als Jakob vom Sprungbrett geglitten.
„Das Fest“ von Lucy Fricke: Gespür für die wahren Schmerzpunkte
Mit dem Gespür für die wahren Schmerzpunkte formuliert Fricke, Jahrgang 1974, in „Das Fest“ ihre Sätze mit Wiedererkennungswert: „Es gab diese Sprünge, innerhalb weniger kritischer Wochen konnte man um Jahre altern, dafür brauchte es keine Krankheit, nur das Leben als solches. Es war jetzt die Phase, in der man bei jedem Wiedersehen unwillkürlich zusammenzuckte, weil man nicht glauben konnte, was mit dem anderen passiert war.“
Dabei ist man ja selbst alt geworden. „Das Fest“ ist aber lediglich dezent melancholisch, es hat den Touch des Amüsanten, und wie bei Seethaler ist natürlich Kitsch im Spiel, aber das sollte niemanden schrecken. Es gibt auch guten Kitsch. Das Schicksal verpasst einem Nackenschläge, aber Jakobs Tour durch die eigene Vergangenheit, auf der er seine Ersatzmutter aus Jugendtagen in Bremen, eine Sandkastenfreundin und den besten Freund von einst (den einzigen, den er je hatte), trifft, ist vor allem ein sentimentales Rendezvous mit der Vergangenheit.
Wie sollte man es nicht gut meinen mit dem Filmemacher Jakob, der einst skrupellos war, als es darum ging, sich einen Namen zu machen, aber ganz augenscheinlich ein tief empfindender, ernsthafter Kerl ist? Seine wilde, seine glorreiche Zeit waren die Neunzigerjahre, ein unbeschwertes Jahrzehnt, dem kürzlich auch Julia Karnick ein Denkmal setzte. Wunden trägt man dennoch immer davon, auch in den Zeiten, in denen das Leben noch wie in einem Schaufenster vor einem liegt. Fricke lässt Jakob an seinem 50. Geburtstag ordentlich leiden, körperlich vor allem – der Roman ist förmlich auf Verfilmbarkeit angelegt. Man liest hier, dass man auch mit 50 noch schön auf die, Pardon, Fresse fallen kann.
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Mit 50 liegt mehr hinter als vor einem, das ist eine unerbittliche Wahrheit. Dass „Das Fest“ dennoch zu einem reinen Feelgood-Buch mit guten Tränen und noch besseren Lachern geworden ist, liegt an der optimistischen Autorin Fricke. Auf Jakob, den abgehalfterten Typen aus der Filmbranche, wartet noch viel. Zum Beispiel die Liebe.
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