Hamburg. Kaum ein Genre ist so erfolgreich wie „New Adult“. Autorin Anabelle Stehl schreibt vor allem für Frauen – auch über Sex und Feminismus.
- Der New-Adult-Boom ist für die Literatur das, was Stars wie Taylor Swift und NIna Chuba für die Musik sind.
- Die Hamburgerin Anabelle Stehl gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen des Genres.
- Anabelle Stehl sagt: „Lesen ist cool, und Bücher sind wieder Statussymbole.“
„Ich nehme den hohen Output nicht als stressig wahr‟, sagt Anabelle Stehl und lächelt ruhig. „An Tagen, an denen ich schreibe, geht es mir einfach besser.“ Die junge Hamburger Autorin sitzt im Altonaer Literaturcafé Kapitel Drei. Kurz vor dem Gespräch ist sie noch in ein Buch versunken.
Die Atmosphäre ist inspiriert gemütlich. Cozy, würde man Neudeutsch sagen. In den verschiedenen Zimmern unterhalten sich Gäste angeregt oder schmökern einfach. Überall: Regale mit Büchern. Davon hat Anabelle Stehl selbst zwölf veröffentlicht – in den vergangenen vier Jahren. Und zwar im neuen wie äußerst angesagten Segment New Adult.
Das heißt: Sie schreibt Liebesromane, die Geschichten von Zwanzig- bis Dreißigjährigen erzählen. Lebensnah und packend, auch sozialkritisch und feministisch. „New Adult explodiert nahezu“, erklärte Torsten Casimir, Sprecher der Frankfurter Buchmesse, diesen Herbst. Ein Genre, das stark von einer weiblichen Fan-Gemeinde getragen wird. Der New-Adult-Boom ist für die Literatur das, was Stars wie Taylor Swift, Billie Eilish, Ayliva und Nina Chuba für die Musik sind. Es geht um Identifikation und Gemeinschaft. Darum, dass die Stimmen junger Frauen und verstärkt auch queerer Personen gehört werden. New Adult ist Teil einer sich neu justierenden Popkultur.
Hamburger Autorin: „Ich lasse männliche Charaktere auch weinen“
Dass Anabelle Stehl selbst glühender Swiftie ist, also Anhängerin von Taylor Swift, überrascht da wenig. Ihre erste Liebe war jedoch eindeutig das geschriebene Wort. „Bevor ich lesen konnte, habe ich so getan als ob“, erzählt die Autorin, die 1993 in Bad Kreuznach geboren wurde. Ihre Mutter brachte ihr regelmäßig Bücher mit. Die Bibliothek war ein Ort des Vertrauens.
Bald dachte sie sich eigene Geschichten aus und schrieb während des Studiums ihr erstes Buch. Ein Fantasy-Roman. Der liegt allerdings unveröffentlicht in der Schublade. „Ich wollte erst einmal sehen, ob ich etwas zu Ende schreiben kann“, sagt Anabelle Stehl. Eine Übung. Ein Empowerment.
Ihr Ende 2020 erschienener Debütroman „Breakaway“ über einen Neuanfang in Berlin landete direkt auf der Spiegel-Bestsellerliste. Damals arbeitete sie nach ihrem Master-Abschluss in einer Marketing-Agentur und hatte nicht auf den unmittelbaren literarischen Erfolg gesetzt: „In die Professionalität als Autorin bin ich eher hineingerutscht. Und zwischenzeitig fühlt es sich nach wie vor wie ein Hobby an, weil es so viel Spaß macht.“
Autorin Anabelle Stehl: Die Nachfrage nach New-Adult-Romanen ist hoch
Spaß ist eine gute Motivation. Denn der Bedarf bei den New-Adult-Fans ist groß. Viele Autorinnen schreiben ihre Geschichten direkt als Reihen in mehreren Bänden. Lesen im Serien-Zeitalter. Was Stehls Bücher auszeichnet: Sie spielt mit beliebten Dramaturgien des romantischen Genres wie beispielsweise „enemy to lovers“. Also einer Liebe, die aus anfänglicher Abneigung entsteht. Zugleich zeichnet sie ihre Charaktere vielschichtig und glaubwürdig. Und sie verquickt ihr mitreißendes Storytelling immer wieder mit gesellschaftlichen Themen.
In „Worlds Collide“, dem Auftakt einer dreiteiligen London-Reihe, webt sie Cybermobbing in die Handlung ein. In „Dreams of Sapphire Seas“, dem Finale ihres Irland-Zweiteilers, geht es auch um Obdachlosigkeit sowie die Schere zwischen Arm und Reich. „Ich finde, Liebesromane eignen sich sehr gut, um Sozialkritisches zu transportieren und so auch noch einmal andere Zielgruppen für diese Themen zu sensibilisieren.“
Verlag von Anabelle Stehl „steht für bestimmte Werte“
Die meisten Bücher von Anabelle Stehl erscheinen im Lyx Verlag, einem Ableger des Traditionshauses Bastei Lübbe, der dieses Jahr erstmals ein eigenes Festival für seine junge Community ausgerichtet hat. „Lyx steht für bestimmte Werte“, erklärt Anabelle Stehl ganz klar. Der Verlag biete „einen Safe Space für alle, die das Lesen lieben“, heißt es auf der Webseite. Eine neue Achtsamkeit, die unter anderem auch Triggerwarnungen zu Beginn der Lektüre enthält, wenn die Geschichte von Gewalt oder Traumata erzählt. Oder auch, wenn es sehr explizit zugeht.
Denn viele New-Adult-Romane belassen es nicht bei keuschen Andeutungen, wenn es um körperliches Miteinander geht. „Spice“ lautet der Fachbegriff. Also eine gewisse feurige Würze in den Stories. Das Credo: Alles ist erlaubt, solange alle Spaß haben.
„Es ist schön, dass es selbstverständlicher wird, Sexualität darzustellen“, erläutert Anabelle Stehl. „Es geht auch um Verhütung und Konsens.“ Also durchaus auch um Aufklärung. Obwohl ihre Romane bei Weitem nicht auf der oberen Spice-Skala liegen, landeten sie anfangs mitunter in der Erotik-Abteilung. „Für New Adult gab es oft schlichtweg noch keine Ecke in den Buchhandlungen.“
New Adult-Romane füllen mittlerweile mehrere Tische in den Buchläden
Jetzt füllen die Romance Novels oft mehrere Tische in den Läden und es ist zu beobachten, wie junge Fans freudestrahlend die oftmals kunstvoll gestalteten Bände betrachten. „Lesen ist cool, und Bücher sind wieder Statussymbole“, sagt Stehl. Etwas Haptisches zwischen Spotify-Playlist und Netflix-Bingen. Ein gedrucktes Lebensgefühl.
Die Übergänge zwischen den Medien sind dabei fließend. Das zeigt sich etwa daran, dass vielen New-Adult-Romanen eine Liste mit Songs vorangestellt ist, die den Vibe, also die Stimmung des Buchs widerspiegeln. Bei Stehl finden sich dabei Stücke von Harry Styles, Paramore, Olivia Rodrigo, Hozier und natürlich Taylor Swift.
Ob Stehl nun in Hamburg bei einer Swiftie-Party feiert oder sich in New-Adult-Welten begibt: „Ich hätte mir gewünscht, dass es diese Art von Fankultur früher schon gegeben hätte.“ Dass also gerade weiblich geprägte Pop-Phänomene so eine starke Präsenz haben. Dass junge Frauen ihre Vorlieben „ownen“, also stolz darauf sind, anstatt sich von der patriarchalen Geschmackspolizei belächeln zu lassen.
Anabelle Stehl: „Die Good Guys sind auf dem Vormarsch“
Ihren eigensinnigen, hadernden und mutigen Heldinnen stellt die Autorin jedenfalls Protagonisten gegenüber, die nicht dem klassischen Bad-Boy-Klischee entsprechen. „Ich lasse meine männlichen Charaktere gerne auch einmal weinen. Die Good Guys sind auf dem Vormarsch“, ist sie sicher. Immerhin erhält Stehl auch Feedback von männlichen Lesern, die gerne ihre Liebesromane lesen. Lässt sich ja auch durchaus einiges lernen.
Überhaupt, die Community: „Ich mag den Austausch sehr. Er ist geprägt von Augenhöhe und Respekt. Und ich bekomme viel wichtigen Input.“ Mit ihren Fans feiert Stehl ihre Erfolge, aber auch Zweifel, etwa wenn das Imposter-Syndrom zu sehr zuschlägt. Früher, da habe sie auch mal einer Autorin als Fan einen richtigen Brief per Post geschrieben, erzählt sie. Aber Social Media ermögliche eine ganz andere Intensität. Und mit ihrer Reichweite umkurven die New-Adult-Autorinnen mal eben die altväterlichen Elfenbeintürme des Literaturbetriebs.
Die Hamburger Autorin ist in vielen Bereichen der Bücher und Literatur tätig
Anabelle Stehl jedenfalls beherrscht die Klaviatur der Kanäle. Und das liegt auch darin begründet, dass sich ihre Biografie auf ganz unterschiedlichen Ebenen um Bücher dreht.
Während sie Germanistik, Anglistik und später Linguistik studierte, arbeitete sie unter anderem im Eventmanagement der Leipziger Buchmesse. Seit 2015 bloggt sie unter dem Titel „Stehlblüten“ über Bücher. Sie moderiert Literaturveranstaltungen und berät angehende Profis bei ihren Exposees. Sie podcastet und ist auf Instagram, Youtube sowie TikTok aktiv. Und auf der Plattform Twitch hat sie sich unter anderem einen virtuellen Coworking-Raum eingerichtet.
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Denn „einfach drauflosschreiben“, das mag vielleicht in den Anfängen euphorisch funktioniert haben. Wie viele New-Adult-Autorinnen ist die Arbeit jedoch nicht nur kreativ, sondern auch konzeptionell. Mittlerweile entwirft Anabelle Stehl die Szenen ihrer Romane ähnlich wie bei einem Drehbuch und fühlt sich allumfassend in ihre Charaktere ein. Morgens findet sie sich mit anderen Kolleginnen online in ihrem Büro ein und beginnt zu schreiben, bevor sie dann im Homeoffice in ihren Teilzeitjob startet. Auch der hat – natürlich – mit Büchern zu tun: Sie arbeitet im Marketing für die norddeutsche Firma Chest of Fandoms, die Schmuckausgaben und Buch-Merchandise verkaufen.
Gerade hat Anabelle Stehl mit „Trusting Yourself“ eine Mischung aus Memoir und Ratgeber rund um Selbstachtung veröffentlicht. Also ihr erstes Sachbuch. Ihr nächster Liebesroman ist aber bereits angekündigt und erscheint im Sommer 2025: „Novel Haven“ bildet den Auftakt zu einer dreiteiligen Serie und spielt in der Gaming-Szene, für die Stehl ebenfalls brennt. „In Videospielen lassen sich Geschichten besonders ausgefeilt erzählen.“ Und um gute Geschichten geht es schließlich. Nach wie vor.
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