Hamburg. Neues Festival „Imagine Hamburg“ sucht frische Ideen für eine (noch) nettere Zukunft der Stadt. Da gibt es viel utopisches Potenzial.
- „Imagine Hamburg“ ist ein Projekt der weltweit agierenden Initiative „Save the World e.V.“
- Das neue Hamburger Festival fand an vielen Orten in der Stadt statt
- Ausgerechnet der eingeladene Klimaforscher formuliert auf der Bühne positive Narrative
Lakritz, das an den Bäumen wächst, und „eine Wasserrutsche von der Elphi in die Elbe“? Warum nicht! Vielleicht sind es am Ende gerade die verrückten Vorschläge, die nachwirken und einen liebevoll zusammengewürfelten Community-Abend in konkrete Bilder fassen. Schließlich soll hier utopisches Potenzial angezapft werden: Unter dem aparten Titel „Imagine Hamburg a noch netter place“, der zentralen Show des neu geschaffenen „Imagine Hamburg“-Festivals, geht es am Ernst Deutsch Theater darum, „spielerisch und optimistisch Lust auf eine nachhaltige, fossilfreie Zukunft“ zu machen.
Mit handgemachter Musik, Literatur, Ballett, einem Diskussionspanel, das keinen reichweitensteigernden Krawall im Sinn hat, und einem Interviewfilm, in dem Hamburger Bürgerinnen und Bürger, darunter ein Haufen ziemlich aufgeweckter Kinder, mit Verbesserungsanregungen für ihre Stadt zu Wort kommen. Stellt man die Lakritzbäume einmal hintenan, sind die Wünsche keineswegs abgehoben, sondern gute Bekannte: bezahlbarer Wohnraum, mehr Grünflächen, Gerechtigkeit, inklusivere Bildung.
Kuriose Idee für Hamburg: Wasserrutsche aus der Elbphilharmonie?
Die Welt auf der Bühne als eine veränderbare zu spielen und wahrzunehmen, das ist die Superkraft des Möglichkeitsraums Theater, auf die Kultursenator und Festival-Mitinitiator Carsten Brosda (SPD) immer wieder hinweist. „Damit man so verwegen sein kann zu glauben, dass die Welt tatsächlich veränderbar ist!“ Damit unsere Zukunft besser wird als bloß „ein bisschen weniger schlimm“. In diesem Sinne ist „Imagine Hamburg“, das Brosda mit dem Filmregisseur Lars Jessen über einem Teller Nudeln ersponn, doppelt wirksam: als Raum, in dem Visionen entwickelt werden, und als Gelegenheit zum kollektiven Krafttanken.
Für das Publikum, aber nicht zuletzt auch für die Initiatoren und Unterstützerinnen: „Imagine Hamburg“ ist ein Projekt der global agierenden Initiative „Save the World e.V.“, gegründet von der Dramaturgin und Festival-Leiterin Nicola Bramkamp. Ihre Komplizenschaft geht quer durch die Kulturszene und die Stadtgesellschaft; sechs Museen, fünf Theater, Kinos, freie Ensembles und wissenschaftliche Institutionen sind dabei. Zu den aktiv Beteiligten gehören neben dem Senator etwa Daniel Schütter, designierter Intendant des Ernst Deutsch Theaters (EDT), die Autorin und Aktivistin Kübra Gümüsay und die Schauspielerin Pheline Roggan.
Gemeinsam mit der Autorin Laura Lo Zito hat Roggan den EDT-Abend eingerichtet, zum Vorglühen liest sie Wolfgang Borcherts funkelnden, weltumspannenden Text „Die Elbe, Blick von Blankenese“: „Und wenn wir abends auf den wiegenden Pontons stehen – in den grauen Tagen – dann sagen wir: Elbe! Und wir meinen: Leben! Wir meinen: ich und du. Wir sagen, brüllen, seufzen: Elbe – und meinen: Welt!“ Vor der Haustür beginnen und dann weiterschauen, so kann man das auf das Festival übertragen. Wer ein Bild von der Zukunft entwickeln will, mahnt Brosda, der dürfe nicht nur Negativszenarien beschreiben: „Was bieten wir stattdessen an?“
Klimaforscher Mojib Latif: „Am Grünen Bunker sieht man, wie schön Veränderung sein kann“
Musikalisch geht‘s dann doch erst einmal voll in die Dystopie, da wird der „Karren an die Wand gefahren“, das fällt sogar dem jungen Singer-Songwriter Marlo Grosshardt auf. Klingt trotzdem toll (mit ihm ist die Cellistin Rahel Meiler auf der Bühne), und schließlich hält das Bundesjugendballett mit „Somewhere Over The Rainbow“ und „Je ne regrette rien“ erbaulich dagegen. Ausgerechnet dem eingeladenen Klimaforscher, der allen Grund zur Schwermut hätte, fällt es später in der Podiumsdiskussion leicht, positive Narrative zu formulieren: „Am Grünen Bunker sieht man, wie schön Veränderung sein kann“, findet Mojib Latif, „wie wenig Angst wir davor haben müssen.“
Und wer einen Garten auf einem Bunker für möglich hält, kann sich vielleicht auch eine Wasserrutsche vom Konzerthaus vorstellen. Einen „bunten Teller“ hatten Pheline Roggan und Laura Lo Zito passend zur Adventszeit versprochen, und das löst dieser Abend fraglos ein, der nichts für Zyniker ist und dazu einlädt, Teil einer wilden Allianz zu sein. Die ins Machen kommen will, ins Sprechen zunächst, mindestens ins Hoffen. Wie Borchert geschrieben hat: „Man muss die Sterne natürlich sehen, die hier unten schwimmen, in der Elbe, im Dnjepr, in der Seine, im Hoangho und im Mississippi.“
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Moderator Michel Abdollahi kippt zum Abschied zwar eine Portion Pragmatismus in diesen Griff nach den Sternen: „Es wäre schön, wenn wir die Probleme alle mit Musik und Tanz lösen könnten. Können wir aber nicht.“ Trotzdem singen am Ende alle gemeinsam mit Marlo Grosshardt: „Du hast gesagt: Was kostet die Welt?/Hab Christian Lindner gefragt/Der meint, es regelt sich selbst“. Schadenfreude, das weiß man hier natürlich, löst eher auch wenig, schafft aber immerhin erst mal Gemeinschaft.
„Imagine Hamburg“ läuft noch bis zum 8. Dezember, u.a. am Thalia, in der Kunsthalle und im Dialoghaus Hamburg. Infos unter www.imagine-hamburg.de
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