Hamburg. Lyrische Songs, die für einige zu kraftvoll waren: Der buchstäblich überwältigende Ire begegnete den Umständen mit Achtsamkeit.
Jesus, bist du es? Nein – auch wenn die langen Haare und die Nächstenliebe, die Hozier ausstrahlt, für einen kurzen Moment den Eindruck erwecken können. Doch zum Glück ist der irische Künstler, der mit dem Hit „Take Me To Church“ weltweit bekannt geworden ist, beruflich nicht in der Kirche gelandet: Stattdessen singt er am Dienstagabend in der ausverkauften Sporthalle in Hamburg.
Sein aktuelles Album „Unreal Unearth“ ist im August erschienen. Mit diesen neuen und seinen alten Songs tourt er derzeit durch die ganze Welt. Hierzulande spielte er im Sommer bereits zwei Konzerte, im Winter kehrte er nun für zwei Zusatzshows in Berlin und Hamburg in das verschneite Deutschland zurück.
Hozier in der Sporthalle Hamburg: Warum das Konzert unterbrochen wurde – und das fünfmal!
Erwartungsgemäß herrscht im Publikum ein erheblicher Frauenüberschuss. Der Vorteil: Auch wer hinten steht, hat eine einigermaßen gute und freie Sicht auf die Bühne – es sind nicht so viele große, sichteinschränkende Personen in der Halle. Um 20.30 Uhr erlischt das Licht, nur ein weißer Strahl erleuchtet einen Fleck auf der Bühne. Wie ein Heiligenschein thront das Spotlicht über Hozier, als er mit seinem ersten Lied „De Selby (Part 1)“ den Abend eröffnet.
Seine Akustik-Gitarre und eine Violine begleiten das andächtige, ruhige Lied, die letzten Zeilen singt der 33-Jährige in gälischer Sprache. Das Publikum wirkt schon jetzt beseelt, die Frauen jubeln dem Verehrten zu und himmeln ihn mit ihren Blicken an. Beim zweiten Song „De Selby (Part 2)“ wird die Bühne erhellt, das achtköpfige Ensemble von Hoziers Band kommt zum Vorschein. Nun setzt auch der Bass ein, und der tiefgehende, cineastische Sound durchdringt die Hautschichten.
Hozier in Hamburg: Das Konzert muss fünf mal unterbrochen werden
„Tut mir leid, ich hab total vergessen zu fragen: Wie geht es euch?“, erkundigt sich der Singer-Songwriter auf Englisch, die Frage wirkt ehrlich. Fast möchte man sich wirklich neben ihn setzen und ihm das weihnachtlich-verletzliche Herz ausschütten, doch das würde sich wohl eher schwierig gestalten. Ohnehin ist seine kraftvolle und gleichzeitig seichte Stimme ausreichend, um therapeutische Abhilfe zu schaffen – zumindest für den Moment.
Doch für einige scheint die Wucht des gefühlvollen Gesangs, die Macht des Fan-Daseins an diesem Abend wohl zu viel zu sein – einigen im Publikum geht es zwischendurch gar nicht gut. Hysterie macht sich in den vorderen Reihen breit, Mitarbeitende der Sporthalle verteilen Wasserflaschen. Zum Glück hat der Ire sein Publikum genau im Blick und wacht aufmerksam über seine Anhängerinnen: Ganze fünfmal unterbricht er das Konzert, teilweise mitten im Song.
Hozier in Hamburg: Irischer Sänger beobachtet sein Publikum aufmerksam
„Wir müssen kurz unterbrechen, hier geht es jemanden nicht gut“ und „Danke für eure Geduld“ sind an diesem Abend die häufigsten Sätze, die der Folkrockmusiker ausspricht. Vom Rest des Publikums bekommt er für seine Achtsamkeit Applaus. Dennoch steht die Frage im Raum: Wie kann es sein, dass bei einem eher ruhigen Konzert – ohne Moshpit oder gar Wall of Death – in einer angenehm temperierten Halle so vielen Fans scheinbar der Kreislauf zusammenbricht?
„Es wurde im Vorfeld kommuniziert und beim Personal eingebrieft, dass der Künstler sehr viel Rücksicht auf seine Fans nimmt“, heißt es in einer Stellungnahme von Veranstalterseite, „die Unterbrechungen sind darauf zurückzuführen, dass vereinzelt Personen aus dem Graben gezogen wurden.“ Nicht viele Künstler unterbrächen das Konzert selbst und direkt, deswegen sei es bei Hozier stärker aufgefallen.
Epische Lichtshow und künstlerischer Hintergrund beim Konzert von Hozier
Trotz der Pausen und der Verwirrtheit, die nun bei einigen Konzertgängerinnen herrscht, bricht die glückselige Atmosphäre nicht ab. Die Kulisse des Konzerts trägt in großem Maße dazu bei: Eine epische Lichtshow schwebt in verschiedenen Farben über dem Publikum, der Hintergrund zeigt eine weiße Masse auf dunklem Grund. Abhängig von der farblichen Bestrahlung erinnert der Hintergrund mal an eine weiße Wolkendecke, mal an einen tiefblauen Ozean oder an einen rosa Himmel.
Bei all der Schönheit und dem leichten Hang zum Pathos könnte man schnell vergessen, welch politische Tiefe die meisten Songs von Hozier beinhalten. Seine lyrisch anspruchsvollen Texten sind nicht zum simplen Mitträllern oder sofortigen Verständnis gemacht: Oft muss man genau hinhören, um zu verstehen, worum es im Song geht. Beispielweise bei „Cherry Wine“, einer romantisch klingenden Ballade.
Konzert in Hamburg: Hoziers Songtexte sind meist hochpolitisch
Hozier singt im kirschroten Licht und mit geschlossenen Augen, die Fans zücken unaufgefordert ihre Handys, schalten die Taschenlampenfunktion ein und schwenken die Arme von rechts nach links. Rührung macht sich breit, vereinzelt kullern Tränen. Die Thematik des Songs ist im Gegensatz zur Melodie jedoch hart und heftig: Das Lied handelt von häuslicher Gewalt, von dem teuflischen Kreislauf aus Liebe und Missbrauch.
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Auch sein Song „Eat Your Young“, der im Frühjahr 2023 erschienen ist, wiegt thematisch schwer. Es geht um die Ausbeutung von Kindern und Armen, um Kriege, um die erdrückende Gier von wenigen, reichen Menschen dieser Welt. Andrew Hozier-Byrne, so heißt der Mann mit bürgerlichem Namen, kann vielleicht derzeit Kapitalismus- und Gesellschaftskritik so dicht in seinen Songs verpacken wie kein Zweiter.
Hozier in Hamburg: Ein schönes Konzert, trotz Unterbrechungen
Hozier ist zudem Sammler von Sympathiepunkten: Er stellt alle, wirklich alle Mitglieder der Band, Orga-Crew und der Technik namentlich vor und lässt das Publikum für sie applaudieren. Für seinen Mitarbeiter Mark lässt er die volle Sporthalle zu seinem Geburtstag „Happy Birthday“ singen. Am Ende erinnert er sein Publikum: „Small acts of kindness and love have a long legacy“ – also daran, dass kleine Gesten der Freundlichkeit und Liebe eine große Wirkung haben.
Der irische Musiker tritt am Dienstagabend in Hamburg als musikalischer Heiler auf, der angekratzten Herzen ein Pflaster aufklebt und heiteren Herzen eine Schutzhülle umlegt. Ein wahrlich schönes Konzert. Trotz mehrerer Unterbrechungen.