Hamburg. „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ ist eine ausgesprochen sehenswerte Inszenierung im Jungen Schauspielhaus.

Manche Sätze möchte man nicht aus dem Mund eines jungen Menschen hören. „Nichts bedeutet irgendetwas (...) Alles ist egal. Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben.“ Der das sagt, ist Pierre Anthon, gerade mal 13 Jahre alt. Marlo Grosshardt spricht ihn durch seine Zahnspange aus einem Bildschirm heraus, den Ausstatterin Katrin Plötzky quer über die Bühne des Jungen Schauspielhauses gelegt hat.

Da hat Pierre Anthon den Schulraum bereits desillusioniert verlassen, um fortan in einem Pflaumenbaum zu hocken, Sprüche zu klopfen und seine Kameraden zu verwirren. Was gibt dem menschlichen Leben einen Wert? Ist nicht eigentlich alles sinnlos. Und ist dann umgekehrt alles erlaubt?

Fragen, die Regisseur Klaus Schumacher anhand von Andreas Erdmanns Bühnenfassung des Jugendbuches „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ der Dänin Janne Teller zum Auftakt der zehnjährigen Jubiläumsspielzeit des Jungen Schauspielhauses in einer sehenswerten Inszenierung stellte. Die Radikalität, mit der das 2010 auch auf Deutsch erschienene Jugendbuch das Thema Sinn und Sinnlosigkeit des Daseins behandelte, irritierte. Das Buch wurde ein Hit und ein Skandal zugleich. Schumachers vier Darsteller, die unvergleichlich vielseitige Florence Adjidome, Florens Schmidt und die respektabel aufspielenden Ensemble-Neuzugänge Sophia Vogel und Philipp Kronenberg agieren als Mitschüler Pierre Anthons in einer Art weißem Denkraum, dessen einziges Objekt besagter Baum samt Bildschirm bildet.

Um den Abtrünnigen doch noch vom Sinn des Seins zu überzeugen, häufen die Mitschüler einen „Berg aus Bedeutung“ an. Das geht nicht ohne persönliche Opfer ab. Devotionalien vom alten Gesangbuch bis zur Beatles-Kassette, von der grünen Lieblingssandale bis zur Angelrute werden in einem alten Sägewerk aufgeschichtet.

Das Stück ist von Klaus Schumacher stringent und konzentriert inszeniert

Da Pierre Anthon sich aber nicht von seiner Haltung abbringen lässt, wächst die Angst, die Fanatismus nach sich zieht. Finger werden geopfert, Vergewaltigungen gewünscht, ein Hund geköpft. Schranken und Tabus fallen.

Formal schildern die Akteure das Geschehen meist frontal. Ein Kunstgriff, der das jugendliche Zielpublikum direkt anspricht. Und das Geschehen nur gelegentlich in die Nähe eines Hörspiels führt. Wenn Interaktion stattfindet, ist sie drastisch: Verfolgung, Gewalt, Abwehr. Die Schülerinnen und Schüler kämpfen miteinander und jeder für sich mit dem Pierre Anthon in ihrem eigenen Kopf, mit dem Neinsager, der alle Werte, jede Moral leugnet. Das ist von Schumacher stringent, konzentriert und wie gewohnt im Vertrauen auf die Qualität des Textes, inszeniert. Bis zum unausweichlich dramatischen Höhepunkt.

Diese Parabel könnte dazu beitragen, dass junge Menschen unsere Welt ein wenig besser verstehen. Manchmal ist ihre Sinnhaftigkeit hinter glitzernden oder brutal kalten Fassaden und ihren behaupteten Bedeutungen nicht mehr erkennbar.

Es ist notwendig, sich gerade in diesen Zeiten, in denen ein verbindlicher Wertekanon abhanden gekommen ist, die klassischen Sinnfragen vorzunehmen, die Philosophen wie Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre und Albert Camus umgetrieben haben. Auf die Spitze getrieben, revoltiert der moderne Mensch – wie schließlich bei Camus – ständig gegen das Absurde, also die Sinnlosigkeit des Seins. Und die Geschichte von „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ beglaubigt das. Prädikat „Hingehen und anschließend gemeinsam philosophieren“.

„Nichts. Was im Leben wichtig ist“ Weitere Vorstellungen 7.10./8.10., jeweils 10.30, Junges Schauspielhaus, Gaußstraße 190, Karten 13 Euro unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de