Hamburg. Der Wissenschaftler (69) kommt nach Bergedorf. Mit unserer Redaktion sprach er über Werte und Verrohung, Politik und Klimakrise.
Er ist auf einer aufklärerischen Mission, und diese führt den international renommierten Klimawissenschaftler am Donnerstag, 22. Februar, ins Körberhaus (19 Uhr, Holzhude 1, Teilnahme über Livestream unter koerber-stiftung.de möglich): In der Reihe Altersbilder wird der Seniorprofessor der Universität Kiel und Präsident der Akademie der Wissenschaften an der Universität Hamburg. Prof. Dr. Mojib Latif, darüber sprechen, warum die Bekämpfung der Klimakrise eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Unsere Redaktion sprach vorab mit dem 69-jährigen Meteorologen und Ozeanografen unter anderem über menschliche Werte, verrohte Sitten und den Vergleich des Klimawandels mit einem gezinkten Würfel.
Was ist für Sie das größte Glück, das die Menschheit unbedingt für sich und nachfolgende Generationen erhalten muss?
Das, was Menschen ausmacht: die Menschlichkeit. Im Moment gerät das ja unter die Räder, wenn man sich auf der Welt umblickt.
Und wie behält man diese Menschlichkeit?
Durch gute Beispiele. Wladimir Putin gibt zurzeit ein ziemlich schlechtes Beispiel ab. Es wäre eine weitere, ziemliche Katastrophe, wenn in den USA Donald Trump als Präsident zurückkehren würde. Trump ist nicht dafür bekannt, menschliche Werte besonders wertzuschätzen. Insofern wäre es sehr wichtig, dass wir in Deutschland versuchen, diese Werte hochzuhalten, den schlechten Beispielen etwas entgegenzusetzen hätten...
Trump war Ihnen ja schon immer ein Dorn im Auge, was den Klimaschutz angeht.
Genau – aber solche Leute gibt es ja auch bei uns etwa in Form der AfD. Was ich bei Trump ganz schlimm finde, ist, dass er den demokratischen Konsens aufkündigt und versucht, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz und Meinungsfreiheit aufzubrechen. Und dann seine Sprache! Diese verrohte Sprache, diese pausenlosen Beleidigungen und Lügen! Das widerspricht alles den Werten des Menschseins.
Wie ist diesbezüglich die Entwicklung in Deutschland?
Wir tendieren in diese Richtung, lassen uns von diesem Virus anstecken. Wir sehen es in ganz unterschiedlichen Formen wie beispielsweise in den zum Teil eskalierenden Bauernprotesten. Oder dass Politiker angegriffen oder daran gehindert werden, eine Veranstaltung zu machen wie am Aschermittwoch Vertreter der Grünen. Ich beobachte eine gewisse Verrohung der Gesellschaft. Selbst in der Politik – da hat ein beleidigender Ton Einzug gehalten, seitdem die AfD im Bundestag sitzt. Und wir haben in der Politik eine Blockadehaltung. Die CDU blockiert im Bundesrat das Wachstumschancengesetz, weil sie möchte, dass der Wegfall der Subventionen für Agrardiesel zurückgenommen wird. Wo sind wir denn? Auf dem Basar? In der Konsequenz befürchte ich, dass Deutschland unregierbar wird. Vielleicht ist es das sogar schon.
Sie nannten gerade das Wort Unregierbarkeit. Das ist ja im Grunde der totale Killer für jede Demokratie und verhindert im Endeffekt jede Maßnahme, die dem Klimaschutz, also ihrem Hauptthema zugutekommen könnte.
Genau. Alles, was langfristig ist, kann man nicht mehr durchsetzen. Menschen wollen offensichtlich keine Veränderung. Wir leben ja schon in einer ganz besonderen Zeit, in der das Versprechen, dass der Wohlstand wächst, nicht mehr abgegeben werden kann. Die Politik hätte schon längst deutlich machen müssen, dass harte Zeiten auf uns zukommen. Es wird Wohlstandsverluste geben. Das hätte der Bundeskanzler spätestens mit dem Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine den Menschen sagen müssen.
Weil Sie gerade Olaf Scholz erwähnten: Sie haben seine Vorgängerin Angela Merkel nicht unbedingt als Klimakanzlerin empfunden. Wie macht sich in dieser Hinsicht Scholz?
Nicht besser. Weder bei Angela Merkel noch bei Olaf Scholz kann ich erkennen, dass das Klima-Thema in einer Weise ernst genommen wird, dass man ihnen abkauft, dass es ihnen wirklich wichtig ist.
Welche Parteien-Konstellation auf Regierungsebene wäre ihrer Meinung günstig für die Bekämpfung der Klimakrise?
Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und geht nur im Konsens aller demokratischen Parteien. Alle müssten sich versprechen, dass die Klimakrise ein sehr wichtiges Thema ist. Egal ob Regierung oder Opposition. Doch genau das passiert nicht. Selbst in der Ampel gibt es gegenläufige Interessen. Und die Union blockiert aus taktischen Gründen ohnehin vieles, was die Ampel vorschlägt.
Wie stehen Sie zu der Idee von Umweltaktivisten wie etwa Extinction Rebellion, sogenannte zufällig zusammengestellte Bürgerräte als Unterstützung für Regierungen in Sachen Klimaschutz zu etablieren?
Es gibt schon viele Beratungsgremien. Jedes Ministerium hat einen Sachverständigenrat. Wie den Sachverständigenrat Globale Umweltveränderungen, in denen wirkliche Sachverständige Mitglieder sind. Im Prinzip besteht kein Beratungsbedarf mehr, wir haben kein Erkenntnisproblem. Die Dinge liegen auf dem Tisch und nicht erst seit gestern, sondern seit vielen, vielen Jahren. Mein Doktorvater Klaus Hasselmann, der 2021 den Physik-Nobelpreis bekommen hat, war schon in den 1990er-Jahren so weit, dass er den Menschen als größten Klimaschädiger identifiziert hatte. Wir haben eine repräsentative Demokratie, und daran sollten wir letztlich nicht rütteln.
Es muss also weniger geredet, sondern mehr gehandelt werden.
Genau.
Sie haben den Klimawandel mal mit einem gezinkten Würfel verglichen. Wie ist das gemeint?
Das Wetter ist ja sehr variabel. Ein Tag ist nicht wie der andere. Außer momentan in Hamburg, wo es immer regnet (lacht). Wir haben nicht durchgängig hohe Temperaturen, es gibt auch mal Frost. Zwar selten, aber immerhin. Ich bekomme so viele Zuschriften, in denen ich beschimpft werde, wenn draußen mal Schnee liegt, wenn Frost herrscht. Das stimme doch alles gar nicht mit dem Klimawandel, heißt es dann. Da habe ich mir irgendwann einen neuen Erklärungsansatz für das bessere Verständnis des Klimawandels ausgedacht und den gezinkten Würfel genommen. Wenn du den Würfel auf die 6 zinkst, kommt die 6 häufiger, was für höhere Temperaturen steht. Was aber nicht heißt, dass die anderen Zahlen, also die niedrigeren Temperaturen nicht auch mal kommen. Nur eben seltener. Im Grunde heißt das: Das Wetter ist chaotisch, für Überraschungen gut, aber die Tendenz geht mehr in Richtung Erwärmung.
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Können Sie sich eigentlich an normalen Wetterphänomen wie 15 Zentimeter Neuschnee im Januar oder einen 25 Grad warmen, tollen Sommertag im August erfreuen? Oder obsiegt ewig das Interesse des Forschers?
Ich bin ein ganz normaler Mensch, freue mich natürlich. Diese ganze Klimaproblematik ist für mich wie ein Arzt-Patienten-Verhältnis. Als Arzt müsste man ja wahnsinnig werden, wenn man die ganzen Krankheiten mit nach Hause nimmt. Mir geht es genauso: Geschäft ist Geschäft, Freizeit ist Freizeit.
Was machen Sie denn am liebsten in ihrer Freizeit?
Wissenschaft ist Arbeit und Hobby zugleich. Jeder Vollblutwissenschaftler bestückt damit auch seine Freizeit, weil es einfach Spaß bringt. Zur Entspannung fahre ich gern Fahrrad, verbringe Zeit in meiner Wohnung an der Ostsee.