Hamburg. Es gibt einen neuen Text von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, Regisseur Falk Richter probt ihn kurzfristig für eine Ad-hoc-Aufführung.

  • So kurzfristig hat Falk Richter noch kein Stück auf die Bühne des Schauspielhauses gebracht
  • Am Schauspielhaus brach eine Premiere weg, plötzlich gab es einen neuen Text von Elfriede Jelinek - über Trump
  • Falk Richter: „Ich habe noch nie erlebt, wie alle nach einer Wahl derart panisch reagieren“

Das Gesicht wutverzerrt, die Faust in Klassenkämpferpose, Blut im Gesicht – und im Hintergrund die US-Flagge vor blauem Himmel: Der ikonische Moment des Donald Trump nach dem missglückten Attentat in Pennsylvania. Wenige Monate später ist Trump erneut zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. „Für seine Anhänger ist klar, dass Gott persönlich interveniert hat“, sagt nun der deutsche Theaterregisseur Falk Richter, der Trumps Rückkehr in einer kurzfristigen Ad-hoc-Inszenierung für die Bühne des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg einrichtet.

Der Titel knallt: „Endsieg“ heißt der frische, bissige Text von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, den sie selbst als „Gedicht“ bezeichnet und den das Schauspielhaus nur einen Monat nach der US-Wahl als „schnelle szenische Annäherung“ vorbereitet. Die ursprünglich angesetzte Premiere von Erich Kästners „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ wird auf unbestimmte Zeit verschoben (Karten können am Theater zurückgegeben oder getauscht werden), stattdessen steht die „Erstpräsentation“ des Jelinek-Textkonvoluts auf dem Spielplan. Es ist dringlich. Ein Gespräch mit dem Regisseur und Jelinek-Spezialisten über den Versuch, „dem Schock etwas entgegenzusetzen“.

Warum kommt der neue Text von Elfriede Jelinek als „Szenische Annäherung“ auf die Bühne und nicht als „richtige“ Inszenierung?

Da kam einiges zusammen. Am Schauspielhaus brach eine Premiere weg, es gab plötzlich freie Bühnenprobenzeiten. Am selben Tag stellte sich heraus, dass Elfriede Jelinek einen neuen Text geschrieben hatte. Da rief mich Karin Beier vor knapp zwei Wochen an. Normalerweise hätte ich in so einer kurzen Zeit kein Stück gemacht, aber ich kenne Elfriede Jelinek persönlich, ich mag sie, ich habe hier am Schauspielhaus das Vorgängerstück „Am Königsweg“ gemacht und in München gerade ihr letztes Werk zur Uraufführung gebracht, „Asche“, daher bin ich gerade so ein bisschen drin im Jelinek-Universum.

Regisseur Falk Richter.
Regisseur Falk Richter inszeniert regelmäßig am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. So kurzfristig hat er hier allerdings noch kein Stück auf die Bühne gebracht. © Funke Foto Services | Maurizio Gambarini

Worum geht es diesmal?

Es ist eine Weiterführung vom „Königsweg“, das davon handelte, dass Donald Trump damals tatsächlich an die Macht kam. Jetzt ist er wieder da. Niemand weiß, was das bedeutet, es gibt große Ängste. Vor der Einschränkung der Demokratie, vor Gewalt. Jelinek setzt sich mit diesen Ängsten und Fragen auseinander. Ich hatte Karin Beier nach der Wahlnacht eine SMS geschrieben: „Jetzt können wir eigentlich den ,Königsweg‘ wieder spielen. Leider.“ Und kurz darauf rief sie dann an und erzählte von dem neuen Text und fragte, ob ich Zeit habe. Habe ich nicht, aber wir machen es jetzt (lacht). Wir geben Gas und geben Kraft und versuchen, dass es für die Zuschauerinnen und Zuschauer eine aufregende Auseinandersetzung mit dieser Situation wird. Ich finde das spannend! An der Schaubühne haben wir das früher viel öfter gemacht, dass wir so kurzfristig auf Politisches reagiert haben, um Diskussionsräume zu öffnen.

Donald Trump am Deutschen Schauspielhaus? „Man darf nicht nur in Angst leben!“

„Trump könnte auch ein letztes Aufbäumen einer schlimmen reaktionären Energie sein. Noch haben die progressiven Kräfte nicht verloren.“ Das haben Sie mir 2017 gesagt, kurz bevor Sie am Schauspielhaus „Am Königsweg“ inszeniert haben, schon damals ging es darin um die Gefahr, in der die Demokratie ist. Heute wissen wir: Es war nicht das letzte reaktionäre Aufbäumen – es war der Startschuss.

Ja, da habe ich mich geirrt. Leider.

Nicht als Einziger.

Nein, leider. Elfriede Jelinek spitzt das extrem zu, indem sie das Stück „Endsieg“ nennt, was natürlich gerade in Deutschland und Österreich ein ganz krasses Wort ist. Und tatsächlich macht Trump ja immer so Andeutungen. Seinen Wählern hat er vor dieser Wahl gesagt, sie müssten nur noch einmal zur Wahl gehen, danach nie wieder. Das kann man so deuten, dass er meint: Ab jetzt gibt es keine Wahlen mehr. Oder es gibt keine Gegner mehr. Die neue Rechte ist weltweit auf der Gewinnerstrecke. Die kritischen, progressiven Stimmen haben es wahnsinnig schwer. Auch in Deutschland.

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Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat ihren neuen Text „Endsieg“ genannt. © AFP via Getty Images | JOE KLAMAR

Damals haben Sie auch gesagt: „Wir sollten uns nicht verrückt machen lassen.“

Das denke ich immer noch! Man darf nicht nur in Angst leben. Ich arbeite künstlerisch mehr denn je, ich führe ein Leben, das mir gefällt, ich lasse mich nicht von einer Angst lähmen oder von dem Gedanken daran, dass ich vielleicht irgendwann nicht mehr arbeiten darf oder meine Stimme nicht mehr erheben darf. Das ist ja erst einmal nur eine Drohung der anderen Seite. Formal sind auch die USA ein Rechtsstaat, in dem man sagen darf, was man denkt. Aber alles, was dort angekündigt wird, ist problematisch und widerspricht dem, wofür ich eintrete. Natürlich ist es beunruhigend, dass jemand wie Elon Musk bald bestimmte Aufsichtsbehörden abschaffen kann. Trump und seine Gefolgsleute sind auf Rache aus. Die gehen nicht in die Auseinandersetzung, die wollen ihre Feinde vernichten. Jetzt haben sie die Macht dazu.

Regisseur Falk Richter: „Auch in Deutschland übernehmen politische Parteien populistische Phrasen der AfD“

Auch die Vokabel „Endsieg“ klingt da nicht so optimistisch.

Elfriede Jelinek benutzt gewissermaßen einen Trick. Sie besingt den großen Sieg des Königs. Sie setzt sich sehr stark damit auseinander, dass Trump stark von den Evangelikalen getragen wird. Er wird verehrt wie ein Messias. Seine Anhänger glauben, dass er von Gott gesandt wurde, dass er das Land retten werde. Als Erlöserfigur. Das Attentat spielt eine große Rolle dabei. Für seine Anhänger ist klar, dass Gott persönlich interveniert und ihn gerettet hat. Ich bin in den USA ein Jahr lang zur Schule gegangen und habe später dort auch inszeniert. Die Religiösität, die es dort gibt, die können wir uns hier gar nicht so richtig vorstellen. Das hat Trump enorm ausgebaut, mit Politik vermischt und für sich genutzt.

Auf der Schauspielhaus-Webseite ist die Ankündigung des Stückes garniert mit dem ikonischen Trump-Foto nach dem versuchten Attentat – blutbeschmiert, die Faust erhoben. Jemanden wie Trump auf der Bühne „demontieren“ zu wollen und dabei aber mit der Faszination zu spielen – spielt das seinem Narrativ nicht letztlich in die Karten? Wird Abscheu nicht zum Verstärker?

Ich glaube, die Demokraten haben einen anderen Fehler gemacht. Und ich glaube, diesen Fehler machen auch hier in Deutschland viele. Die Demokraten haben sich nicht wirklich kritisch mit Trump auseinandergesetzt, sie haben eher versucht, in manchen Punkten seine Wähler abzufischen. Auch manche Wahlspots der Demokraten haben plötzlich geschlossene Grenzen gefordert oder waren auch für Waffen und haben die Themen der Trumpisten benutzt. Auch in Deutschland übernehmen einige politische Parteien populistische Phrasen der AfD in der Hoffnung, damit Wähler zu gewinnen. Anstatt sich klar abzugrenzen. Das ist gefährlich.

Regisseur Falk Richter
Regisseur Falk Richter hatte schon Jelineks Vorgängerstück „Am Königsweg“ am Schauspielhaus in Hamburg inszeniert. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Was will also Elfriede Jelinek, was wollen Sie mit „Endsieg“?

Jelineks Stück soll auch eine Warnung sein: Guckt hin! Passt auf! Man merkt das dem Text an, der ist nicht mehr so witzig und schrill wie „Am Königsweg“. Inzwischen hat man begriffen: Das Ganze ist kein Spaß mehr. Das ist eine neue Realität. Zu denken, dass die, wenn sie an der Macht sind, moderater werden, ist ein Fehler. „Die meinen das nicht so“. Doch. Die meinen alles, was sie sagen. Und sie werden das umsetzen. Da bin ich mir auch bei der AfD sicher, egal wie abwegig oder skurril das Vorgeschlagene klingt. Natürlich ist die Auseinandersetzung von Elfriede Jelinek mit Donald Trump eine hochintellektuelle – und sie hat das in „Am Königsweg“ schon beschrieben, dass sie mit ihrer Sprache nicht so viele Menschen erreichen kann wie Trump mit seiner vereinfachten Hauptsätze-Sprache. Wir sind in einem Kulturort und verständigen uns darüber, wie wir die Welt sehen, und ich finde, das Recht haben wir. Ob wir damit die Politik verändern, ist eine andere Frage. Aber es ist zumindest nicht Rückzug und Resignation. Und wenn Elfriede Jelinek in einem Jahr einen neuen Text schreibt, wissen wir viel mehr.

Falk Richter über Donald Trump: „Die Leute, die er ins Kabinett holt, sind extrem radikal“

„Endsieg“ als Prolog zur nächsten Staffel Trump?

Ich habe jedenfalls noch nie erlebt, wie alle nach einer Wahl derart panisch reagieren und keiner weiß, was jetzt passiert. Das kann ja alles sein. Er ist impulsiv, volatil. Die Leute, die er ins Kabinett holt, sind extrem radikal. Das kann gefährlich werden. Über den zurückgedrehten Kampf gegen den Klimawandel darf man gar nicht nachdenken. Es ist heftig.

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Das, was Sie jetzt in Hamburg tun, ist das ein Gegen-die-Schockstarre-Aninszenieren?

Es gibt so viele Destruktionskräfte, damit muss man sich auseinandersetzen, ohne mutlos zu werden. Mit dem Publikum, aber zunächst untereinander, mit den Schauspielerinnen und Schauspielern. Alle am Theater waren begeistert, dass wir das machen. Alle wussten zugleich, dass es eigentlich Wahnsinn ist, das in so kurzer Zeit zu stemmen. Es ist, als würden wir ein neues Format erfinden. Auf der großen Bühne des Hamburger Schauspielhauses innerhalb von zwei Wochen diesen neuen, hochkomplexen Text vorzustellen! Dafür hat man sonst zwei Monate Proben und ein halbes Jahr Vorbereitungszeit. Es ist ein Versuch. Ein Versuch, dem Schock etwas entgegenzusetzen. Das wird keine endgültige Antwort – aber die hat ja im Moment ohnehin keiner.

„Endsieg“ am Deutschen Schauspielhaus, Erstpräsentation am 6.12., 19.30 Uhr, wieder am 8.12., 20 Uhr, sowie am 6.1. und 24.1., jew. 19.30 Uhr, Karten unter www.schauspielhaus.de

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