Hamburg. Carsten Brosda kritisiert Berlins Sparentscheidungen. Ab 2025 sollen Kultur-Sparmaßnahmen beginnen – an der Elbe soll der Etat steigen.

  • Während der Berliner Etat um mehr als elf Prozent gekürzt wird, soll der Etat in Hamburg steigen
  • Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda kritisiert die Berliner Sparpolitik
  • Wie sich der Hamburger Kulturetat laut Brosda mittelfristig entwickeln soll

„Berlin ohne Kultur ist wie Bielefeld mit Big Buildings“, warnte Barrie Kosky, Opernregisseur und Ex-Intendant der Komischen Oper, gerade, aus üblem Grund. Wenn es so hart kommt, wie es Berlins CDU-Kultursenator Joe Chialo plant beziehungsweise nicht verhindert hat, soll die Berliner Kultur, von jetzt auf gleich, ab Januar 2025 130 Millionen Euro einsparen, das sind fast zwölf Prozent des Etats. In einem „FAZ“-Interview nannte Chialo die wütenden Proteste „Erregungstsunami“.

In Hamburg hat die Kulturpolitik ein anderes Vorzeichen als das dicke Minus. Ein Gespräch mit Kultursenator Carsten Brosda über die Lage hier wie dort und die Aussichten an sich. 

Sie müssen sich nicht selber loben, aber in Hamburg soll der Kulturhaushalt um etwa elf Prozent wachsen, in Berlin sollen es mehr als elf Prozent weniger werden. Sind Sie ein verträumter Verschwender oder sind alle anderen nüchterne Realisten?

Carsten Brosda: Ehrlicherweise glaube ich: weder – noch. Die Bürgerschaft wird Mitte Dezember den Haushalt beschließen, und wenn es keine Unfälle mehr gibt, haben wir die Bedarfe der Kultureinrichtungen weitgehend abdecken können. Dass das gelingt, hat auch viel damit zu tun, dass wir Haushalte anders aufstellen. Hamburg plant seit 2011 die Haushalte mittelfristiger und muss daher nicht so ad hoc auf aktuelle Kassenlagen reagieren. So passiert es offensichtlich an anderen Orten, wo es dann zu Vorschlägen kommt, die am Ende gar nicht umsetzbar sein werden.

Hamburgs Kultursenator Brosda über Risiken und Nebenwirkungen von Berlins „Kulturpolitik“

Wie verwaltungsunprofessionell ist es, einer gesamten Kulturlandschaft mit oft mehrjährigen Planungsvorläufen und Verträgen zu sagen, dass sie alle in sechs Wochen unter den gleichen Rasenmäher geworfen werden?

Na ja, es funktioniert halt nicht, und das sagen die Einrichtungen in Berlin gerade sehr deutlich: Dass sie sich nicht vorstellen können, wie in der kurzen Frist wirkliche Einsparergebnisse passieren sollen. Man darf nicht vergessen: Hamburg kannte das auch. Wir hatten Vorgänger von mir, die meinten, man könne mal ein Museum schließen und würde damit etwas einsparen. Das geht aber nicht so schnell, weil öffentliche Einrichtungen mit gutem Recht nicht so funktionieren wie ein Unternehmen, weil sie auch eine öffentliche Daseinsvorsorge im kulturellen Bereich zu erbringen haben.

Die braucht Verlässlichkeit und Planbarkeit. Ich weiß nicht, ob es nur Verwaltungsunprofessionalität ist oder vielleicht einfach Unkenntnis der Gegebenheiten in Kultureinrichtungen. Ich kann ja nicht durch schieres Wollen mehr Geld erzeugen. Auch unter Barbara Kisseler mussten Konsolidierungsbeiträge erbracht werden. Die wurden aber im Gespräch mit den Einrichtungen vorbereitet. Das muss man besprechen, Spielräume abstimmen, muss schauen, was geht – und nicht einfach einseitig dekretieren: So soll es sein.

Demonstration gegen Kürzungen im Kulturbereich
Kultursenator Joe Chialo (l., CDU) und der Schauspieler Lars Eidinger, für die Gegenseite prominent aktiv, bei einer „#BerlinIstKultur“-Demonstration gegen die geplanten Kürzungen im Kulturbereich vor dem Brandenburger Tor. © picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Klar ist, dass gespart werden muss. Aber was sagt das Vorgehen in Berlin für den Umgang mit dem Thema Kultur und über das Verständnis von Kultur? Erst recht nach Corona und in einer Situation, in der links und rechts an den politischen Rändern steile Zuwächse passieren?

Das ist die eigentliche Gefahr. Und das betrifft nicht nur Berlin, sondern viele Orte im Land, an denen wir kulturelle Infrastruktur gefährdet sehen. Es gibt aber auch positive Beispiele: Thüringen hat noch unter der alten Regierung die Theaterfinanzierungsverträge bis 2029 geklärt, um sicherzugehen, dass Dinge nicht in die politische Aushandlung kommen. Es gibt sehr wohl einen konzertierten Angriff aus dem rechten und rechtspopulistischen Lager auf Kulturinstitutionen, bei denen es gar nicht unbedingt ums Kaputtsparen geht.

Da kommt oft eher: Natürlich sichern wir euch die Finanzierung, aber dann reden wir auch bitte darüber, was gespielt wird. Und dann geht es um die vermeintliche Stärkung des regionalen Heimatgefühls und Stärkung der kulturellen Identität. Angesichts dessen und wenn wir zugleich ernst nehmen, was wir während Corona  zur Bedeutung von Kultur für diese Gesellschaft gesagt haben, dürfen die demokratischen Parteien Sparentscheidungen nicht so wurschtig treffen, wie es momentan der Fall ist. 

 Bei einer Fachtagung im Resonanzraum haben Sie im Oktober gesagt: „In Hamburg sind wir letztlich auf einer Insel der Seligen, weil wir hier noch einen Kulturhaushalt haben, der im nächsten Jahr im zweistelligen Prozentbereich steigen wird.“ Wie groß und wie gefettet ist dieses „noch“?

Wir sind alle dazu gehalten, daran zu arbeiten, dass das so bleibt. Die Mittelfristplanung sieht vor, dass es weiter Aufwüchse gibt, sodass wir da derzeit in einer stabilen Situation sind. Vorhersagen über die Zukunft im politischen Raum haben sich als zunehmend kompliziert erwiesen. Es sind so manche Dinge in den letzten Wochen und Monaten passiert, die ich eine Woche vorher nicht für möglich gehalten hätte. Insofern kann ich keine endgültige Gewissheit geben. Aber ich sehe eine hohe Bereitschaft in allen entscheidungsrelevanten Bereichen des politischen Lebens, sich auch um Kunst und Kultur zu kümmern. Insofern war das „noch“ eher aus Redlichkeit denn aus Sorge gesprochen.

Wird bis zur Haushaltsverabschiedung am 16. Dezember noch etwas dazukommen für das größer als erwartete Finanzloch beim Hafenmuseum, bei dem es angeblich eine dreistellige Lücke von mehr als 100 Millionen Euro geben soll?

Wir sind in guten Gesprächen mit den Regierungsfraktionen und haben uns vorgenommen, das Problem zu lösen. Ich gehe davon aus, dass wir das auch hinbekommen. Tatsächlich werden die ursprünglich vom Bund kalkulierten Summen nach so vielen Jahren nicht ausreichen. Aber die Zahlen, die jetzt kolportiert werden, sind Mond-Zahlen. Ich gehe eher von einem zweistelligen Mehrbedarf aus.

Kultursenator Brosda: „Wir wissen noch nicht, ob der Staatsopern-Neubau zustande kommt“

Transparent an der Berliner Philharmonie Transparent an der Berliner Philharmonie, 26.10.2024, Tiergarten, Herbert-von-K
Ein Protest-Transparent an der Berliner Philharmonie. Die Berliner Philharmoniker sollen ab Januar 2025 zwei Millionen Euro weniger aus dem Berliner Haushalt bekommen. © imago/Steinach | IMAGO/Sascha Steinach

Sie sind nicht nur Kultursenator in Hamburg, sondern auch bundesweit Bühnenverein-Vorsitzender. Was können Sie in dieser Funktion für die Existenzbedrohten in Berlin tun?

Der Bühnenverein hat kein Durchgriffsrecht. Wir diskutieren sehr intensiv. Die öffentliche Wahrnehmung fokussiert sich jetzt so auf Berlin, aber wir sehen an vielen Stellen, dass es in Kommunen schwierig wird. Wir arbeiten an einer Gesprächskultur, mit der man auch schwierige Haushaltslagen gemeinsam hinbekommt. Auch damit nicht, sobald das Geld knapp wird, alle anfangen, gegeneinander zu arbeiten. Davon hat ja auch keiner etwas.

Der Komischen Oper in Berlin droht ein Sanierungsstopp, um zehn Millionen Euro pro Jahr zu sparen; das Haus hat vorgerechnet, dass man durch diese Verzögerung und die Baukostensteigerungen am Ende 250 Millionen Euro mehr auf der Uhr hätte. In Hamburg wird überlegt, demnächst etwas an der Elbe zu bauen, was wie ein Opernhaus aussehen könnte. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?

Hamburg hat so seine Erfahrungen mit Entscheidungen rund um Bauprojekte, die zu Kostensteigerungen geführt haben. Die Sanierung der Komischen Oper kann ich in der Sache nicht bewerten. Der Unterschied zu hier ist, dass wir seit geraumer Zeit mit einem potenziellen Mäzen darüber reden, ob es ein Konstrukt gibt, in dem uns ein Opernhaus geschenkt wird. Das ist eine Situation, die auch in Berlin niemand stoppen würde. Da gibt es halt nur niemanden, der dieses Angebot gemacht hat. Und wir wissen ja auch noch nicht, ob es zustande kommt. Ich lese die immer gleichen Verhandlungsstände in neuer Aufmachung als Nachrichten. Aber es gibt gar keine Nachrichten. Wir reden weiter miteinander und schauen, ob es klappt.

Einige andere Sparzwang-Krisenherde aus Berlin: Schaubühnen-Chef Ostermeier sagt, Ende 2025 drohe die Insolvenz. Der Intendant des Berliner Ensembles kündet für die nächsten zwei Jahre mindestens fünf Inszenierungen weniger an. Das GRIPS Theater soll mehr als seinen gesamten Produktionsetat einsparen. Das Konzerthaus, an das Tobias Rempe vom Hamburger Ensemble Resonanz wechselt: 1,8 Millionen Euro weniger. Andrea Zietzschmann, Intendantin der Berliner Philharmoniker und davor beim NDR-Orchester in Hamburg, sagte, sie habe von ihrem Zwei-Millionen-Minus aus der Presse erfahren. Das alles wirkt total unprofessionell. Von Hamburg lernen heißt also Kulturpolitik planen lernen?

Man hat sich dort wahrscheinlich sehr lange der Illusion hingegeben, das alles werde schon gut gehen können. Ich habe hier vor einem Jahr auch deutlich zurückhaltend über die Finanzaussichten der hiesigen Häuser gesprochen, weil nicht ganz klar war, wie sich die Haushalte entwickeln. Wir haben intern erste Überlegungen angestellt: Wenn wir mit geringeren Mitteln ausgestattet werden, wie können wir das hinbekommen, ohne dass ad hoc Unsinn passieren muss? Es wirkt von außen betrachtet so, als hätten genau diese Gespräche in dieser Intensität in den Berliner Aufsichtsgremien nicht stattgefunden. Ich kann nur allen dazu raten, die kulturpolitische Verantwortung anzunehmen: Geht man davon aus, dass das Geld weniger wird, darf man die Einrichtungen mit der Frage, was wegfällt, nicht allein lassen.

Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda: „Mich hinterlässt das fassungslos“

Teilen Sie die Meinung von Schaubühnen-Intendant Herrn Ostermeier, der glaubt, dass der Politik-Neuling Chialo von erfahreneren Haushaltern „hinter die Fichte geführt“, also über den Tisch gezogen wurde?

Das kann ich mir so nicht vorstellen. Es ist ja auch nicht ein Senator allein, der in Beratungen sitzt und von allen anderen umzingelt wird. Man hat Menschen aus der Behörde an seiner Seite. Das ist innerhalb des Berliner Senats vermutlich eine Prioritätenentscheidung, und ich gehe davon aus, dass es politisch in Kauf genommen wurde. Dafür trägt die gesamte Berliner Politik die Verantwortung. Mich hinterlässt das fassungslos, das so zu machen.

Also sagen Sie sich jetzt: Super, Wahlkampf, schöner als der CDU-Kultursenator Chialo kann man es nicht versemmeln?

Nein, das hat mit Wahlkampf nichts zu tun. Wir arbeiten auf Bundesländerebene sehr kollegial zusammen. Es ist jetzt aber natürlich nicht so, dass der Berliner Kultursenator den Hamburger anruft und fragt: „Ich habe eine schwierige Haushaltslage, hast du eine Idee, was ich tun kann?“ Man kann in Situationen kommen, in denen man politisch zu Dingen genötigt wird, die man selbst falsch findet, aber trotzdem verantworten muss. Von außen betrachtet sieht es mir gerade danach aus. Aber das ist noch mal eine Mutmaßung.

Mehr Hamburg-Kultur

Etwa 50 Prozent des Berlin-Tourismus sollen auf die Kultur als Grund zurückgehen. Die Hotelbuchungen sollen jetzt schon zurückgehen, nur weil das Pergamon-Museum geschlossen ist. Pardon my French, aber wie dumm kann man sein, als Berliner Senat und als Kulturverwaltung, sich diesen Einnahme-Ast selber abzusägen?

 Aus Hamburg wissen wir, dass Kulturangebote tatsächlich Haupttreiber für Städtetourismus sind. Unterm Strich ist es also wahrscheinlich noch nicht einmal eine ökonomisch kluge Entscheidung, wenn man da spart. Das Problem ist aber, dass Sie nach der Logik von Haushaltsaufstellungen vorerst nur Kosten haben, die Sie nicht bedienen können. Einnahmen aus dem Tourismus, die ein Jahr später im Steuersäckel landen, kriegen Sie in der Haushaltsplanung nicht abgebildet. Objektiv haben Sie dieses Geld jetzt nicht.

„Fantasiearmut ist das Letzte, was wir momentan gebrauchen können“

Eine einfache Ja-Nein-Vielleicht-Frage: Bundestags-Wahl nächstes Frühjahr, Große Koalition mit der SPD als Juniorpartner und Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen übergibt ihren Posten an Carsten Brosda von der SPD?

Merz wird ja nicht Kanzler, aber damit ich Ihre hypothetische Frage dennoch beantworte: Ich glaube nicht, dass jemand die Idee unterschiedlicher Parteizugehörigkeiten im Kanzleramt zwischen dem Kanzler und dem Kulturstaatsminister oder der Kulturstaatsministerin nach den letzten drei Jahren noch einmal für eine gute Idee hält …

… Das tendiert zum Nein?

… Mal ganz abgesehen davon, dass wir eine Woche nach der Bundestagswahl eine schöne Hamburger Wahl haben und ich mich als Kultursenator gerade recht wohl fühle.

Der Berliner Finanzsenator Stefan Evers hat gerade in einem Interview gesagt: „Es gibt keinen Kahlschlag in der Kultur.“ Dazu fällt mir nichts mehr ein. Ihnen? 

 Nein. Neulich habe ich in einem Leitartikel einer großen deutschen Tageszeitung eine nachgerade hämische Freude darüber wahrgenommen, dass es endlich der staatssubventionierten Kultur an den Kragen gehe. Man macht sich teilweise keine Vorstellung davon, in welchem Maße das kulturelle Angebot in unserem Land davon abhängig ist, dass der Staat – und damit eigentlich unsere Gesellschaft – in die Verantwortung dafür geht. Wir haben da einen Reichtum, der weltweit einzigartig ist. Das setzt aber voraus, dass eine Gesellschaft entscheidet: Wir wollen das. Und wenn Politikerinnen und Politiker wie der Berliner Finanzsenator in dem, was dort passiert, kein Problem für die Kulturfinanzierung sehen, kann ich daraus nur interpretieren, dass sie diese kulturelle Infrastruktur offensichtlich nicht wollen. Wenn sie die nicht wollen, müssen sie sich aber auch nicht wundern, wenn sie diese Gesellschaft nicht nur kulturell ärmer machen, sondern auch ärmer in ihrer Fähigkeit, in Offenheit, Freiheit und Vielfalt Zukunft denken und verändern zu können. Eine Gesellschaft mit weniger kulturellem Angebot ist in der Regel fantasieärmer. Und diese Fantasiearmut ist, glaube ich, das Letzte, was wir momentan gut gebrauchen könnten, in einer Gegenwart, die mir schon verdammt arm an Fantasie vorkommt.

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