Hamburg. Mal voll daneben, mal mitten ins Herz: Der Berliner Liedermacher zieht bei seinem umjubelten Auftritt in der Laeiszhalle alle Register.
„Sie sind das beste Publikum, das wir heute auftreiben konnten“, sagt Klaus Hoffmann gleich am Beginn seines Konzerts am Montagabend in der Laeiszhalle. „Manche sind aus Berlin gekommen, manche aus Uelzen, wie sich das gehört. Manche sind jünger, aber bei manchen frage ich mich, ob sie die zweite Konzerthälfte noch erleben.“
Ja, bitte recht freundlich, Herr Hoffmann! Aber so ist sie nun mal, die Berliner Schnauze. Im Fall des Liedermachers von der Spree ist sie aber selten pampig. Vulgär, ja. Aber auch feingeistig. Berührend und zärtlich. Dann wieder dreist und voll daneben. Bei Klaus Hoffmann, mittlerweile 73 Jahre alt, kommt so unglaublich viel zusammen. Der Hintergrund des kleinbürgerlichen Milieus im West-Berlin der 50er- und 60er-Jahre, jener der Kneipen-Kleinkunst bei einem Glas Mampe Halb & Halb. Das Aus- und Aufbrechen auf den Hippie-Trail nach Afghanistan. Großes Theater an der Berliner Freien Volksbühne und am Hamburger Thalia Theater in den 70ern. Der Liedermacher mit 50 Alben (2023 erschien „Flügel“) und kaum weniger Tourneen.
Klaus Hoffmann in Hamburg: „Da hätte ich auch gleich zu Hause bleiben können.“
Was für ein Prachtexemplar, das da bei den ersten Songs „Neuer Morgen“ und „Kinder“ durch die ersten Reihen läuft und einen Aussetzer gleich zum Witz macht: „Jetzt habe ich einen Texthänger, da hätte ich auch gleich zu Hause bleiben können.“ Unmittelbar davor blickte er noch in die Abgründe des aktuellen Weltgeschehens: „Kinder sind die Leidtragenden, ob in Palästina oder Israel.“ Noch ein Bruch, zurück in die eigene Kindheit, zum „Markttag“.
So etwas wie Hoffmann wird heute nicht mehr gebaut. Diese Generation der Sänger, mit Hoffmanns Freund und Trauzeugen Reinhard Mey, mit Hannes Wader („Kennen Sie den noch?“) oder Konstantin Wecker hat heute mehr hinter als vor sich. Bei den Jungen sind jetzt Ski Aggu oder Apache 207 die Stimmen einer Generation, höchstens Danger Dan könnte man als eine Art Erben im Geiste sehen.
Konzert in der Laeiszhalle: Hoffmanns Band spielt beinahe perfekt seriös
„Weil du nicht bist wie die andern“ ist also eine Art Selbstbeschreibung Hoffmanns und bekommt den ersten großen Applaus der rund 1000 Fans im Großen Saal. Verdient ist der sehr an diesem Hamburger Montag, an dem Hoffmann „Berliner Sonntag“ singt. Seine Band mit Michael Brandt (Gitarre), Hawo Bleich (Flügel und Keyboard), Peter Keiser (Bass) und Walter Keiser (Schlagzeug) spielt beinahe perfekt seriös, erträgt stoisch ewiges Nachstimmen von Hoffmanns Gitarre und unterlegt auch seine Erzählungen mit sanften, geduldigen Akkorden.
„Über unserem Sofa hing ein Bild mit einem Hirsch … oder Hirschin … man muss ja jetzt aufpassen mit dem Gender-Scheiß“, mault Hoffmann, um direkt wieder die andere Perspektive einzunehmen: „Scheiße darf man sagen, aber nicht Gender.“ Mit seinen Sprüchen, von Kalauern bis zu Weisheiten, zielt er immer auch auf sich, stellt sich bloß, entblättert sich geradezu: „Ich hatte mit 24 eine Nacktrolle, meine Hoden glänzten wie leuchtende Birnen.“ Ja danke, Herr Hoffmann, wirklich gut zu wissen!
Klaus Hoffmann in Hamburg: „Ich steht auf Scholz im April ... Merz“
Harald Juhnke oder Bob Dylan? Ingo Insterburg oder Bruce Springsteen? Jacques Brel oder Léo Ferrét? Gardinenkneipe oder Audimax? Gosse oder Goethe? Hoffmann, dieses einstige Theater- und Filmtalent („Die neuen Leiden des jungen W.“), erweist sich in seinem mit Pause fast drei Stunden langen „Flügel“-Programm wie vor zwei Jahren in der Laeiszhalle wieder als herrlich sprunghaft bei seinen Inspirationen und Themen, auch wenn man die Lieder der beiden Konzerthälften grob in Nachkriegszeit sowie Liebe und Leben trennen kann.
Nur direkt politisch wird er selten, aber in einigen Songs wie „Melancholia“, das dem Traum des Friedens zwischen Völkern und Religionen nachtrauert, oder dem neuen „Bin nicht Meer, bin nicht Strand“ über den Ukraine-Krieg und mit Spitzen gegen Donald Trump oder Sahra Wagenknecht deutet er seine Haltung an. Einen Satz wie „Ich steht auf Scholz im April ... Merz“ lässt er aber wohl eher als Wortspiel zur Unterhaltung fallen.
Klaus Hoffmann in der Laeiszhalle: Großer Jubel für „Kein Held“
Der Saal ist voll und ganz dabei. Reaktion und Gegenreaktion durch Zwischenrufe, Applaus, Mitklatschen, Mitsingen. Das Publikum jubelt frenetisch, als Hoffmann „Kein Held“ und „In meinem Kiez“ singt. Er ist hier in der Laeiszhalle kein Held, auch kein Künstler, sondern ganz Mensch mit Fehlern, Irrtümern, aber viel Herz. In der Welt der perfekt durchchoreografierten Konzert-Events ist sein Auftritt so live, wie live nur sein kann.
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Der Abend wird lang, und Klaus Hoffmann und Band machen für die Zugaben noch mal die Putzlicht-Musik aus. Besonders „Heut Nacht“ und „Derselbe Mond über Berlin“ sind versöhnlich zärtlich und werden vom Publikum geradezu sehnsuchtsvoll mitgeraunt. Da sind sie ganz Hamburger, auch die aus Uelzen, wohl wissend, dass vor den Türen der Laeiszhalle kein Mond scheint, sondern nur die Frontlichter der im Nieselregen wartenden Taxis.
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