Hamburg. Beim Festval „Viva Napoli“ singt Vinicio Capossela sehnsuchtsvolle und melancholische Lieder mit überaus berührendem Schmelz.
Unter den mediterranen Sehnsuchtsorten nimmt Neapel eine eher schroffe Position ein. Die verwunschenen Seiten der Hafenstadt zu entdecken, ist gar nicht so leicht, denn Neapel ist, so sagen es die Bewohner, „wie eine Lasagne“. Sie enthält viele Schichten, durch die man sich durcharbeiten muss. Wer sich hinwegträumen möchte in diese eigenwillige, hügelige Hafenstadt, Ausgangsort für Reisen nach Capri ebenso wie an die magische Amalfi-Küste, ist beim Festival „Viva Napoli“ in der Elbphilharmonie richtig.
Elbphilharmonie: Vinicio Capossela mit verführerischer Schmirgelpapierstimme
Einen musikalischen Gruß gewissermaßen von Hafenstadt zu Hafenstadt sendet am Freitagabend im ausverkauften Großen Saal der italienische Musiker und Sänger Vinicio Capossela. In seinem Programm „Parthenope und andere Sirenen. Von Hafen zu Hafen“ vereint er gemeinsam mit seiner sechsköpfigen Band eine vielschichtige Mischung aus Liedern und Kompositionen von Barock bis Folk. Capossela eilt ein Ruf als „italienischer Tom Waits“ voraus, und tatsächlich verfügt er über eine ausgesprochen verführerische Schmirgelpapierstimme.
Mit der nuschelt er meist unverständliche Ansagen und erzählt kleine Geschichten, singt aber sehnsuchtsvolle und melancholische Lieder mit überaus berührendem Schmelz. Außerdem ist er ein geborener Entertainer, wechselt exzentrische Kopfbedeckungen, umrundet in zu kurzen schwarzen Hosen und roten Schuhen die Bühne. Sein ganzer Auftritt hat etwas von einem Troubadour, Gaukler und Bänkelsänger.
Capossela und seine Band graben mit ihren Liedern tief in den Schichten von Neapel
Die Sirenen haben es dem Musiker angetan. Unter ihnen vor allem eine: Parthenope. Sie wird in Neapel als Göttin verehrt. Gemeinsam mit ihren Nymphen-Schwestern hat sie mit ihrem Sirenen-Gesang Schiffe vom Kurs abgebracht und zum Kentern gebracht. Bis sie eines Tages an Odysseus scheiterte, der seiner Mannschaft auf dem Heimweg von Troja die Ohren mit Wachs verschloss und sich selbst an einen Mast binden ließ. Das war das Ende der Parthenope, deren lebloser Körper an dem Ufer angespült wurde, wo die Stadt Parthenope gegründet wurde, direkt neben dem heutigen Neapel.
Capossela und seine Band graben nun mit ihren Liedern tief in den Schichten der hügeligen Stadt und wenden ihren Blick aber auch in die ganze Welt. Mal huldigt Capossela in „Aedo“ der Figur des Sängers, mal dem antiken Seher Teiresias in „Dimmi Tiresia“. Vom Meeresgrund geht es hoch in den Norden nach „Hamburgo“ und dann bei einem etwas bizarren Auftritt mit umgehängtem Skelett bis in die Karibik zum beschwingten „Voodoo Mambo“. Der Totenkult spielt auch in Neapel mit seinen weit verzweigten unterirdischen Katakomben eine wichtige Rolle.
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Elbphilharmonie: Neapel präsentiert sich höchst lebendig
Manchmal wird Vinicio Capossela sehr volkstümlich, etwa beim „Sciusten Feste N. 1965“ („Schützenfest 1965“), das er seiner nordischen Heimatstadt widmet – tatsächlich ist er in Hannover geboren, verließ es jedoch kurz nach seiner Geburt mit seiner Familie Richtung Emilia-Romagna. Das Lied zählt jedoch eindeutig zu den schwächeren Momenten des Abends, wie auch der bizarre Auftritt einer „Meerjungfrau“.
Gelungen ist dagegen der Beitrag des Gast-Ensembles Suonno d‘Ajere um die italienische Sängerin Irene Scarpato. Das Trio hat sich auf neue Interpretationen alter Lieder seiner Heimatstadt Neapel spezialisiert. Und wie heißt es in einem geflügelten Wort: „Neapel sehen und und sterben“. An diesem Abend präsentiert sich die Stadt auf jeden Fall höchst lebendig.
Festival Viva Napoli bis 24.11., Laeiszhalle & Elbphilharmonie, Karten unter www.elbphilharmonie.de