Hamburg. Der Trend-Rapper kam für „Die letzte Tour“ und lieferte mit einer Show zwischen Hedonismus, Drogenverherrlichung und „Party Sahne“ ab.
Attacke auf den Kiosk „U-Store“ an der U-Bahn-Station Lattenkamp: Zertifizierte „Atzen“ (sportliche Klamotten, schnelle Brillen und kernige Aura) stürmen den unschuldigen Laden. Die Regale – gerade noch sorgfältig gefüllt mit Bier, Jim-Beam-Cola-Dosen und Wein – werden rücksichtslos leergesaugt. „Holen wir uns jetzt noch ’ne Pommes?“, fragt einer von ihnen seine Freunde. Die Antwort kommt prompt: „Nein, man. Wir müssen zu Ski Aggu, Jungeeee!“
Wer bis heute noch nichts von dem Phänomen Ski Aggu gehört hat, der möge sich an dieser Stelle schämen. Oder, naja, vielleicht beglückwünschen: Ski Aggu, das ist der Keck mit dem Vokuhila und der Skibrille, der derzeit jegliche Auszeichnungen für seine genreübergreifende Musik abräumt. Auf dem Reeperbahnfestival, auf TikTok, bei Stefan Raab und schon bald bei „Das Duell um die Welt“ mit Joko und Klaas: So weit das popkulturelle Auge reicht, Ski Aggu ist da. So auch am Sonnabend in der Sporthalle in Hamburg.
Ski Aggu in Hamburg: Die ersten Raps stammen aus dem Kinderzimmer
Das Konzert ist ausverkauft, 7000 Menschen wollen „Die letzte Tour“ nicht verpassen. (Spoiler: Seine diesjährige Tour wird natürlich nicht die letzte Möglichkeit gewesen sein, mit Ski Aggu steil zu gehen.) Es ist 19.52 Uhr, der Musiker Ritter Lean betritt die Bühne. Wiederholungstäter wissen: Der war schon letztes Jahr im Uebel & Gefährlich Support-Act von Ski Aggu. Und das ist kein Zufall. Die beiden Berliner kennen sich seit vielen Jahren, ihre ersten Texte haben sie gemeinsam im Kinderzimmer gerappt.
Musikalisch bleibt vom offenkundigen Ritalin-Fan nicht viel hängen: simple Texte über Drogen und Sex auf austauschbaren Beats. Und dennoch, das muss man ihm anrechnen: Er schafft es, dass schon nach neun Minuten „F*ck die AfD“-Rufe durch die Menge ziehen. Es wird nicht das letzte Mal an diesem Abend gewesen sein.
Ski Aggu taucht auf einem Plastikboot in der Menge auf
Bevor der König der Gen Z die Bühne betritt, ermahnt er seine Fans via Audioaufnahme, den Großteil der Show doch bitte durch die eigenen Augen zu erleben – und nicht mit dem Handy zu filmen. Ein Rat, der notwendig scheint. Endlich fällt der Vorhang, fordernde „Ski Aggu“-Schreie gehen durchs Publikum, und plötzlich erscheint der Trend-Rapper in einem rot-weißen Rennfahreranzug und natürlich mit Skibrille auf einem Plastikboot in der Menge und gleitet zur Bühne.
Mit dem Song „Wilmersdorfs Kind“ aus dem gleichnamigen Album, das Ende August erschien, eröffnet er die Show. In dem Lied geht es um seine Jugend und seine Verbundenheit zu dem Berliner Stadtteil. Der Text ist aber eigentlich Nebensache: Der Beat muss schallern! Zu einer Mischung aus trashigem EDM und bescheuertem Ballermann-Sound wird ordentlich ausgerastet.
Sporthalle Hamburg: „Wer geht ernsthaft auf ein Ski-Aggu-Konzert?“
„Wer geht ernsthaft auf ein Ski-Aggu-Konzert?“, das fragen sich wohl nicht nur besorgte Eltern und einige Musikkritiker, sondern auch Ski Aggu selbst in seinem Song „Auf Ernst“. Die Antwort ist offensichtlich: ziemlich viele. Die Crowd ist überraschend gemischt und augenscheinlich nicht so atzig wie erwartet. Um es in Hamburger Stadtteil-Klischees auszudrücken: sehr viel weniger St. Pauli als gedacht, dafür ein überraschend großer Eppendorf-Anteil.
Was jedoch nicht nur überrascht, sondern gar erschreckt, ist die Altersspanne auf dem Konzert: Wenn in den harmlosen (ja fast langweiligen) Moshpits plötzlich ein Junge auftaucht, der schätzungsweise noch nicht mal das 13. Lebensjahr erreicht hat, stockt schon erst mal der Atem. In Ski Aggus hedonistischen Texten wird Drogenverherrlichung gelebt. So heißt es im Refrain des Songs „Deutschland“ zum Beispiel: „Deutschland säuft krank, Westen oder Osten. Alle Atzen natzen, alle F*tzen rotzen.“
Ski Aggu singt in Hamburg mit Musiker Zartmann „Wie du manchmal fehlst“
Provokante Punchlines, in denen es um exzessive Partys und Mischkonsum geht: Ok, kann man machen – aber diese Zeilen mitzusingen während Kinder neben einem stehen, das ist dann doch ein komisches Gefühl. Zumal gezwungenermaßen auch viele Eltern vor Ort sind. Fröhliches Familienfest „auf Nase“ also? Lieber nicht.
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Doch wer auf TikTok viral geht – und darauf sind die oft nur zwei Minuten langen Songs von Ski Aggu ausgelegt –, der hat eben zum Teil auch sehr junge Fans. Zur Erholung gibt es an dem Abend auch ein paar ruhigere Songs: zum Beispiel „Wie du manchmal fehlst“, den Ski Aggu gemeinsam mit Zartmann performt, während sie sich in den Armen liegen. Der Song hat auf Spotify über 40 Millionen Aufrufe.
Natürlich dürfen auf dem Konzert auch die Songs nicht fehlen, die August Jean Diedrich aka Ski Aggu berühmt gemacht haben, wie „Party Sahne“ und „Friesenjung“. Nach nicht mal zwei Stunden verabschiedet sich der 26-Jährige. Aber keine Sorge: Schon im nächsten Jahr kann man ihn wieder sehen, dann sogar unter freiem Himmel auf der Trabrennbahn. Das wird „Balla Balla“, das wird „Zornig“. Wenn der Trend nicht bis dahin schon „Bye X3“ gesagt hat.