Hamburg. Der Berliner Chansonnier Klaus Hoffmann über sein Album „Septemberherz“, Unerfülltheit und das dauerhafte Tragen einer Maske.

Sofa, Hausschuhe, Lesebrille: Klaus Hoffmann hat es sich auf dem Cover seinen neuen Albums „Septemberherz“ offensichtlich gemütlich gemacht. Dabei hält den Berliner Chansonnier natürlich wenig zu Hause, auch in Coronazeiten. In Hamburg ist er gern, hier liegen alte Wirkungsstätten wie das Thalia Theater und neue wie die Elbphilharmonie, wo am 16. März ein Konzert geplant ist. Aber die Zukunft ist ungewiss, was auch Hoffmann beim Gespräch im Hamburger Büro der Karsten Jahnke Konzertdirektion betrübt. Aber am Ende wird bei ihm alles ein Lied.

Herr Hoffmann, bei vielen Ihrer Alben liest man in Rezensionen: „Klaus Hoffmann ist jetzt bei sich selber angekommen.“ Also entweder sind Sie schon immer bei sich angekommen – oder noch nie. Was ist richtig?

Klaus Hoffmann Sehr interessant! Meistens ist das ja ein Sprung in die Lüge, um journalistisches Futter für die Fische zu haben. Aber heute stimmt das sogar, wo wir uns hier treffen. Hamburg war meine Anfangsstadt. Und schon hier gab es für mich, egal ob als Musiker oder Schauspieler, nur ein Ziel: Ich will das werden, was ich bin. Aber auf diesem Weg bin ich sehr oft an mir vorbeigeschlittert. Man trägt ja nicht nur Maske, wenn man eine Maske trägt.

Aber Sie wollten das doch so, oder wurden Sie von außen dazu gezwungen?

Hoffmann Ich könnte jetzt kokettieren und sagen, ich bin immer nur mir gefolgt. Das stimmt aber nur bedingt.

Was Ihnen als Grundthema über Ihre ganze Karriere hinweg und in Ihren neuen Liedern folgt, ist Sehnsucht. Ist das auch ein Zeichen für Unerfülltheit?

Hoffmann Bestimmt. Oder von der Angst, etwas verpasst zu haben. Ich zeige das ja auch auf der Bühne, in Sketchen. Meistens bediene ich mich an Jacques Brel, wenn es um Liebe oder Sexualität geht. Da kann ich besser über ihn reden als über mich. Ich war in meiner Jugend sehr zurückhaltend und schüchtern, ideale Voraussetzungen um ein Riesensänger zu werden, und musste lernen, das was ich mache gut zu finden. Aber das bestimme ich ja nicht allein, da wird einem hereingeredet, man konzentriert sich auf das, was Erfolg hat. Aber ob das erfüllend war? So eine Bilanz kann ich auch mit fast 70 Jahren noch nicht ziehen.

"Ich singe, um die Angst zu überwinden"

Haben Sie große Sehnsucht nach Ihrem Publikum?

Hoffmann Ich bin da viele Jahre lang sehr verwöhnt gewesen und habe jetzt zuletzt vor 100 Leuten gespielt, das ist schon harter Tobak: Auf der einen Seite vermisse ich das Publikum sehr, auf der anderen Seite soll es mir in diesen Zeiten nicht zu nahe kommen. Ein merkwürdiger Widerspruch. Und ich war am Beginn eines Abends so nervös wie ein Anfänger.

Im Lied „Ich würde es wieder tun“ erzählen sie von der Angst drei Minuten vor dem Auftritt, die geradezu zum Kotzen ist. Das ist immer noch so?

Hoffmann Ich singe, um die Angst zu überwinden, das klappt jetzt schon sehr gut. Früher dauerte es bis zur Pause, ehe ich locker war. Ganz am Anfang dauerte es sogar bis Konzertende.

Wir stehen vor einem einsamen langen Winter der Einkehr. „Septemberherz“ ist als reflektierendes und nachdenkliches Album wie gemacht für diese Zeiten. Sind die Lieder während der Pandemie entstanden?

Hoffmann Verrückterweise sind sie bereits vor anderthalb Jahren entstanden. In Griechenland. Aber aufgenommen haben wir sie in den letzten Monaten, und das spiegelt sich dann auch wider. Es hat mich sehr bewegt, in der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit zu singen.

"Auf den ersten Platten war ich viel lauter als heute"

Mit wenigen Ausnahmen wie „Stein auf Stein“ haben Sie sich in Liedern und Interviews vor politischen Inhalten gehütet. „Politische Lieder sind peinlich“ ist ein Zitat von Ihnen. Jetzt lassen Sie es in „Basta“ ordentlich krachen: „Er ist wieder da, der alte Quälgeist“, „Der Hass ist wieder da“ und „Mein Bruder Joshua trägt die Kippa nur noch heimlich, an seiner Tür lädt auch kein Name ein“ singen Sie, begleitet von kernigem Bluesrock. Wie kam es zu diesem Lied?

Hoffmann Das war eine Verpflichtung, inspiriert vom französischen Anarchisten Léo Ferrét, seinem Album „Et … Basta!“ und The Moody Blues. Mit dem Arbeitstext bin ich dann zu meiner Band gegangen und die ist aufgesprungen und hat gesagt: „Das wird jetzt einfach gemacht.“ Finden Sie, dass es altmodisch klingt?

Ich halte es da mit der Entgegnung Ihres Idols Bob Dylan 1966 in Manchester, als jemand „Judas“ rief, weil er elektrische Gitarre spielte: „Play it fucking loud“. Laut ist nie altmodisch.

Hoffmann Vielen Dank, das ehrt uns sehr. Nicht nur Brel und Dylan, auch Van Morrison, Bruce Springsteen und David Bowie sind Künstler, die es schaffe, etwas in mir aufzubrechen, was ich nicht erklären kann. Da gab es auch Irrtümer. Auf den ersten Platten war ich ja viel lauter als heute, pressen, pressen. Joan Baez hat mir mal geraten, einfach leiser zu singen.

Lieder müssen ja nicht laut sein, und können trotzdem deutlich werden. So wie „Was sie trugen“. Das kann auf vielerlei Art in Hinsicht auf Verlust von Heimat gehört werden. Es lässt sich auf das geteilte Berlin ebenso übertragen wie auf das heutige Afghanistan oder Syrien.

Hoffmann Ich habe einige Lieder noch nicht geschrieben, die die Geschichte weiter erzählen, und die sehr böse werden könnten. Ich verstehe einige Freunde von mir, die es immer ins Ausland zieht, weil sie sich unter Fremden wohler fühlen als unter den eigenen Leuten.