Hamburg. Außer Stammgästen wie Tim Fischer und Stefan Gwildis sang zum Saisonstart im St. Pauli Theater ein Filmschurke. Er kommt demnächst wieder.
Herbst in Hamburg, es ist kühl geworden. Zeit, dass auch die sogenannte Schmuckschatulle des hanseatischen Bühnenbetriebs wieder ihr Publikum programmatisch erwärmt. Ulrich Waller, der künstlerische Leiter des St. Pauli Theaters, schwankte bei der Spielzeiteröffnungsgala ob der jüngsten Landtagswahlergebnisse „zwischen Verzweiflung, Verstörung und Hoffnung“.
Die Künstlerinnen und Künstler, die Aus- und Einblicke zur neuen Saison gaben, machten jedoch Lust und Laune auf Theater, Konzerte, satirische Gastspiele und mehr. Wallers Kompagnon, der St.-Pauli-Theater-Eigentümer Thomas Collien, genoss den fast dreistündigen Abend diesmal im Parkett. Ebenso übrigens weitgehend Mechthild Großmann. Die Schauspielerin sollte im zweiten Teil einen kurzen, prägnanten Auftritt haben, gefolgt von einem internationalen Filmstar.
St. Pauli Theater: Gala, erstmals mit einem James-Bond-Bösewicht
Zunächst aber gab Schauspielerin Angela Winkler nicht nur das Lied von Fräulein Schneider aus „Cabaret“, sie stellte mit dem Musikalischen Leiter Matthias Stötzel (Klavier) zudem den Titelsong ihres neuen Liederabends vor: „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ hat am 31. Oktober Premiere.
Songs des satirischen Musikdichters Friedrich Hollaender weiß Tim Fischer ebenfalls vortrefflich zu interpretieren. Der Chanson-Star machte, stilsicher begleitet vom Pianisten Thomas Dörschel, mit seinem äußerst ausdrucksstark servierten „Stroganoff“ Appetit aufs neue Programm „Glücklich“ (Premiere 27.10.). Mit seinem seit dem Vorjahr auch aus „The Voice of Germany“ TV-bekannten Kleinkunst-Klassiker „Die Rinnsteinprinzessin“ und Kurt Tucholskys „Das Ideal“ sorgte Fischer vor der Pause für die größte Begeisterung.
Sven-Eric Bechtolf rezitierte Heinrich Heines Gedicht von der „Waldeinsamkeit“ über den Verlust der Jugend und die Unschuld. Im Frühjahr wird der frühere Hamburger Thalia- und Wiener Burgtheater-Star (66) in Wallers Regie im Drama „Oleanna“ des US-Autors David Mamet einen des sexuellen Übergriffs beschuldigten Professor spielen. Mehr als 30 Jahre, nachdem Bechtolf am Alstertor diese damals für ihn (noch) nicht altersgemäße Rolle ausgefüllt hatte.
„Die Carmen von St. Pauli“ hat im November Premiere, mit der Musik von Bizet
Hammonias Soul-Bruder Stefan Gwildis gab, begleitet von Tobias Neumann (Klavier) und Hagen Kuhr (Cello), feine Kostproben seines neuen Programms „So zärtlich war der Lenz!“ Zum zehnten Todestag des Hamburger Ehrenbürgers Siegfried Lenz am 7. Oktober rezitiert Gwildis Werke des Dichters wie „So zärtlich war Suleyken“ und präsentiert weitere eigene Kompositionen.
Die Schauspielkolleginnen Victoria Fleer und Anneke Schwabe lieferten mit einem stimmigen Duett einen Vorgeschmack auf die Premiere zu „Die Carmen von St. Pauli“ am 14. November. Das Regie-Duo Peter Jordan/Leonhard Koppelmann hat die Geschichte des Mädchens aus der Zigarettenfabrik von Sevilla in den Hamburger Hafen verlegt, mit der Originalmusik von George Bizet.
Zum Ensemble wird auch Götz Otto gehören. Der Schauspielhüne und einstige James-Bond-Bösewicht („Der Morgen stirbt nie“) gab an dem für ihn eigentlich spielfreien Montagabend mit „.Mir gehört die Welt“ aus „Carmen“ schon mal seinen Einstand am St. Pauli Theater, wenn auch eher mit Sprechgesang. Bis Mitte September ist Otto noch in der Wiederaufnahme von „Es ist nur eine Phase, Hase“ an der Komödie Winterhude engagiert. In dem Erfolgsstück hatte er bereits bei der Uraufführung im Januar als Familienvater in der Alterspubertät überzeugt.
Katie Freudenschuss führte knackig durch den Abend, bis auf einige Abfragen
Aus Letzterer ist Mechthild Großmann gottlob raus. Die 75 Jahre alte renommierte Bühnenschauspielerin und populäre Frau Staatsanwältin aus dem Münsteraner ARD-„Tatort“, vom 10. Oktober an wieder als Psychiaterin in Yasmina Rezas Gesellschaftskomödie „James Brown trug Lockenwickler“ am St. Pauli Theater zu erleben, überraschte mit einem durchaus anzüglichen Gedicht: „Über die Verführung von Engeln“ (1948) endet mit dem Reim „Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht/Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.“ Bertolt Brecht hat das gedichtet, ist also Kunst.
Moderatorin Katie Freudenschuss schob dies als Erklärung sogleich nach. Die Musikkabarettistin führte komisch, knackig und charmant durch den Abend. Nur die Abfragen im Publikum für ihre stets aufs Neue improvisierte „Hamburg-Hymne“ (diesmal mit den Stadtteilen Uhlenhorst, Kirchwerder und Dulsberg) gerieten wie so oft etwas langatmig.
Dass die Kunstform des politischen Kabaretts trotz häufiger Gleichgültigkeit sowie Anfeindungen von rechts und links noch lebt, zeigten zwei altgediente Weggefährten Ul Wallers. Der Berliner Arnulf Rating dokumentiert das aktuelle Zeitgeschehen statt mit dem Vorzeigen der Titelseiten von Zeitungen wie „Bild“ und „Zeit“ bei seinem „Tagesschauer“ jetzt mit dem Kommentieren von Fotoprojektionen an der Bühnenwand, Kalauer weiterhin inklusive.
St. Pauli Theater: Musikerin Stefanie Hempel war „Die Sackzumacherin“ der Gala
Und der Freiburger Matthias Deutschmann analysierte die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen treffend (selbst-)ironisch: Er wunderte sich über mögliche Allianzen von CDU, SPD und BSW gegen rechtsaußen („In Thüringen warten sie noch auf die Linken“), die vor zwei Jahren noch als Satire abgetan worden wären. „Wenn die Ampel erlischt, gilt hierzulande wieder rechts vor links“, unkte Deutschmann. Sahra Wagenknecht nannte er „Rosa Luxemburg, die Zweite“, ihren saarländischen Ehemann Oskar Lafontaine „Napoleon IV.“
Blieb als „Die Sackzumacherin“ (so Katie Freudenschuss) zum Finale Beatles-Expertin und -Fan Stefanie Hempel. Die Wahlhamburgerin aus Grabow (Mecklenburg) machte nur mit Ukulele und am Klavier dank ihrer Mischung aus drei Hits der Fab Four und Anekdoten von Hamburg bis Liverpool allerbeste Werbung für das 20. Jubiläum von „Hempel‘s Beatles Tour“. Die wird am 24. und 25. Oktober mit Band und Gästen im St. Pauli Theater zelebriert.
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Richtig groß feiert das 183 Jahre alte Haus unter dem Motto „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ wieder am 2. Januar 2025 im Konzerthaus am Hafen. Der exklusive Vorverkauf für Abendblatt-Leser zum schon traditionellen Neujahrskonzert (u .a. mit Anna Depenbusch, Annett Louisan, Fischer, Gwildis, Heaven Can Wait Chor) beginnt an diesem Mittwoch, 11. September.
„St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ Do 2.1. 2025, 20 Uhr, Elbphilharmonie, Großer Saal, Karten zu 28,50 bis 139,90 (zzgl. Gebühren) bis zum 17.9. nur in der Hamburger-Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, und in den HA-Ticketshops.